Wenn man in Deutschland „normale Verhältnisse herstellt“, sei das „ein revolutionärer Akt“ (Overton-Magazin)

28. November 2025 Ulrich Heyden 45 Kommentare
Die Russland-Reisen von AfD-Politikern und Unterstützern reißen nicht ab, trotz mahnender Worte der Parteivorsitzenden Alice Weidel, die nicht viel von diesen Reisen hält. Am 22. November 2025 trat vor 250 Zuhörern in Moskau der AfD-nahe deutsche Verleger Götz Kubitschek auf. Die Veranstaltung dauerte mit zwei Vorträgen und 17 Fragen vier Stunden. Die große Zahl der Teilnehmer zeigt, dass es in Moskau ein großes Interesse an der AfD gibt, was nicht unbedingt mit Sympathie gleichzusetzen ist. Es gibt in Moskau ein konstantes Interesse an Philosophen aus Deutschland, wie Сarl Schmitt. Die Veranstaltung fand statt in dem modernen Veranstaltungszentrum GOELRO im Nordwesten von Moskau. Die AfD nutzt aktiv die Lücke, die ihr alle anderen Parteien – auch das BSW – lassen. Sie profiliert sich als Partei, die für „Frieden mit Russland“ eintritt und die bereit ist, einen direkten Dialog mit Russland aufrechtzuerhalten.
Wer den Saal in dem Moskauer Veranstaltungszentrum betrat, dem war klar: Hier geht es um Deutschland und Tradition. Auf der Bühne hing ein riesiges Poster vom Kyffhäuserdenkmal (2) in Thüringen. Auf dem Denkmal sieht man Kaiser Wilhelm I. auf einem Pferd und die in Sandstein gemeißelte Figur von Kaiser Friedrich I., genannt Barbarossa.
Die Gäste der Veranstaltung waren meist Philosophie- und Soziologie-Studenten von Moskauer Hochschulen. Sie trugen in der Regel dunkle Jacketts mit Krawatte.
Der Star des Abends, Götz Kubitschek, neurechter Vordenker der AfD, erschien in legerer Kleidung, ohne Krawatte. Kubitschek ist Gründer des Antaios-Verlages. Der Verlag wird vom Verfassungsschutz seit 2021 als „rechtsextremer Verdachtsfall“ beobachtet.
Kubitschek stellte sich vor. Er erzählte, dass er aus Westdeutschland komme, sich aber vor 25 Jahren entschlossen habe, sich im ostdeutschen Bundesland Sachsen-Anhalt niederzulassen. Dort lebe er in einem Gebäude, dessen Untergeschoss 1000 Jahre alt sei. In Ostdeutschland gäbe es viele solcher alten, schönen Gebäude. Dass er in einem ehemaligen Rittergut lebt, sagte der Verleger nicht.
In Russland sei er das erste Mal, aber er habe oftmals Serbien, Tschechien und Rumänien besucht und er sei „als Soldat in Jugoslawien“ gewesen. Zum Thema Jugoslawien – für patriotisch gestimmte Russen ein schmerzhaftes Thema – machte er keine weiteren Ausführungen.
Aber noch mehrere Male streifte Kubitschek militärische Themen. Er erzählte, dass er mit gleichgesinnten deutschen Offizieren jedes Jahr Schulungsveranstaltungen mit Jugendlichen durchführt, wo es asketisch zugeht, weshalb nur Männer daran teilnehmen.
Der AfD-Vordenker behauptete, Krieg führen und Aufrüsten, sei „gut für die Wirtschaft“. Es gäbe viele neue Startups und Unternehmen, die Drohnen herstellen. Dieser neue Zweig werde „atemberaubend gefördert“ und könne seine Produkte verkaufen. Das sei zwar zynisch, aber logisch für eine Nation. Dass in Deutschland das Geld für Schulen, Kindergärten und die Instandsetzung der Infrastruktur fehlt, erwähnte der Vortragende nicht.
Der Veranstalter: „Die CDU war nie eine wirklich konservative Partei“
Der Abend begann mit einem Vortrag des Veranstalters, Fillip Fomitschew, ein 26jähriger Soziologie-Doktorand der Moskauer Hochschule für Wirtschaft. Er sprach über das Thema seiner Dissertation, die Entwicklung des deutschen Konservatismus seit 1945.
Der junge Soziologe, der auch gut deutsch spricht, war als Experte für „Konservatismus“ schon auf Veranstaltungen des von Kubitschek geleiteten Antaios-Verlages in Sachsen-Anhalt aufgetreten. In seinem Vortrag in Moskau erklärte der Doktorand, die CDU sei eigentlich nie „eine richtige konservative Partei“ gewesen. Der Grund für diesen Mangel war nach Meinung von Fomitschew, dass die CDU ein Bündnis von Protestanten, Katholiken und Sozialethikern ist. Die CDU sei zu „einer Partei der Mitte“ geworden, weshalb sich eine „neue Rechte“ (3) gebildet habe, die eine „Kulturrevolution von rechts“ initiieren wollte.
Die neuen Rechten in Deutschland seien der Meinung, dass für eine politische Veränderung nicht Masse ausschlaggebend ist, sondern kleine Gruppen, die in entscheidenden Momenten Bedeutung bekommen können. Die neuen Rechten hätten sich linksradikale Gruppen zum Vorbild genommen. Den neuen Rechten gehe es heute darum, über alternative Medien Einfluss im „vorpolitischen“, kulturellen Raum zu bekommen.
Die AfD habe heute als oppositionelle Partei „im vorpolitischen Raum“ mit bis zu 40 Prozent der Wählerstimmen in Ostdeutschland mehr Gewicht, als die Grünen jemals hatten. Die AfD sei in Deutschland seit 1945 ein „einmaliges Phänomen“. „Das alte Deutschland wird es schon nicht mehr geben.“ Das klang wie eine Prophezeiung, dass bald andere, bessere Zeiten aufziehen.
Kubitschek: „Das ´Wir´ dem Individuum überordnen“
Nach dieser Einstimmung begann der Vortrag von Götz Kubitschek. Er erklärte, er sei kein Politiker, aber er habe Einfluss in der AfD. Diese Partei sei für „national-bewusste“ und „identitäre“ Politik, bei der „deutsche Interessen im Mittelpunkt stehen“.
Das deutsche „Wir“ werde von der Partei „als historische Größe ernstgenommen und dem Individuum übergeordnet“. Die „postmoderne Freiheit“ sei „verantwortungslos“. Sie führe „nicht zu mehr Freiheit, sondern schaffe neue Abhängigkeiten“. Man sei gegen „Überfremdung“ und für „Remigration“. Indem man die deutsche Geschichte positiv erzähle, werde „Identität gestiftet“.
Die AfD-Wahlkampfparole „Deutschland. Aber normal“, klinge nicht aufregend, aber wenn man in einem Land wie Deutschland „normale Verhältnisse herstellt“, sei das „ein revolutionärer Akt“. Welche Normalität gemeint sei? „Die von 1950, 1980, 1995 oder 2005?“ Darüber gäbe es in der AfD „keine einheitliche Antwort“. Für ihn – Kubitschek – heiße „normal“, „zwei Geschlechter“, „nicht 50 Grenzkontrollen“ und „wo es eine Linke gibt, muss es auch eine Rechte geben“.
Die Marktöffnung nach 1991 habe in Osteuropa zu „verheerenden Zuständen und zur Entsolidarisierung der Gesellschaft geführt“. Das betreffe auch Deutschland. „Der Westen hat den Osten auf asoziale Weise ausgebeutet. Deshalb ist die AfD so stark.“ Nach 25 Jahren „Nachahmung“ des von den USA vorgegebenen Modells kam erst „die Skepsis“ und dann „die Ablehnung“.
Viele Staaten des ehemaligen Warschauer Paktes hätten nach 1991 die Wendung Richtung Westen „nicht vollständig“ mitgemacht. Die Entwicklung eines „nationalkonservativen Milieus“ sei in Russland, Ungarn und Tschechien „teilweise vorbildlich“. Der russische Weg sei „gesünder“ als der westliche.
„Sperrriegel“ der USA zwischen Deutschland und Russland
Kubitschek sprach sich für ein „Großeuropa“ aus, welches „Russland miteinschließt“. Die AfD sei „die einzige Kraft“ mit der „eine russisch-deutsche Kooperation möglich werden kann“. Diese Aussage klingt vermessen, ist doch die AfD in der Russland-Frage selbst zerstritten. Aber angesichts der Tatsache, dass es bekannte BSW-Politiker seit 2014 nicht wagen, nach Moskau zu fahren, hat die AfD mit den Reisen von bekannten AfD-Politikern nach Russland ein Alleinstellungsmerkmal.
Die USA versuchten, mit Staaten wie Polen „einen Sperrriegel zwischen Deutschland und Russland aufzubauen“. Deutschland müsse „ein Interesse an einer multipolaren Welt haben“. Das Staatenbündnis BRICS sei ein Mittel um das Übergewicht der USA zu begrenzen.
In der deutschen, „nationalkonservativen Opposition“ gäbe es „keine Einigkeit darüber, ob die ´Gefahr Russland´ nur eine Feind-Erzählung ist“. Fest stehe, dass viele Russland-Liebhaber in Deutschland eine zu romantische Sicht auf das Land hätten und nur an „Mütterchen und Süßigkeiten“ dächten. Ein Austritt aus der Nato sei unrealistisch. „Realistisch ist es, den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen. Wir ähneln einander mehr, als das wir uns unterscheiden.“
Trump – so meinte Kubitschek – unterstütze die AfD. Der US-Präsident habe erkannt, „dass Nationalkonservatismus in Deutschland gut ist, weil man so Deutschland die Abwehr Russlands übertragen kann“. Deutschland solle „kein kranker, sondern ein gesunder Vasall der USA sein.“
„Deutschland von seiner Niederlage 1945 noch nicht erholt“
Kubitschek machte klar, dass er nicht nach Russland gefahren ist, um Hilfe zu bitten. Russland solle Deutschland nicht helfen. Nur die Deutschen könnten „Deutschland retten“.
Deutschland solle wieder „zu einer selbstbewussten Nation“ werden. Deutschland sei bis heute „das Land der Besiegten von 1918, besonders aber von 1945. Von den Folgen der Niederlagen hat sich mein Heimatland nicht erholt. Es kann sich nicht so zur Geltung bringen wie andere Länder.“
Was „selbstbewusste Nation“ für Deutschland genau bedeutet, das führte Kubitschek nicht aus. Klar scheint mir, dass der AfD-Vordenker ein militärisch starkes Deutschland will, welches auch auf der internationalen Bühne auftritt. Am Schluss seines Auftritts in Moskau bedauerte er, dass sich die Bundeswehr aus Mali zurückgezogen hat.
Kubitschek: BSW ist „eine vernünftige Abspaltung“ der Linken
Die Rede des AfD-nahen Verlegers aus Deutschland wurde mit freundlichem Applaus bedacht. Nun durften die Zuhörer Fragen stellen. Der Versammlungsleiter erklärte, „provokative Fragen“ würden nicht zugelassen. 17 Zuhörer stellten Fragen. Fast alle Fragensteller bedankten sich bei Kubitschek, dass er nach Moskau gekommen sei. Ich hätte dem Verleger gerne eine schwierige Frage gestellt. Aber man nahm mich nicht dran, obwohl ich mich immer wieder meldete.
Eine Dozentin von der Moskauer Lomonossow-Universität fragte, sichtlich besorgt, ob die Gefahr bestehe, dass die AfD sich spalte. Kubitschek meinte, er gehe davon aus, dass sich die Landesverbände in Westdeutschland durchsetzen werden. Aber „strategisch“ laufe die politische Entwicklung „zu Gunsten von Tino Chrupalla“.
Ein junger Mann fragte, wer die Bündnispartner der AfD sein könnten, abtrünnige CDU-Mitglieder oder das BSW. Der Verleger antwortete, die AfD könne eine absolute Mehrheit zurzeit nur in den östlichen Bundesländern erreichen. Das BSW sei „eine vernünftige Abspaltung“ von der Linken.
Kubitschek vermied das Wort „Konzentrationslager“
Jemand fragte, wie die Deutschen dem Zweiten Weltkrieg gedenken sollten. Die Antwort lautete, wenn in Sachsen-Anhalt von Schulen organisierte Besuche an historischen Orten durchgeführt werden, dann sollte von 15 Orten ein Ort ein „nationalsozialistisches Denkmal“ sein. Dass Kubitschek das Wort „Konzentrationslager“ vermied, sagte viel. Für Kubitschek ist das Wort „Konzentrationslager“ offenbar ein Kampfbegriff der verachteten Linken, den es auf jeden Fall zu vermeiden gilt.
Eine Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg müsse sein, „dass der Lack der Zivilisation sehr dünn ist“. Das klang wie eine auswendig gelernte Phrase von Jemandem, der über den Zweiten Weltkrieg wie über eine chemische Formel reden will, um ja keine Gefühle und vor allem Schuldgefühle aufkommen zu lassen.
Eine weitere Frage war, „welche Manipulationen“ es im deutschen Bildungssystem gibt? Eine Manipulation sei gewesen – so der Verleger aus Sachsen-Anhalt -, dass die Gründung von Preußen und dem deutschen Kaiserreich „eine militaristische Phase“ in der deutschen Geschichte gewesen sein soll. Dabei sei England „viel militaristischer“ gewesen.
Eine weitere Frage betraf den Umgang mit der Zensur in Deutschland. Kubitschek erklärte, die Zensur habe zur Folge, dass sein Verlag auf Buchmessen nur noch einen Platz neben einer Toilette bekomme, weshalb man jetzt eine eigene Buchmesse gemacht habe, die mit 6000 Menschen gut besucht gewesen sei. (4) Der Verleger fragte dann ins Publikum, wie es in Russland mit der Zensur sei, worauf ein Vertreter des liberalen Verlages Ad Marginem antwortete, es gäbe keine direkte, aber „versteckte Zensur“.
Warum darf ein AfD-Vordenker in Moskau sprechen?
Vor dem Hintergrund, dass die deutschen Parteienstiftungen und das Goethe-Institut 2022 ihre Büros in Moskau geschlossen haben und es faktisch keinen physischen Kontakt zwischen deutschen und russischen Intellektuellen und Politikern gibt, war die Veranstaltung mit dem neu-rechten Verleger etwas ganz Besonderes und eigentlich ein Leckerbissen für jeden politisch interessierten Russen, der etwas Lebendiges über Deutschland erfahren will.
Aber ich traf auf der Veranstaltung nur einen bekannten russischen Journalisten. Auch ausländische Journalisten waren nicht gekommen. Für die Veranstaltung war nur über einen Telegramm-Kanal geworben worden. Man musste sich elektronisch registrieren. Die Besucherliste war schnell voll. Nach der Veranstaltung gab es keinen einzigen Medienbericht. Ich vermute, dass die politische Führung in Russland nicht zu viel Aufhebens von dem Besuch des Neu-Rechten aus Deutschland machen wollte.
Die ganze Veranstaltung hatte etwas Geheimnisvolles und Angespanntes. Die Blicke waren ernst, die Beköstigung asketisch. Es gab Wasser aus Plastikflaschen. Selten sah ich Jemanden lächeln. Wegen der strengen Blicke, die mich trafen, vermutete ich, auf der Veranstaltung könnten auch knallharte russische Rechte sein, die bei einem deutschen Rechten Inspiration suchen.
Es bleibt die Frage, warum ein Vordenker der AfD in Moskau vor dem russischen, wissenschaftlichen Nachwuchs sprechen darf, trotz westlicher Sanktionen und deutschen Waffen in der Ukraine. Dafür gibt es zwei pragmatische Gründe: Für den wissenschaftlichen Nachwuchs ist es wichtig, dass er erfährt, wie man in Deutschland denkt. Außerdem honoriert die russische Führung, dass die AfD für Frieden mit Russland eintritt.
Audio- und Videoaufnahmen waren nicht erlaubt
Als ich mich registrieren wollte, war die Besucherliste schon wegen Überfüllung geschlossen. Weil mich die Veranstaltung aber sehr interessierte, ging ich ohne Einlassgenehmigung zum Ort der Versammlung. Den sehr kräftigen Ordnern, die mich argwöhnisch beäugten, erklärte ich, für welche Medien ich berichte. Nach einigem Hin und Her gestattete man mir schließlich den Saal zu betreten. Allerdings wurde mir gesagt, dass Audio- und Videoaufnahmen verboten seien. Den Rucksack mit meiner Kamera, musste ich während der Veranstaltung in einem Nebenraum abstellen.
Am Ende der Veranstaltung sah ich einen jungen, bärtigen Russen, der in der Nähe von Kubitschek auf und ab ging. Auf einer Brustseite hatte er sich seitlich eine schwarze Tasche umgeschnallt. Darin, so schien mir, war eine Waffe. Ich fragte den Mann, ob er von einer Sicherheitsfirma sei. Der Bärtige bejahte die Frage. Offenbar hatte man vorgesorgt. Niemand sollte dem bekannten Gast aus Deutschland auch nur ein Haar krümmen.
Quellen
- Die Buchstaben GOELRO stehen für den nach der Oktoberrevolution beschlossenen staatlichen Plan zur Elektrifizierung der Sowjetunion, Gossudarstwenny plan elektrifikazii Rossii.
- Initiiert wurde der Bau des Denkmals Ende des 19. Jahrhunderts vom Deutschen Kriegerbund. Zu Zeiten der DDR wurde das Denkmal nicht abgerissen. Sowjetische Kultur-Offiziere waren dagegen. Das Denkmal gehöre zur deutschen Kultur, meinten sie.
- Zur Herausbildung der neuen Rechten aus linker Sicht siehe dieser Artikel von 1992: Die Herausbildung der „Neuen Rechten“ | Antifaschistisches Infoblatt
- Gemeint war die Buchmesse „Seitenwechsel“ in Halle, die im November 2025 stattfand.
veröffentlicht in: Overton-Magazin













