25. March 2020

Auf die Corona-Infektionen reagierte Russland zügig

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Foto: Olga_Shu / Shutterstock

Deutsche Medien bezweifeln die offiziellen russischen Zahlen, legen aber keine eigenen Recherchen vor. Während das Virus auch genutzt wird, um Desinformation und Stimmungsmache zu betreiben, sind russische Hilfsgüter in Italien eingetroffen. Derweil werden in Russland weitere Maßnahmen gegen das Virus eingeführt. Aus Moskau berichtet Ulrich Heyden.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
 

Moskau wirkt in diesen Tagen sehr ruhig. Es gibt viel weniger Verkehr. Ein Großteil der Büroangestellten arbeitet jetzt von zuhause aus. Die Schulen sind geschlossen. Auch die U-Bahn ist erstaunlich leer. Immer häufiger sieht man Menschen mit Masken. Versammlungen von mehr als 50 Personen sind untersagt. An diese Regel sollen sich auch die Moskauer Kinos und Restaurants halten. Die riesigen Einkaufszentren in Moskau sind noch geöffnet. Doch in diesen Zentren – wie auch in der U-Bahn – werden regelmäßig Desinfektionsmaßnahmen durchgeführt. Fitness-Studios sind geschlossen. Die Nutzung von Wasserpfeifen in Restaurants und Bars wurde verboten.

Etwas Panik gab es vor einer Woche, als in Supermärkten plötzlich Regale mit Waren des täglichen Bedarfs leergekauft wurden. Besonders gefragt waren Buchweizen-Graupen und Klopapier. Es gibt jedoch keinerlei Versorgungsengpässe, einmal abgesehen von Atemschutzmasken. Die Kauf-Panik, die inzwischen wieder abgeklungen ist, hängt damit zusammen, dass die Menschen eine stärkere Beschränkung der Bewegungsfreiheit in der Stadt befürchtet hatten.

Moskauer Bürgermeister: Alle über 65 bitte zuhause bleiben

Am Montag forderte der Moskauer Bürgermeister alle Menschen über 65 Jahre auf, zuhause zu bleiben oder auf die Datscha zu fahren. Die alten Menschen bekommen von der Stadt 50 Euro für entstehende Mehraufwendungen. Ältere Menschen, die ihre Wohnungsbetriebskosten nicht bezahlen und deren Mobil-Telefone kein Guthaben mehr aufweisen, dürfen auf Anweisung des Bürgermeisters nicht sanktioniert werden. Sozialdienste und Freiwillige sollen die Versorgung der alten Menschen übernehmen, die gebeten werden, in ihren Wohnungen zu bleiben.

Dass Russland zu langsam auf die Corona-Krise reagiert hat, kann man nicht sagen. Es gab in Deutschland schon 3.300 Infizierte, als man am 13. März begann, Schulen zu schließen. Als der Moskauer Bürgermeister Sergej Sobjanin am 16. März anordnete, die Schulen der russischen Hauptstadt zu schließen, gab es nur 109 offiziell registrierte Corona-Fälle.

Mit 495 Infizierten und bisher einem Todesfall liegt Russland bei der Corona-Pandemie deutlich im unteren Bereich. Über die Hälfte der in Russland Infizierten leben in Moskau. 93.000 Menschen stehen unter der Beobachtung der russischen Gesundheitsbehörde, weil sie aus „Corona-Ländern“ eingereist sind oder Kontakt zu Infizierten hatten.

Die Disziplin der Rückkehrer aus „Corona-Ländern“ nach Russland bezüglich der vorgeschriebenen zwei Wochen langen Quarantäne ist offenbar nicht besonders hoch. Am Sonntag hatte die Leiterin der russischen Aufsichtsbehörde Rospotrebnadsor von der Regierung die Einführung von Strafmaßnahmen gegen Personen gefordert, welche die Quarantäne nicht einhalten. Daraufhin ordnete der russische Regierungschef Michail Mischustin an, dass bis Mittwoch solche Strafmaßnahmen ausgearbeitet werden sollen.

Deutsche Medien unzufrieden über die offiziellen Zahlen

Für die ARD-Tagesschau ist die vergleichsweise niedrige Zahl von Corona-Infizierten in Russland Anlass für Misstrauen. Im Januar seien doch noch Arbeitsmigranten aus China nach Russland eingereist, schreibt Tagesschau.de unter Berufung auf eine „Analyse der New York Times“. Da werde doch etwas verschwiegen, vermutet Tagesschau.de. Doch eigene Recherchen in Moskauer Krankenhäusern hat der öffentlich-rechtliche Sender nicht gemacht.

Spiegel-Korrespondent Christian Esch meint, Wladimir Putin halte die Zahl der Infizierten künstlich niedrig, damit das Referendum über die russischen Verfassungsänderungen am 22. April wie geplant durchgeführt werden kann. Belege werden nicht genannt. Die geplante Verfassungsänderung bezeichnet der Spiegel-Korrespondent als „stillen Staatsstreich“, mit dem der Amtsinhaber seine Macht verlängere.

Sicher kann man sich ärgern, dass es in Russland noch keine Alternative zu Putin gibt. Aber was soll das Gerede von einem Staatsstreich, ohne auch nur einen einzigen konkreten Beweis dafür zu nennen, dass in Russland die Verfassung gebrochen wird? Dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird, ist offensichtlich: In der Ukraine, wo es 2014 tatsächlich einen Staatsstreich gab, will der Spiegel bis heute nicht eingestehen, dass ein gewählter Präsident mit Gewalt verjagt und die Verfassung gebrochen wurde.

Zustimmend zitiert der Spiegel-Korrespondent den russischen Oppositionspolitiker Aleksej Nawalny. Der hatte gesagt, Putin werde – um das Referendum durchzuführen – „eine große Zahl von Rentnern opfern, die sich anstecken und schwer erkranken“. Putin sagte übrigens auch, wer nicht in die Wahllokale kommen kann, dem werde eine Wahlurne in die Wohnung gebracht. Das verschwieg der Spiegel natürlich.

Ob das Verfassungsreferendum am 22. April stattfinden kann, ist noch nicht sicher. Die „Linke Front“ – eine der KPRF nahestehende Organisation unter Führung von Sergej Udalzow – fordert wegen des Corona-Virus eine Verschiebung des Referendums auf September.

Der Tagesspiegel: Russland „verschärft die Angst“

Schweres Geschütz fuhr am Sonnabend die Tagesspiegel-Redakteurin Claudia von Salzen auf. Sie behauptete, der Kreml nutze die Coronakrise aus, um „die westlichen Gesellschaften von innen zu erschüttern“. In dieser Krise versuchten „russische Akteure, das Vertrauen der Menschen in das Gesundheitssystem zu beschädigen und Panik und Angst zu verschärfen.“ Belege für russische Wühltätigkeit wurden nicht genannt.

Vermutlich war es die russische Hilfe für Italien, welche die Scharfmacherin vom Tagesspiegel so erregt hatte. Am Sonnabend hatte der russische Präsident mit dem italienischen Premierminister Guiseppe Conte telefoniert und die Bereitschaft bekräftigt, operative Hilfe im Kampf gegen das Coronavirus zu leisten.

Das russische Verteidigungsministerium meldete, dass seit dem Wochenende vom Moskauer Militärflughafen Tschkalowski bereits 14 Transportflugzeuge vom Typ Iljuschin-76 mit Atemgeräten, Desinfektion-LKWs, sowie 100 Ärzten und Virologen zu einem Militärflughafen 30 Kilometer vor Rom geflogen sind.

Russischen Luftfahrt-Experten war aufgefallen, dass die russischen Transportflugzeuge nicht den direkten Weg über Polen nach Italien, sondern einen Umweg von 1.000 Kilometern über das Schwarze Meer flogen. Russische Zeitungen berichteten daraufhin, Polen habe seinen Luftraum für russische Militärflugzeuge gesperrt, weil man offenbar davon ausgehe, dass diese Flugzeuge Militärgerät transportieren. Die Botschaft Polens in Moskau nannte den Vorwurf „Desinformation“. Moskau habe die Überflüge nicht beantragt.

Putin besucht neues Großkrankenhaus vor Moskau

In den USA war es der russische Botschafter Anatoli Antonow, der von Desinformation sprach. Antonow rief die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch auf, keine falschen Informationen über den Kampf gegen den Coronavirus in Russland zu verbreiten.

Der Geschäftsführer der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, Kenneth Roth, hatte auf Twitter geschrieben, dass „reiche Russen“ Maschinen zur künstlichen Beatmung der Lunge aufkaufen würden. Diese Maschinen fehlten dann für die einfachen Russen.

Der russische Botschafter in den USA forderte Human Rights Watch auf, über die Lungenbeatmungsgeräte in dem neuen Großkrankenhaus Nr. 40 „Kommunarka“ südlich von Moskau zu berichten. Am Dienstag besuchte Wladimir Putin das neue Krankenhaus, wo Corona-Patienten behandelt werden. Putin lobte das Krankenhauspersonal. Die Mediziner arbeiteten auf einem „Kampfposten“.

Der russische Ministerpräsident Michail Mischustin ordnete am Montag die Anschaffung von 5.700 Beatmungsmaschinen und anderem medizinischen Gerät zum Einsatz gegen das Coronavirus an. Die Geräte werden von zwei Tochterunternehmen des Staatskonzerns Rostech produziert. Das russische Fernsehen zeigte die modernen Produktionsanlagen. Der Auftrag hat ein Gesamtvolumen von 90 Millionen Euro.

Letzte Woche hatte Regierungschef Mischustin verkündet, dass Russland einen Krisenfond in Höhe von 3,6 Milliarden Euro einrichten wird. Mit dem Geld sollen die Wirtschaft und die Bürger in der Coronakrise unterstützt werden. Der Premier erklärte, in Kürze werde ein Online-Warnsystem für die Bürger eingerichtet.

Auch in Russland wurden in den letzten zehn Jahren Krankenhäuser geschlossen und zusammengelegt. Sollte die Corona-Epidemie in Russland größere Ausmaße annehmen, wäre es nötig, Betten freizumachen, meinte ein Arzt aus St. Petersburg gegenüber der Novaja Gaseta. Zwanzig Prozent der Kranken würden stationär wegen Grippe-Viren behandelt. Das sei nicht richtig. Diese Personen könnten ihre Krankheit auch zuhause auskurieren.

Sinken des Wirtschaftswachstums erwartet

Experten erwarten wegen der drei Krisen, mit denen Russland zu kämpfen hat – Corona-Krise, Ölpreis-Verfall und Kurssturz des Rubel um zwanzig Prozent – einen Rückgang des russischen Wirtschaftswachstums um drei Prozent.

Besonders schwierig kann es für die 18 Millionen Russen werden, die in Kleinbetrieben arbeiten. Die Regierung hat bisher für Unternehmen nur Erleichterungen im Bereich Steuern und Kredite versprochen. Russlands Finanzreserven sind nicht unbegrenzt. Durch die Abwertung des Rubel um etwa 20 Prozent in Folge des Ölpreisverfalls könnte der Nationale Wohlstandsfond, aus dem man in Krisenfällen bisher das Geld nahm, schnell abschmelzen. Auf der anderen Seite wird die russische Arbeitskraft durch den Kurs-Sturz des Rubel billiger. Das könnte Unternehmer animieren, mehr in Russland zu produzieren.

Ulrich Heyden

veröffentlicht in: Nachdenkseiten

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