21. April 2009

Aus dem Kreml dringen sanfte Töne

Russland. In der Finanzkrise braucht der Staat die Hilfe der bisher Geschmähten. Der Präsident umwirbt Opposition und NGOs.

Ulrich Heyden Moskau (SN). Vor zwei Jahren galt es unter manchen Russland-Experten noch zu 150 Prozent sicher, dass sich Wladimir Putin über eine Verfassungsänderung eine dritte Amtszeit als Präsident erschleicht. Als Putin dann abtrat und die Macht an Dmitrij Medwedew übergab, wich diese Prognose der Überzeugung, dass sich in Russland bestimmt nichts ändert. Putin werde weiter die Fäden ziehen.

Nun wird offenbar, dass hinter den Zinnen der Zaren-Gemäuer ein paar schlaue Polit-Technologen sitzen, die wissen, dass es gerade in der Krise darauf ankommt, den Kontakt zum Volk zu halten. Gerade jetzt, wo der Staat infolge ausbleibender Rohstofferlöse finanziell kürzer treten muss, zeigen Medwedew und Putin Fingerspitzengefühl.

Die Lage ist ernst. Niemand weiß, wie Russland zum Ende des Jahrs aussehen wird, wenn eine Arbeitslosenzahl von zehn Millionen droht. Die Krise hat hart durchgeschlagen. Eine Besserung ist nicht in Sicht. Im ersten Quartal brach die Industrieproduktion um 15 Prozent ein. Unternehmen sind bereits dazu übergegangen, ihre Arbeiter in Nudeln und anderen Naturalien zu bezahlen. Vorsorge ist also vonnöten. Es kann nicht im Interesse der Führung sein, wenn die Opposition jetzt unzufriedene Russen gegen den Kreml aufbringt. Deshalb bemühte sich Putin schon Ende 2008 um einen guten Draht zu den Kommunisten.

Vielleicht bleibt alles ruhig und die Menschen hoffen, dass es das Tandem Medwedew/Putin irgendwie richtet, vielleicht brechen aber auch, wie im Frühjahr 2005, als Pensionisten gegen Sozialkürzungen auf die Straße gingen, spontane Proteste von Arbeitslosen aus.

Dem wollen Präsident Medwedew und Regierungschef Putin vorbeugen. Der Liberale und der Exgeheimdienstchef teilen sich die Arbeit. Während Medwedew Schmeicheleinheiten an Oppositionspresse und Nichtregierungsorganisationen verteilt, erledigt Putin sozusagen die Drecksarbeit. Er tingelt durch die Provinz, spricht mit Bergleuten im sibirischen Nowokusnezk und Arbeitern der Autofabrik Lada an der Wolga. Putin schärft ihnen ein, es gebe keinen Grund, den Mut zu verlieren, man müsse halt ein bisschen kürzertreten und außerdem werde der Staat helfen.

Das Tandem Medwedew/Putin läuft bisher, wie der Kreml-Chef sagt, „störungsfrei“. Dass Medwedew jetzt ausgerechnet der kremlkritischen Zeitung „Nowaja Gazeta“ ein dreiseitiges Interview gegeben hat, nimmt Putin, der mit der Opposition bisher ein äußerst gespanntes Verhältnis hatte, offenbar hin.

Spannend könnte es allerdings werden, wenn Medwedew wie versprochen die von Putin 2006 eingeführten Restriktionen für Nichtregierungsorganisationen lockert. Putin hatte diese Restriktionen mit angeblichen Versuchen ausländischer Staaten begründet, sich in Russlands Innenpolitik einzumischen.

Diese Befürchtung tritt für Medwedew in Zeiten der Finanzkrise offenbar in den Hintergrund. Der neue Präsident setzt auf einen Dialog mit der Opposition. So lässt sich vielleicht manche Spitze gegen den Kreml noch in eine systemadäquate Richtung umbiegen.

"Salzburger Nachrichten"

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