1. May 2025

Bericht | Trumps „schwarze Internationale“ – und was Lenin dazu gesagt hätte … (Globalbridge.ch)

Am II. Antifaschistischen Forum in Moskau haben zahlreiche Delegationen aus ganz verschiedenen Ländern teilgenommen. Auf dem Bild die Delegation aus Südafrika. (Foto Ulrich Heyden)
Foto: Am II. Antifaschistischen Forum in Moskau haben zahlreiche Delegationen aus ganz verschiedenen Ländern teilgenommen. Auf dem Bild die Delegation aus Südafrika. (Foto Ulrich Heyden)

01. Mai 2025, von:  in GeschichtePolitikWirtschaft

Um der westlichen Medien- und Politiker-Macht zu widerstehen, aktiviert Russland alle Hebel, die es hat. Während Putin konservativ gestimmte Menschen im Westen anspricht, wenn er erklärt, Russland sei ein Garant für „traditionelle Werte“ und den Schutz der Familie, kümmert sich die Kommunistische Partei der Russischen Föderation auf internationaler Ebene um die gesellschaftlichen Strömungen, die in einer antifaschistischen Tradition stehen, wie kommunistische Parteien und Verbände von Widerstandskämpfern gegen die nationalsozialistische Herrschaft in Europa. Vom 21. bis zum 24. April veranstaltete die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) das II. Internationale Antifaschistische Forum.(1)  Das russische Fernsehen, das die russischen Kommunisten sonst gerne übergeht, berichtete über das Forum diesmal ausführlich.(2) Wladimir Putin und der russische Ministerpräsident Michail Mischustin schickten Grußtelegramme. 

Das Forum mit 400 Teilnehmern fand statt im „Ritz-Carlton“, einem Hotel der oberen Preisklasse, nicht weit vom Kreml. Gekommen waren 164 – meist kommunistische – Delegierte aus 91 Ländern, darunter USA, England, Deutschland, Frankreich, Italien.(3) 

Anlass war der Geburtstag von Lenin am 21. April und der bevorstehende Feiertag der Befreiung am 9. Mai. Die Delegierten sprachen von der Gefahr, dass der Faschismus, mit Unterstützung der USA, international immer stärker wird. Als Beispiele wurden das politische System in der Ukraine und der Völkermord in Gaza genannt. 

In dem von Wladimir Putin übermittelten Grußtelegramm (3, mit deutscher Übersetzung) an die Konferenz heißt es, es sei wichtig, „dass wir unsere Kräfte vereinen, um zu verhindern, dass sich auf der Erde Rassismus, Nazismus, Faschismus, Russophobie, Antisemitismus und andere aggressive Ideologien ausbreiten, die sich auf dem Schüren von Hass, Intoleranz und einer Propaganda der nationalen Überlegenheit gründen.“

Was ist aktuell an „Lenins Lehre“?

Begrüßt wurden die Teilnehmer des Forums vom Vorsitzenden der KPRF, Gennadi Sjuganow, der, obwohl er schon 80 Jahre alt ist, sein langes Einleitungsreferat im Stehen hielt. Der Faschismus, den die Sowjetunion 1945 besiegt habe, sei eine Ausgeburt des Imperialismus, erklärte der Parteivorsitzende. Der Nazismus habe „dem Klasseninteresse der Bourgeoise“ entsprochen.

Auf der Konferenz gab es drei Workshops zu den Themen. „Lenins Lehre über den Imperialismus und Faschismus“, „Faschismus als Gefahr für die Sicherheit und die Zusammenarbeit in Europa“ und „Nazismus und Faschismus als gesetzmäßige Folgen des kolonialen Kapitalismus“.

Als unabhängiger Journalist besuchte ich den Workshop zu „Lenins Lehre“, weil ich hoffte, dort etwas über die ideologischen Kerngedanken der KPRF zu erfahren. 

„Der britische Imperialismus steckt hinter Allem“

Dmitri Nowikow, einer der stellvertretenden KPRF-Vorsitzenden, stellte auf dem Workshop in seinem Einleitungsreferat fest, dass Großbritannien das Nazi-Regime in Deutschland mit Waffen unterstützt habe. Die These, dass es vor allem der britische Imperialismus gewesen sei, der Deutschland zum Krieg gegen die Sowjetunion förmlich angestachelt hat und auch heute wieder am aggressivsten gegen Russland auftritt, ist auch außerhalb der KPRF unter den russischen Politologen weit verbreitet. Dass es deutsche Schwer- und Chemieindustrielle waren, die Hitler ab 1932 finanziell unterstützten, ist merkwürdigerweise in der russischen Diskussion über den deutschen Faschismus dagegen kein Thema.

Der Redner Nowikow bezog sich, wie später auch andere Redner, positiv auf die von dem bulgarischen Kommunisten Georgi Dimitrow 1935 entwickelte These, nach welcher der Faschismus das Instrument der „am meisten chauvinistischen und reaktionären Elemente des Finanzkapitals“ ist. 

Was aber genau Lenins Beitrag zur Faschismus-Analyse war, blieb für mich unklar. Zu Lebzeiten Lenins steckte der Faschismus ja noch in den Kinderschuhen. Er konnte also gar nichts zu dem Thema schreiben. 

Nach dem Einleitungsreferat traten 20 Teilnehmer mit meist vorbereiteten Beiträgen auf. Was mich angenehm überraschte war, dass es keinen Filter gab. So sprach etwa ein älterer Vertreter der Russischen Kommunistischen Arbeiterpartei, einer Splittergruppe, die links von der KPRF steht, aber die erste KP war, die nach dem Verbot der KPdSU 1991 in Russland gegründet wurde. 

Was mir außerdem auffiel war, dass eine Vertreterin einer linken Organisation aus Kolumbien eine lange Liste vor Forderungen aufzählte, für die ihre Organisation eintritt. Darunter war auch die Forderung für „die Rechte“ der sexuellen Minderheiten. Niemand meldete Widerspruch an. Das fand ich schon erstaunlich, denn die „LGTB-Bewegung“ ist in Russland wegen „Einmischung von Außen“ verboten. Offenbar wollte niemand das Thema unnötig aufbauschen.

Nach meinem Eindruck fehlte in diesem Workshop eine Debatte darüber, mit welchen Ideologien die politische Elite in unterschiedlichen Regionen der Welt heute ihre Macht stabilisiert. Die Macht der Medien und ihre Rolle als Filter der Wahrheit wurde nicht analysiert. Stattdessen gab es eindrückliche Beschreibungen reaktionärer Regime und heiße Aufrufe zu Sozialismus und Revolution. Dass Kultur, Medien und Parlamentsarbeit ein wichtiges Feld für oppositionelle Arbeit sind, war auf dem Workshop kein Thema.

„Verräter“ und „schwarze Internationale“

Neben Nowikow saß auf dem Podium Dimitrios Patelis, ein Philosophie-Professor aus Griechenland. Er sprach in perfektem Russisch und man merkte, dass er einen ganz anderen, einen westlichen Zugang zum Thema hatte. Patelis war einmal Mitglied der griechischen Kommunistischen Partei KKE. Heute kritisiert er diese Partei scharf und wirft ihr „Verrat“ vor. 

Die KKE, so Patelis, behaupte, im Grund seien alle, also auch schwächere kapitalistische Staaten Teil des imperialistischen Systems. Die Partei behaupte, „Anti-Imperialisten seien keine Anti-Kapitalisten“. Damit negiere die KKE die innerimperialistischen Widersprüche, die im Zweiten Weltkrieg immerhin zur Anti-Hitler-Koalition geführt hätten. Auch sei Anti-Imperialismus bei weitem keine Absage an den Klassenkampf.

Der Imperialismus der USA instrumentalisiere heute „faschistische Gebilde“ wie die Ukraine und den Krieg gegen Gaza nicht nur als Stoßkeil gegen den Sozialismus, sondern auch als Druckmittel gegen westliche Staaten, die sich dem Diktat des Imperialismus nicht unterordnen wollen. Die „schwarze Internationale“ um Donald Trump und die Rechtspopulisten in Europa richteten sich direkt gegen den Marxismus. Die heutige Welt gehe „schwanger mit einer Revolution“, denn die Widersprüche des Imperialismus seien sehr tief und „die finanziellen Kapazitäten erschöpft“. Wer heute genau die Träger einer Revolution sein könnten, sagte Patelis aber nicht. 

Redner aus China, Kuba und der Ukraine

Nach den Workshops gab es ein Plenum mit Reden(4) verschiedener Gäste aus dem Ausland. Es sprachen der Botschafter der Volksrepublik China in Moskau, Zhang Hanhui, der Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei von Weißrussland, Petr Petrowski, der Leiter der Abteilung Außenpolitik der Kommunistischen Partei von Kuba, Emilio Losada, der aus Ungarn stammende Präsident der Internationalen Assoziation der Widerstandskämpfer FIR (5), Vilmos Hanti und der erste Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Ukraine, Petro Simonenko, der 2014 aus der Ukraine flüchten musste. 

Lenin, mehr als ein Name

Zum Hintergrund möchte ich hier kurz beschreiben, was die KPRF, der Veranstalter des Forums, für eine Partei ist. Sie wurde 1993 gegründet und ist – mit jetzt 57 Abgeordneten im 450-köpfigen russischen Parlament – seit ihrer Gründung konstant stärkste Oppositionspartei in Russland. 

Wirtschaftspolitisch fordert die KPRF die Nationalisierung der Schlüsselindustrien, einen besseren Schutz von Rentnern und Kindern, mehr Investitionen in Bildung, Forschung und Gesundheitswesen und eine stärkere Besteuerung der Superreichen. An den von Liberalen geführten Protestbewegungen gegen Wladimir Putin seit 2008 hat sich die KPRF nie beteiligt.

Den Sozialismus will die Partei „auf friedlichem Weg“ erreichen. Die Forderungen der KPRF ähneln denen linkssozialdemokratischer Parteien in Europa, mit einem Unterschied: Die KPRF verehrt Stalin als Jemanden, der die sowjetische Schwerindustrie und Maschinenproduktion aufbaute und unter dessen Führung im Zweiten Weltkrieg der Sieg über Hitler-Deutschland erreicht wurde. Über politischen Terror unter Stalin spricht die Partei nicht. 

Das Verhältnis der KPRF zur russischen Macht ist durchwachsen. Zum einen lobt der Parteivorsitzende Gennadi Sjuganow Wladimir Putin dafür, dass er den russischen Staat und die Wirtschaft nach zehn chaotischen Jelzin-Jahren gerettet und faktisch wieder aufgebaut hat.  Zum anderen weist Parteichef Sjuganow die Behauptung von Putin zurück, Lenin habe durch seine Nationalitätenpolitik der Ukraine die traditionell russischen Territorien Donezk und Lugansk geschenkt, die Bevölkerung aber vorher nicht gefragt, die Russen in der Ukraine im Bereich Kultur und Sprache benachteiligt und damit einen Grundstein für die Krise in der Ukraine gelegt. 

Die „größten Russen“: Peter I., Katharina die Große, Stalin

Wladimir Putin erkennt zwar an, dass Lenin, neben Stalin und Nikolai II. die wichtigsten russischen Führer des 20. Jahrhunderts waren. Aber 2016 erklärte(6) Putin auch, Lenin habe „unter das Gebäude mit dem Namen Russland“ eine „Atombombe gelegt.“ Damit spielte der russische Präsident an auf das von Lenin eingeführte Recht nationaler Gebiete auf Autonomie und das Recht auf den Austritt aus der Sowjetunion.  

In der russischen Bevölkerung genießen Stalin, aber auch Lenin, nach wie vor hohes Ansehen. Nach einer 2023 durchgeführten Umfrage(7) des Lewada-Instituts, sind die populärsten Russen Peter der Große, Katharina die Große und Stalin mit Zustimmungswerten von 82, 71 und 65 Prozent. Das Ansehen von Lenin liegt bei 52 Prozent. Gorbatschow und Jelzin haben nach der Lewada-Umfrage dagegen nur eine Zustimmungsrate von 19 beziehungsweise 17 Prozent.

Das hohe Ansehen von Lenin und Stalin in der Bevölkerung hat viel mit einem funktionierenden System im Bereich Bildung, Gesundheit und Soziales während der Sowjetzeit zu tun. Auf diesem Gebiet fühlten sich die Eltern und Großeltern der Russen, die heute Familien gründen und Geld verdienen, gut versorgt. Und die Erinnerung an diese Versorgung, die nicht von der Geldtasche abhängig war, wie heute, wo man immer irgendwo zuzahlen muss, ist die Erklärung dafür, dass die Worte Sowjetunion, Lenin und Stalin in Russland bis heute – trotz dem Stalinschen Terror gegen Andersdenkende – einen guten Klang haben. 

Aus eben diesem Grund wurden in Russland nach 1991 keine Lenin-Denkmäler abgerissen, wie nach 2014 in der Ukraine. Und deshalb liegt Lenin immer noch im Mausoleum, obwohl einflussreiche russische Liberale vor 2022 immer wieder gefordert hatten, ihn endlich auf einem Friedhof zu beerdigen. Doch Putin erklärte, solange es noch viele Menschen gebe, die Lenin verehren, werde das nicht passieren. 

Umbenennung von Straßen auch in Russland

Die „Ent-Kommunisierung“, also die massenweise Umbenennung von Straßen und Plätzen, die sowjetische Partei- und Wirtschaftsführer ehren, gibt es nicht nur in der Ukraine. Auch in Russland gibt es Streit um Denkmäler und Namen. Der Stadtrat der nordrussischen Stadt Kirow beschloss im Dezember 2024, neun Straßen im Stadtzentrum, welche Namen von Revolutionären und marxistischen Theoretikern tragen, wie Rosa Luxemburg und Karl Marx, die ehemaligen Namen zurückzugeben, die sie vor der Oktoberrevolution hatten.(8)

Die KPRF schaltete sich ein und veranstaltete in Kirow ein „Antifaschistisches Forum“(9), auf dem klargestellt wurde, dass man nicht, wie in der Ukraine, die Geschichte umschreiben und verdiente Politiker und Wissenschaftler wie Abfall behandeln kann.  

„Revanchistische Motive“

In der vom Antifaschistischen Forum beschlossenen Abschlussresolution wird festgestellt, „die Konterrevolution“ habe zum Ende des 20. Jahrhunderts „die UdSSR und die Länder Osteuropas, den sozialistischen Pol der Erde, zeitweise geschwächt.“ Weiter heißt es, die USA und andere „kapitalistische Räuber“ kämpften heute um „die Hegemonie in der Welt“, wobei sie „neofaschistische Regime großziehen“, in der Ukraine sei es die Bandera-Ideologie. Die „Aggressivität der Imperialisten“ in der heutigen Welt hänge zusammen mit der „Zuspitzung der allgemeinen Krise des Kapitalismus.“ 

Bis zum Februar 2022 hätten sich in der antirussischen Politik der NATO-Militärs unter Führung der USA „fast 50 Satelliten-Staaten“ vereint. „Immer deutlicher“ verfolge „der westliche Block revanchistische Motive.“ Diejenigen Kräfte, die gegen Russland „aufstacheln“, seien „die gleichen Kräfte“, welche 1945 „durch die Sowjetunion und ihre Rote Armee eine Niederlage erlitten haben.“ 

Eine Neuwahl des Präsidenten werde das Problem des Faschismus in der Ukraine nicht lösen. Das Verbot der Kommunistischen Partei in der Ukraine müssen aufgehoben, die gestürzten „Denkmäler der Antifaschisten-Helden“ in der Ukraine wieder aufgestellt und das Recht, in der Ukraine die russische Sprache zu sprechen, müsse wieder hergestellt werden. 

Anmerkungen und Quellen:
(1)Das erste Antifaschistische Forum fand im April 2024 in Minsk statt.
(2) https://smotrim.ru/video/2964460 (zuletzt abgerufen 25.04.25)
(3) Interviews “Rossija 24“ mit Gästen aus Deutschland, Großbritannien und den USA
(3) http://www.kremlin.ru/events/president/letters/76771 – Deutsche Übersetzung von Putins Grußwort: «Liebe Freunde! Ich begrüße euch zur Eröffnung des Internationalen Antifaschistischen Forums, das dem 80. Jahrestag des Sieges des sowjetischen Volkes im Großen Vaterländischen Krieg gewidmet ist. – Das Forum, das auf Initiative der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation und anderer gesellschaftspolitischer Kräfte des Landes organisiert wurde, hat Teilnehmer aus vielen Staaten in Moskau zusammengebracht: bekannte Politiker, Vertreter von Gewerkschaften, Veteranen-, Frauen- und Jugendbewegungen. – Ich möchte betonen, dass alle parlamentarischen Parteien Russlands und alle verantwortungsbewussten gesellschaftspolitischen Vereinigungen eine konsolidierte patriotische Position vertreten, die Souveränität des Landes verteidigen und gute Beziehungen zu unseren ausländischen Partnern und allen Menschen pflegen, denen die Ideale des Friedens und der Gerechtigkeit am Herzen liegen. Gemeinsam setzen sie Initiativen um, die darauf abzielen, das historische Gedächtnis an den blutigsten Krieg des 20. Jahrhunderts und an die unsterbliche Heldentat der Soldaten und Kommandeure der Roten Armee, die den Nationalsozialismus besiegt haben, zu bewahren. – Ich möchte betonen, dass es heute wichtig ist, unsere Kräfte zu bündeln, um die Ausbreitung von Rassismus, Nazismus, Faschismus, Russophobie, Antisemitismus und anderen aggressiven Ideologien, die auf Hass, Intoleranz und der Propaganda nationaler Ausgrenzung beruhen, auf unserem Planeten zu verhindern. Das ist unsere gemeinsame Pflicht gegenüber den heutigen und zukünftigen Generationen. – Ich wünsche Ihnen viel Erfolg und alles Gute. – Wladimir Putin
(4) Video des Plenums https://ya.ru/video/preview/268336585100017627
(5) Kategorie Aktuelles – Fédération Internationale des Résistants
(6) https://www.kommersant.ru/doc/2897423
(7) https://www.kommersant.ru/doc/6172134
(8) https://rossaprimavera.ru/article/2153e919
(9) https://ya.ru/video/preview/6171614133078265860

veröffentlicht in: Globaldbridge.ch

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