20. January 2009

Blut und Kerzen in Moskaus Schnee

Von Ulrich Heyden, Moskau

In der Pretschistenka-Straße im Zentrum Moskaus vor dem weiß getünchten Altbau aus Zarenzeiten gedachten gestern Hunderte von Menschen dem Mord an dem russischen Menschenrechts-Anwalt Stanislaw Markelow und der Journalistin Anastasia Baburowa. Der 34-jährige Anwalt war am Montag direkt nach einer Pressekonferenz, die er selbst gegeben hatte, erschossen worden.

Auf der Pressekonferenz hatte der bekannte Jurist angekündigt, er werde die vorzeitige Freilassung des russischen Oberst Juri Budanow, der wegen der Vergewaltigung und dem Mord an der Tschetschenin Elsa Kungajewa achteinhalb Jahre in einem Arbeitslager gesessen hatte, anfechten. Budanow war zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Letzte Woche wurde er auf Bewährung freigelassen.

Mehrfache Morddrohungen


Markelow, der in der letzten Zeit mehrere Morddrohungen wegen seines Engagements im Fall Budanow bekommen hatte, wurde von einem unbekannten Killer von hinten erschossen. Die 25-jährige Journalistin Anastasia Baburowa, die den Anwalt begleitete, hatte versucht, den Mörder festzuhalten. Er tötete sie mit einem Kopfschuss; sie starb in einem Krankenhaus. Moskauer Menschenrechtler wiesen darauf hin, dass der Mord am helllichten Tage einen demonstrativen Charakter hatte.

Die bekannte Journalistin Julia Latynina meinte, hinter dem Anschlag steckten Faschisten. Für diese Version spricht, dass Markelow und Baburowa den Hass der russischen Ultranationalisten auf sich gezogen haben. Schon während der Gerichtsprozesse 2002 demonstrierten Kosaken und Rechtsradikale für den Oberst, den sie als „Held Russlands“ verehrten.

Die Journalistin Anastasia Baburowa berichtete für verschiedene Moskauer Zeitungen, unter anderem für die „Iswestija“ und die „Nowaja Gaseta“, über das Treiben der russischen Skinheads. Der Vertreter des Ermittlungskomitees der russischen Staatsanwaltschaft, Wladimir Markin, erklärte, man ermittele in verschiedene Richtungen. Der Tod des Anwalts „könne“ mit seiner beruflichen Tätigkeit zusammenhängen.

Unter den Trauernden in der Pretschistenka-Straße waren Menschenrechtler, Links-Aktivisten, Kommilitonen von Baburowa und Kollegen von Markelow. Alle waren erschüttert, denn in Moskau geht der Tod um. 2006 wurde die Journalistin Anna Politkowskaja, die über den Tschetschenien-Krieg berichtete, erschossen. Der Mord wurde bisher nicht aufgeklärt.

Polizei bedrängt Trauernde


Im September wurde Ruslan Jamadajew, ein hoher tschetschenischer Militär und Konkurrent des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow, mitten in Moskau erschossen. Der Tschetschenienkrieg – offiziell seit 2003 zu Ende – verfolgt Russland bis heute.

Die Trauernden in der Pretschistenka-Straße stellten Bilder der Ermordeten auf einen kleinen Mauer-Vorsprung. Dort, wo noch die Blutspuren der Ermordeten zu sehen waren, türmte sich ein Berg roter Nelken. Kerzen flackerten im Schnee. Auch der Menschenrechtsbeauftragte des russischen Präsidenten, Wladimir Lukin, legte Blumen nieder. Die Polizei versuchte, die Trauernden zur Seite zu drängen. „Das ist hier kein Friedhof“, sagte einer der Polizisten. Aber es kamen immer mehr Menschen.

Es ist das erste Mal in der neueren Geschichte Russlands, dass ein Anwalt, offenbar aus politischen Gründen ermordet wurde. Doch die zentralen Fernsehkanäle, Rossija und ORT, hatten das Thema gestern schon abgehakt. Nur der Fernsehkanal NTW brachte einen kurzen Bericht über die Ermittlungen und die Trauer-Kundgebung auf der Straße.

Oberst zeigt sich geläutert

Oberst Budanow erklärte in einem Interview mit der „Komsomolskaja Prawda“, er habe mit dem Mord nichts zu tun. „Wozu brauchte ich so was?“ Der Oberst, der noch im Jahr 2000 mit Freude Panzersalven auf tschetschenische Dörfer abfeuern ließ – die Bilder wurden im russischen Fernsehen gezeigt – präsentiert sich jetzt vollständig geläutert. Der Mord sei eine „gemeine Provokation“. Jemand wolle „einen Keil zwischen Russen und Tschetschenen treiben“.

Das Blatt kommentierte, den Mördern sei es wohl „weniger um den Mord als um den daraus entstehenden Lärm“ gegangen. Nun werde Russland wieder mit Vorwürfen der „Menschenrechtler aller Länder“ und des nach London geflohenen Oligarchen Boris Beresowski überschüttet. Ein „unsichtbarer Dirigent“ leite die Empörung, mit der „erneut ein Keil zwischen den Kaukasus und das übrige Russland getrieben werden soll“.

"Sächsische Zeitung"

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