5. July 2014

Bomben auf das Dorf Staraja Kondraschowka

In der Ostukraine werden immer mehr Zivilisten Opfer der »Anti-Terror-Operation« der Kiewer Regierung

In dem Dorf am Ostrand der Ukraine gab es keine Stellungen der Separatisten. Sieben Menschen starben, als fünf Fliegerbomben niedergingen. Insgesamt sind bereits mehrere Hundert Zivilisten gestorben - Hunderttausende auf der Flucht.

Moskau. Vor den schwer beschädigten Häusern des ostukrainischen Dorfes Staraja Kondraschowka hockten am Mittwoch verzweifelte Menschen. Ältere Frauen fragten die aus Russland angereisten Fernsehjournalisten der Sender Russia today und NTW: »Wofür bestraft man uns?« Die Frage liegt auf der Hand, denn in dem Dorf gab es keine militärischen Stellungen der Aufständischen.

Trotzdem gingen am 2. Juli fünf Fliegerbomben in dem Ort nieder. Sie wühlten tiefe Krater in die Dorfstraße und zerstörten mehrere Häuser. Entweder hat der Pilot zu spät auf den Knopf gedrückt – die nächste Stellung der Separatisten ist drei Kilometer weit entfernt – oder er hat wirklich den Befehl bekommen, das friedliche Dorf zu bombardieren, grübelt Juri, ein Anwohner, der früher Militärpilot war.

Auf der Dorfstraße von Kondraschowka, wo sonst Kinder mit ihren Fahrrädern entlangrasen, lagen tote Anwohner unter Decken. Sieben Tote, darunter ein fünfjähriger Junge, und elf Verletzte waren Folge des Luftangriffes an jenem Tag, als Außenminister Franz-Walter Steinmeier in Berlin mit seinen Kollegen aus Paris, Moskau und Kiew über Waffenruhe für die Ukraine verhandelte.

In den Häuserruinen brannte es noch, als die Journalisten in das Dorf kamen. Die Anwohner schimpften auf den Präsidenten »mit der Schokoladen-Fres…«. Alexander, ein Anwohner von etwa 35 Jahren, forderte die Korrespondenten im Befehlston auf, seine Mutter und seine Großmutter zu filmen. Die lagen mit abgerissen Gliedmaßen unter einer weißen Gardine. »Hier liegen Terroristen«, ruft Alexander verzweifelt. Seine Stimme überschlägt sich. Wird er jemals wieder mit Menschen aus Kiew normal sprechen können? Oder wird er jetzt selbst zur Waffe greifen?

Wie immer bei Angriffen auf zivile Objekte erklärt die Leitung der Anti-Terror-Operation, die Verantwortung für die Toten trügen »die Terroristen«. Die hätten einen »tückischen Angriff« mit Granatwerfern gegen den Ort ausgeführt, um die ukrainischen Armee dann dafür verantwortlich zu machen.

Doch überraschend kommt ein Eingeständnis von dem stellvertretenden Kommandeur der ukrainischen Spezialeinheit »Asow«, Igor Mosijtschuk. Der erklärt gegenüber dem ukrainischen Fernsehkanal »112«, es könne sein, dass es sich bei dem Bombardement auf das Dorf Kondraschowka um einen »Pilotenfehler« handelte.

Immer mehr ähnelt die Anti-Terror-Operation der Armee und der Spezialeinheiten einer Strafaktion gegen die russischsprachige Bevölkerung im Südosten der Ukraine. Immer wieder werden unbeteiligte Zivilisten getötet. Auf die Gebietsverwaltung von Lugansk feuerte ein Kampfflugzeug eine Rakete ab, das Gewerkschaftshaus von Odessa wurde in Brand gesteckt und in Mariupol wurden Passanten auf offener Straße von ukrainischen Soldaten erschossen. Mehrere Hundert Zivilisten sind im Bürgerkrieg in der Ostukraine schon gestorben, über Hunderttausend nach Russland und Zehntausende in andere Regionen der Ukraine geflüchtet.

veröffentlich in: Neues Deutschland

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