An der Straße vom Flughafen Wnukowo in die Moskauer Innenstadt hingen große, blaue Plakate, auf denen Xi Jinping auf Chinesisch begrüßt wurde. Die Mitglieder der chinesischen Delegation trugen auf dem Gipfel die ganze Zeit über weiße Masken mit einer kleinen aufgedruckten chinesischen Flagge. Die russische Delegation trug schwarze Masken, aber nicht durchgehend.
Nur „Deals“ oder mehr?
Сhina und Russland „unterzeichneten neue Deals“. So lautete nach dem Treffen von Putin und Xi Jinping die Überschrift bei „Spiegel Online“.
Das Wort „Deal“ sollte wohl ausdrücken, dass die Beziehungen zwischen Russland und China rein wirtschaftlicher Natur sind und es keine gemeinsamen politisch-strategischen Ziele gibt. Doch der Gipfel in Moskau fand in ausgesprochen brüderlicher Atmosphäre statt. Dass Xi Jinping den russischen Präsidenten in Bezug auf die Ukraine in eine bestimmte Richtung drängt, wie vom Westen erhofft, war nicht zu bemerken.
Je stärker die USA und westliche Staaten Signale geben, die China beunruhigen, wie die demonstrativen Besuche auf Taiwan oder Militärmanöver in den an China grenzenden Meeren, desto mehr fallen die Interessen von China und Russland zusammen. Beide Staaten fürchten militärische Aggressionen westlicher Staaten.
Die verschiedenen Gesprächsrunden im Kreml waren erfolgreich und – so Putin – Ausdruck von „Partnerschaft und strategischer Zusammenarbeit“. Es begann mit einem Vier-Augen-Gespräch zwischen Putin und Xi Jinping und ging weiter mit größeren Runden, an denen auch der russische Ministerpräsident Michail Mischustin teilnahm.
Xi Jinping und Putin unterschrieben zwei Dokumente, ein Dokument über die „Vertiefung der allseitigen Partnerschaft“ und einen Plan „für die Entwicklung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit bis 2030“, bei dem es um acht verschiedene Wirtschaftssektoren geht, insbesondere um Handel über elektronische Instrumente, die Verbesserung der logistischen Systeme und die Sicherstellung der globalen Energiesicherheit.
Handel hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt
Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Russland und China verzeichnen seit zehn Jahren ein starkes Wachstum. Vor zehn Jahren hatte der chinesische Staatspräsident bei seinem Besuch in Moskau erklärt, er hoffe, dass das Handelsvolumen mit Russland die Marke von 100 Milliarden Dollar erreicht. Bei dem Besuch Anfang der Woche sagte Xi Jinping, dass das Handelsvolumen zurzeit bei 200 Mrd. Dollar liegt. Ein am Dienstag beschlossenes chinesisch-russisches Investitions-Programm umfasst 79 Projekte mit einem Investitionsvolumen von 165 Milliarden Dollar. Zwei Drittel des Handels laufen schon jetzt über die Landeswährungen Rubel und Yuan.
Die Führer Russlands und Chinas vereinbarten fast alle Details über eine zweite Gas-Pipeline – „Sibiriens Kraft 2“ von Russland nach China. Der Vertrag über die zweite Pipeline wurde in Moskau jedoch noch nicht unterschrieben. Es gibt noch keine Einigung über den Gaspreis.
Die zweite Pipeline soll über das Territorium der Mongolei führen. Über „Sibiriens Kraft 2“ sollen jährlich 50 Milliarden Kubikmeter russisches Gas nach China gelangen.
Der Vertrag über die Pipeline „Sibiriens Kraft 1“ war von China und Russland im Mai 2014 unterschrieben worden. Das erste Gas über diese Pipeline nach China wurde 2019 geliefert. Die zweite Pipeline werde schneller in Betrieb genommen, meint das russische Portal vzglyad.ru, da die Gas-Ressourcen bereits erschlossen seien. Je stärker China unter den US-Sanktionen leiden werde, desto eher werde Peking bereit sein, auf die russische Preisforderung einzugehen, so das Portal „vzglyad“.
Der chinesische Friedensplan
Der russische Präsident erklärte, die Positionen Russlands und Chinas seien sehr ähnlich. Beide Länder seien entschieden gegen Staaten oder Staatenblöcke, welche anderen Staaten „Schaden zufügen“. In dem gemeinsam unterzeichneten Dokument heißt es, die Beziehungen zwischen Russland und China seien „gereift, stabil, selbstständig und stark“. Man habe in der Pandemie und der „turbulenten internationalen Lage unverletzt von äußerer Einmischung durchgehalten“. Es gäbe keine „höhere Demokratie“. Alle Staaten können sich nach dem eigenen Modell entwickeln und den Weg zur Entwicklung der Menschenrechte selbst bestimmen. Beide Länder verurteilen „bunte Revolutionen“. Um derartige Einmischungsversuche von außen zu unterbinden, wollen die Innenminister der beiden Länder einmal im Jahr zusammenkommen.
Putin erklärte, viele Punkte in dem chinesischen Friedensplan könnten Grundlage für eine Friedensverhandlung mit der Ukraine sein. Doch Friedensverhandlungen würden erst möglich, wenn Kiew und der Westen dazu bereit seien. Zurzeit sei eine solche Bereitschaft nicht zu sehen, so der russische Präsident.
Politiker in den USA und Europa hatten am Montag und Dienstag auf „Unzulänglichkeiten“ im chinesischen Friedensplan hingewiesen. US-Außenminister Antony Blinken hatte erklärt, die Friedensinitiative von China sei „beunruhigend“, weil in dieser Initiative kein Aufruf zum Rückzug der russischen Truppen von besetztem Territorium enthalten sei.
Wird sich China weiter an westliche Sanktionen halten?
Ob China sich weiter an das westliche Sanktionsregime gegen Russland halten wird, ist unter westlichen und russischen Experten umstritten. Westliche Experten meinen, die Zusammenarbeit zwischen China und den westlichen Staaten sei weiter entwickelt als die Zusammenarbeit mit Russland, weshalb China die Sanktionen nicht verletzen und keine Waffen an Russland liefern werde.
Der Direktor des russischen China- und Asien-Instituts, Kirill Babajew, dagegen erklärte gegenüber dem russischen Portal RBK, die Einhaltung des US-Sanktionsregimes habe „China nichts eingebracht“. Peking werde daraus „seine Schlüsse ziehen und prüfen, ob die Einhaltung der Sanktionen sinnvoll ist“. Offizielle russische Stellen hätten darauf hingewiesen, dass es zurzeit keinen Bedarf an Waffenlieferungen an Russland gibt. Einzelteile, welche die russische Schwerindustrie brauche, würde Russland „gerne von China beziehen“. Das seien Waren „vorwiegend für zivile Produktion“.
Nesawisimaja Gaseta: „Der Dollar wird zurückgedrängt“
Die Überschriften der russischen Tageszeitungen waren nach dem Gipfel durchweg positiv: „Moskau hilft dem Yuan, den Dollar zurückzudrängen“ (Nesawisimaja Gaseta), „Der Rubel mit dem Yuan – Brüder auf ewig“ (Moskowski Komsomolez), „Der Peking-Witz. Xi Jinping bekam im Namen von Wladimir Putin Ente im ukrainischen Borsch.“ (Kommersant, in der Borsch-Suppe gibt es in der Regel Rindfleisch).
Ungeachtet der guten Stimmung, die von dem Gipfel ausging, gibt es bei vielen Russen eine gewisse Skepsis gegenüber China. Denn das fernöstliche Land ist Russland von seiner Bevölkerungszahl und seiner Wirtschaftskraft weit überlegen. Manche Russen fürchten, China könne langsam wirtschaftlich in dem nur schwach besiedelten Sibirien Fuß fassen, sodass die Region langsam ihren russischen Charakter verliert. Auch gab es in der chinesisch-sowjetischen Geschichte Spannungen, an welche sich die ältere Generation noch erinnert, wie 1969 an einen Grenzkonflikt am sibirischen Fluss Amur. Der Streit wurde erst 2003 mit einem Grenzabkommen beigelegt.
Britische Uran-Munition für die Ukraine
Wladimir Putin erklärte am Dienstag in seiner Stellungnahme auf der abschließenden Pressekonferenz, wie er gerade erfahren habe, wolle Großbritannien an die Ukraine Panzergranaten mit abgereichertem Uran liefern. Sollte sich diese Nachricht bestätigen, werde Russland darauf reagieren, erklärte der Kreml-Chef, ohne ins Detail zu gehen. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, erklärte am Mittwoch, es sei kein Zufall gewesen, dass der stellvertretende britische Verteidigungsminister die Lieferung von uranhaltigen Panzer-Granaten in dem Moment ankündigte, als Putin und Xi Jinping ihre Pressekonferenz abhielten.
Dass am Dienstag der Ministerpräsident von Japan, Fumio Kishida, Kiew besuchte, war wohl ebenfalls kein Zufall, vermutet der Autor dieser Zeilen. In Moskau läuten die Alarmglocken, wenn Mächte wie Deutschland und Japan, die im Zweiten Weltkrieg zusammen mit Italien eine Koalition gegen die Sowjetunion bildeten, heute erneut militärisch gegen Russland auftrumpfen. Japan hat sein Militärbudget verdoppelt und kurbelt jetzt die Rüstungsproduktion an.
veröffentlicht in: Nachdenkseiten