Das Fass leckt
ÖLPREIS
Von über 150 auf knapp 60 Dollar in nur vier Monaten: Der Kursverfall reißt die wichtigsten Förderländer mit in die Krise
Russland
Von Panik und Katastrophenstimmung will der Kreml nichts wissen, trotz Verlusten an der Moskauer Börse von 60 Prozent und Fall des Ölpreises um die Hälfte. Mit stoischer Miene verweist die Staatsspitze auf die russischen Sicherheitspolster. Im Übrigen seien die USA der Übeltäter.
Russlands Devisenreserven, die drittgrößten der Welt, sind zwar seit August um 13,7 Prozent (das entspricht 81,8 Milliarden US-Dollar) auf 515,7 Milliarden US-Dollar abgeschmolzen, doch das Geld reiche glatt für zwei Krisenjahre, behauptet Finanzminister Aleksej Kudrin. Und Vizepremier Schuwalow pflichtet ihm bei. „Wir haben jetzt ein Sicherheitspolster, sodass alle sozialen Verpflichtungen erfüllt werden.“ Das Bankensystem werde nach einem kleinen Umbau „ideal arbeiten“. Damit die russischen Banken und Unternehmen ihrer Auslandskredite abbezahlen können, stellte der Staat Hilfen in Höhe von 171 Milliarden Euro bereit. Alles scheint unter Kontrolle.
Finanzminister Kudrin gibt allerdings zu, dass der Haushalt, der seit mehreren Jahren im Plus liegt, bei einem Ölpreis von unter 70 US-Dollar pro Barrel ins Minus rutscht. Während Kudrin ein Sinken des Wirtschaftswachstums – zurzeit 7,7 Prozent – um einen Punkt für wahrscheinlich hält, gehen die von der Wirtschaftszeitung „Wedomosti“ befragten Experten für 2009 von einem Sinken des Wachstums auf fünf Prozent aus. Wenn die Stützungsmaßnahmen der Regierung nicht greifen, müsse man für 2009 sogar mit einem Null-Wachstum rechnen.
Starker Abwertungsdruck kommt offenbar von den russischen Banken, die nach Meinung von Michail Deljagin, Direktor des Instituts für Probleme der Globalisierung, die Finanzhilfen des Staates in Dollar und Euro umtauschen. Die Zentralbank tue nur so, als ob sie die Prozesse kontrolliere, meint Deljagin und sieht eine gefährliche Parallele zur Finanzkrise 1998, als der Rubel zwei Drittel seines Wertes verlor.
Um ein weiteres Absacken des Ölpreises zu verhindern, sucht Moskau den Kontakt zur Opec. Der Generalsekretär des Ölkartells, Abdallah Salem al-Badri, traf sich kürzlich in Moskau mit dem russischen Präsidenten Dimitri Medwedjew. Der erklärte: „Die Interaktion mit der Opec ist eines der Schlüsselgebiete für unsere Energieunternehmen und für die Entwicklung unserer Energiepolitik.“ Russland sei „an der Aufrechterhaltung stabiler und kalkulierbarer Ölpreise interessiert“. Vizepremier Igor Setschin gab bekannt, man erwäge, „einige Erdölquellen zu versiegeln und als Reserve zu nutzen, um noch effizienter auf dem Preismarkt zu arbeiten“. Technisch sei das kurzfristig aber nicht zu realisieren, meinen Experten.
Ulrich Heyden, Moskau
"Rheinischer Merkur"