Das Traumland im Westen
Wenn die Russen an Deutschland denken, dann sind sie guter Stimmung, denn sie denken dann ausschließlich an angenehme Dinge, tolle Autos, höfliche Polizisten, perfekt-glatte Straßen, freundliche Passanten, gemütliche Städte, leckeres Gebäck und preisgünstiges Shoppen. Die Russen zieht es vor allem in den Süden Deutschlands.
Sie schwärmen anhaltend von Schloss Neuschwanstein, vom Zwinger in Dresden und vom schönen München. Die süddeutsche Lebensart ist den Russen näher als die norddeutsche.
Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts WZIOM sind zwölf Prozent der Russen der Meinung, dass es gut wäre, wenn Russland so wäre wie Deutschland. Danach folgen mit großem Abstand die USA und die Schweiz (jeweils vier Prozent).
13 Prozent der Russen wollen gerne in Deutschland leben, zehn Prozent in den USA und jeweils fünf Prozent in Frankreich und England, ermittelte das Meinungsforschungsinstituts WZIOM. Nur was die Ausbildung betrifft, ziehen die Russen England vor. 15 Prozent würden dort gerne eine Ausbildung absolvieren. Für Deutschland entscheiden sich, was die Ausbildung betrifft, nur acht Prozent.
17 Prozent der Russen sind der Meinung, dass Deutschland zu den „engsten Freunden und Verbündeten Russlands“ gehört, ermittelte das Lewada-Meinungsforschungsinstitut. Damit liegt Deutschland nach Weißrussland und Kasachstan auf Platz drei.
Es gibt jedoch Dinge in Deutschland, welche die Russland kalt lassen oder sogar abtörnen. Eine Frauenquote zur Absicherung der Gleichberechtigung erinnert die Russen an Sowjetzeiten, als es an den Universitäten Quoten für einzelne Nationalitäten gab. Nichts wissen wollen die Russen auch von schwulen Bürgermeistern und Multikulti. Als Angela Merkel im Oktober 2010 erklärte, Multikulti sei gescheitert, traf das auf begeisterte Zustimmung der konservativen Mehrheit unter den russischen Intellektuellen. Die Russen verstehen nicht, warum in Deutschland so viele Türken leben. Dass die Gastarbeiter in den 1960er Jahren ganz offiziell von der Bundesregierung angeworben wurden, wollen sie nicht glauben. Der normale Russe ist sich ganz sicher, dass Gastarbeiter, wie in Russland – wo es gegenüber den ehemaligen Sowjet-Staaten Visa-Freiheit gibt – „einfach so“ über die Grenze kommen.
Im Gespräch mit Russen hört man immer wieder die Meinung, wie gut sich Russland und Deutschland doch ergänzen. „Wir haben die Rohstoffe, ihr die moderne Technologie“, oder „Wir sind ungestüm, ihr rational und zuverlässig“, heißt es in Gesprächen immer wieder. Ihr idealisiertes Deutschland-Bild wollen sich die Russen von niemandem vermasseln lassen. Dass es auch in Deutschland Bauprojekte gibt, die sich über Jahre hinziehen, wie die Elb-Philharmonie in Hamburg und der neue Flughafen von Berlin, wird als „Ausnahme“ abgetan.
Trotz des Zweiten Weltkrieges mit seinen Millionen Toten haben die Russen keinen Hass mehr auf die Deutschen. Im Zweiten Weltkrieg habe man gegen die Faschisten, nicht gegen die Deutschen gekämpft, hört man im Gespräch immer wieder. Die Deutschen hätten ja marschieren müssen, weil sie einen Diktator hatten. Dass dieser Diktator 1933 in freien Wahlen an die Macht kam, ist in Russland weitgehend unbekannt.
Zu der positiven Haltung der Russen gegenüber Deutschland haben auch die staatlichen russischen Medien beigetragen, die das starke Deutschland und Bundeskanzlerin Merkel als natürlichen Verbündeten preisen. Über Merkel – die aufgrund ihrer Schullaufbahn in der DDR übrigens fließend Russisch spricht – hört man im Gespräch mit Russen niemals ein schlechtes Wort. Dabei schwingt immer auch die Hoffnung mit, Deutschland werde sich stärker Russland zuwenden und sich weniger treu gegenüber den USA zeigen. Wenn es von deutschen Politikern Kritik an Präsident Wladimir Putin oder undemokratischen Entwicklungen in Russland gibt, wird das von den Kreml-nahen Medien entweder verschwiegen oder nur am Rande erwähnt.
Für die Forderung von Angela Merkel, die südeuropäischen Länder müssten im Zuge der Euro-Krise ihre Schulden bezahlen, haben die Russen viel Verständnis. Dass die Sowjetunion zusammengebrochen ist, habe daran gelegen, dass so viele arme Bruderstaaten durchgeschleppt werden mussten, so die weitverbreitete Meinung.
veröffentlicht in: Südkurier