13. June 2019

In den deutsch-russischen Beziehungen weichen die Fronten auf

Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer traf am 7. Juni den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Bild: Kreml/CC BY-SA-4.0
Foto: Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer traf am 7. Juni den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Bild: Kreml/CC BY-SA-4.0
Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer fordert das Ende der Sanktionen gegen Russland. Die russische Politikerin Veronika Krascheninnikowa warnt die russische Öffentlichkeit vor falschen Hoffnungen auf die AfD. 
 

In Russland kritisieren bekannte Politologen und Politiker wie Fjodr Lukjanow, Chefredakteur der Zeitschrift Russia in Global Affairs, und Veronika Krascheninnikowa, Mitglied des Führungsrates der Regierungspartei Einiges Russland, die Zusammenarbeit russischer Politiker mit der AfD. Andere russischen Politiker freuen sich über die guten Wahlergebnisse der Rechtspopulisten, da das "den antirussischen Konsens im Europa-Parlament schwächt".

Auch in Deutschland weichen die Fronten auf. Wenn es um die Russland-Sanktionen geht, spricht die Regierungspartei CDU neuerdings mit verschiedenen Zungen. Am vergangenen Wochenende unterschrieb CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier auf dem St. Petersburger Wirtschaftsforum zusammen mit dem russischen Minister für wirtschaftliche Entwicklung Maksim Oreschkin eine politische Erklärung für eine "Effizienzpartnerschaft". Die sieht eine Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Energieeffizienz und beim Austausch von Fachkräften vor. An den Sanktionen gegen Russland will Altmaier aber ausdrücklich nicht rütteln.

Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer dagegen forderte auf dem St. Petersburger Wirtschaftsforum das Ende der Sanktionen gegen Russland, weil sie nichts brächten und der sächsischen Wirtschaft schaden. Doch das war noch nicht alles. Kretschmer lud Wladimir Putin nach Sachsen ein. Mit diesem Paukenschlag verstieß der sächsische Ministerpräsident offenbar gegen alle Regeln des "politischen Anstands".

Sturm der Empörung gegen Kretschmer

Es folgten ein Sturm der Empörung und Zurechtweisungen. Der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz Wolfang Ischinger forderte Kretschmer auf, sich einen neuen außenpolitischen Berater zu besorgen. Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer erklärte, solange sich am russischen Verhalten in der Ost-Ukraine nichts ändere, "gibt es auch keinen Spielraum für eine Änderung in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit".

Vertreter der sächsischen Wirtschaft dagegen verteidigten Kretschmer.

Heftige Schelte bekam der sächsische Ministerpräsident von der "Zeit" . Besonders störte sich die Wochenzeitung an der Aussage Kretschmers, die Menschen in Ostdeutschland seien "Russland zugewandt". Kretschmers Äußerungen seien "gefährlich", urteilte Zeit-Redakteur Steffen Dobbert, "weil er mit seinen Aussagen erstens die Sowjetunion sowie die DDR verherrlicht, zweitens Putins Kriegsverbrechen verharmlost und drittens an der Spaltung der deutschen sowie europäischen Gesellschaft mitarbeitet."

Michael Kretschmer findet die Kritik an seiner Forderung nach Aufhebung der Sanktionen "überheblich" und "verstörend".

Warum werden jetzt Fühler nach Russland ausgestreckt?

Die Bundesregierung und die großen deutschen Medien können nicht die Augen vor einer realen Gefahr verschließen. Deutschen Unternehmen, die sich am Bau des zweiten Strangs der Ostseepipeline beteiligen, wird von Seiten der USA mit Sanktionen gedroht. Warum also nicht neue Fühler nach Moskau ausstrecken. So kann man den USA zeigen, dass die Tür nach Russland nicht völlig verschlossen ist und vielleicht Aufträge für die deutsche Wirtschaft retten, die sonst an China oder andere Länder gehen.

Wie man die Fühler nach Russland ausstreckt und welche politischen Signale man setzt, ist allerdings heftig umstritten. Doch der Fraktion "Weiter so" gehen allmählich die Argumente aus. Leute wie Kretschmer drücken das aus, was vor allem viele Menschen in Ostdeutschland denken.

"Die Russen mögen es, auf etwas zu hoffen"

Die russische Politikerin Veronika Krascheninnikowa, die seit einem Jahr öffentlich die Zusammenarbeit russischer Politiker mit Rechtspopulisten kritisiert, glaubt nicht, dass es zu einer Aufhebung der Sanktionen gegen ihr Land kommt. Nach den EU-Wahlen erklärte sie auf einer Pressekonferenz in Moskau, man solle sich keinen Illusionen hingeben, zu einer Aufweichung der antirussischen Sanktionen werde es nach der EU-Wahl nicht kommen.

Die Russen mögen es, etwas zu hoffen. Nach der "Befreiung" von der Sowjetunion hoffte man auf eine ewige Freundschaft mit den USA. Man hoffte auf den "Freund Bill", auf "unseren Trump". Und jetzt gibt es für die Hoffnung ein ganzes Sortiment von "Euroskeptikern".

Veronika Krascheninnikowa

Die 47 Jahre alte Politikerin erklärte, die Rechtspopulisten in der EU - in Russland "Euroskeptiker" genannt - seien nichts anderes als "Hochstapler". Der "prorussische" Salvini habe immer wieder seine Liebe zu Russland erklärt, er habe ein Putin-T-Shirt getragen und versprochen "gegen die Sanktionen zu stimmen". Nun sei er schon über ein Jahr an der Macht "und er hat immer für die Verlängerung der Sanktionen gestimmt". Den Bau der zweiten Ostseepipeline garantieren könne nicht die "Alternative für Deutschland", sondern nur die deutsche Kanzlerin.

Russland im Zerrbild

Vor der EU-Wahl hatten die großen deutschen Medien gewarnt, Russland werde versuchen, zugunsten der Rechtspopulisten auf die Wahlen Einfluss zu nehmen. Wochenlang wurden über den Bundestagsabgeordneten der AfD, Markus Frohnmaier, berichtet, einen angeblichen russischen Einflussagenten, über den es in einem angeblichen russischen Strategiepapier heiße, er stehe unter "absoluter" russischer Kontrolle.

Stichhaltige Belege für die Behauptung wurden nicht beigebracht. Offenbar ging es den großen deutschen Medien vor allem darum, mit Verdächtigungen gegen Russland Pluspunkte gegen die AfD zu sammeln, die immer mehr zu einer Gefahr für die alten Volksparteien wird.

Russland als Drohbild kam im Fall Frohnmaier zu pass. Über die AfD-Dissidentin und Buch-Autorin Franziska Schreiber, die Ende Januar vor der russischen Gesellschaftskammer auftrat und vor der AfD warnte, berichteten die großen deutschen Zeitungen keine Zeile. Denn die AfD-Dissidentin eignete sich nicht für die Erzählung vom "gefährlichen Russland".

"Traditionelle Familienpolitik kein Pfeiler der Außenpolitik"

Seit dem Maidan 2013 und dem Staatsstreich in Kiew im Februar 2014, den Moskau als weiteren Schritt einer aggressiven Osterweiterung der EU und der Nato wahrnahm, ist Russland auf Suche nach Partnern in Europa. Da die Sozialdemokraten und Sozialisten, die in den 1970er Jahren die Entspannungspolitik mit der Sowjetunion unterstützten, sich in die Front der Russland-Kritiker eingereiht haben, blieben als Bündnispartner mit politischem Einfluss nur noch die Rechtspopulisten.

Veronika Krascheninnikowa kritisiert, dass die Bereitschaft russischer Politiker, mit Rechtspopulisten "und anderen Rechtsradikalen" aus der EU zusammenzuarbeiten, Ausdruck von Naivität und "Opportunismus" sei. Nutzen aus dieser Zusammenarbeit zögen nur die Rechtspopulisten. Das Image von Russland als das Land, welches Hitler-Deutschland besiegte, werde durch diese Zusammenarbeit beschädigt.

Andere bekannte Russen, wie der Fernsehmoderator Wladimir Solowjow, betonen dagegen die konservativen Werte in Russland und stelle sie als positives Markenzeichen Russlands heraus. In einer Talkshow erklärte der Fernsehmoderator in Anspielung auf die westliche Behauptung, Russland bedrohe Europa: "Wir bedrohen mit unseren Traditionen und Werten. Wir schreiben die Geschichte nicht um. Wir führen keine Gay-Paraden durch. Wir lassen nicht zu, dass man uns von außen (gemeint ist Amerika, U.H.) manipuliert und wir schämen uns nicht für unseren Patriotismus." Russland mache alles das, was Europa nicht mache. Europa verstecke heute "schamvoll seine christlichen Wurzeln". Es lebe mit "pseudoliberalen Werten". Die Folge seien "Konflikte zwischen den Konfessionen und verirrte Moral-Vorstellungen".

Christliche Werte - Anspruch und Realität

Der von russischen Talkshow-Moderatoren rigoros vorgetragene Konservatismus verträgt sich freilich nicht mit den russischen Alltagserfahrungen. Ist es denn mit den christlichen Werten vereinbar, dass der Gouverneur von Jekaterinburg zusammen mit den Direktoren zweier metallverarbeitender Großunternehmen auf Biegen und Brechen eine neue Kirche im einzigen Park im Stadtzentrum von Jekaterinburg bauen wollte? Das Projekt scheiterte am massenhaften Widerstand junger Leute, die tagelang protestierten.

Und wie ist es mit den christlichen Werten zu vereinbaren, dass der Graben zwischen Arm und Reich in Russland immer größer wird? Seit Anfang der 2000er Jahre gibt es in Russland den festen Einkommens-Steuersatz von 13 Prozent, egal ob Arbeiter oder Milliardär. Warum macht die russische Regierung keinerlei Anstalten, die von kritischen Ökonomen und Kommunisten geforderte progressive Einkommenssteuer einzuführen, um Spitzenprofite der Großunternehmer für das Gemeinwohl abzuschöpfen?

Hofberichterstattung für die AfD im russischen Fernsehen

Die russischen Fernsehkanäle haben über die Rechtspopulisten in Europa in den vergangenen Jahren in den schönsten Farben zu berichtet. Dass sich in diesen Parteien auch Nazis tummeln, dass es in der AfD sogar einen rechtsradikalen Flügel gibt, darüber erfährt man in den russischen Fernsehkanälen fast nichts. Es sind bisher nur wenige Stimmen in Russland, welche die engen Kontakte zur AfD in Frage zu stellen. Doch diese Stimmen sind einflussreich und sie können dazu beitragen, das Verhältnis zwischen Russland und Deutschland zu entspannen. 

Ulrich Heyden

veröffentlicht in:Telepolis

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