18. November 2009

Der Kreml führt die Medien an kurzer Leine

Medien. In Russlands gelenkter Medienlandschaft tun sich immer wieder überraschend Lücken für kritische Berichte auf.

ULRICH HEYDEN MOSKAU (SN). Manchmal werden die Lücken für kritische Berichte sogar im autoritär geführten Russland so groß wie Fußballplätze. Was jetzt passierte, hat Russland noch nie erlebt: Drei Polizisten beschwerten sich nacheinander via YouTube über unhaltbare Arbeitsbedingungen, Korruption bei der Polizei und fabrizierte Strafverfahren gegen Unschuldige.

Wer in Russland im Netz seine Meinung kundtut, riskiert dabei oft Leib und Leben. Die russischen Medien werden großteils vom Kreml gesteuert. Drei von vier nationalen Fernsehkanälen werden vom Kreml an kurzer Leine geführt. Nur bei dem privaten Kanal Ren TV kommt die Opposition zu Wort. Doch es gibt Zeitungen in der russischen Provinz und Anzeigenblätter in Moskau und St. Petersburg, die über die Opposition berichten.

Die Zensur wie zu sowjetischen Zeiten ist vorbei. Stattdessen gibt es jetzt eine „kolossale Selbstzensur“, befand Starmoderator Wladimir Posner in einem Interview. Der Starmoderator interviewt in seinem mäßig kritischen Programm „Posner“ im „Ersten Kanal“ Oligarchen und Politiker. Die staatlichen Fernsehkanäle hätten eine Glaubwürdigkeitslücke, urteilte der bekannte Moderator. „Tabu-Themen greifen sie (die staatlichen Kanäle) nicht auf“. Und die Bevölkerung fühle, „dass da irgendetwas nicht stimmt“.

Deshalb lässt der Kreml gelegentlich die Zügel etwas lockerer. So brachte der Fernsehsender NTW kürzlich aus St. Petersburg mehrere Reportagen über erfolgreiche Anwohner-Proteste gegen den Bau eines Hochhaus-Projekts der gehobenen Preisklasse. Der Erste Kanal zeigte den in St. Petersburg geplanten 400 m hohen Gazprom-Wolkenkratzer in einer ungünstigen Einstellung, die nur einen Schluss zuließ: Das Gazprom-Monstrum wird das klassisch-gewachsene Stadtbild der Newa-Stadt für immer zerstören.

Prompt gab es Kritik aus der Gazprom-Zentrale. „Russkij Newsweek“ – ein Wochenmagazin des deutschen Springer-Verlags (Auflage: 51.000 Exemplare) – vermutet hinter dem Fernsehbericht eine Intrige des Kremls gegen den selbstherrlichen Gazprom-Chef Aleksej Miller und die selbstbewusste Gouverneurin von St. Petersburg, Walentina Matwienko.

Die russischen Journalisten, die sich von dem Ideal der Aufklärung leiten lassen, gehören zum Großteil dem liberalen Lager an. Linke Journalisten, wie die im Jänner ermordete Anastasia Baburowa, sind eine Ausnahme. Die liberalen Journalisten hat Wladimir Putin 2001 aus den nationalen TV-Sendern verdrängt. Doch das liberale Lager hat immer noch wichtige Schlachtschiffe auf See. Dazu gehören die dreiwöchentlich erscheinende „Nowaja Gazeta“ (Auflage 280.000), die Tageszeitung „Kommersant“ (80.000), das Wochenmagazin „The New Times“ (50.000), das Info-Radio „Echo Moskwy“ mit einer täglichen Hörerschaft von 900.000 Menschen sowie die populären Internetzeitungen newsru.com und gazeta.ru.

Die kritischen Medien völlig mundtot zu machen, daran hat der Kreml kein Interesse. Für sein Projekt, Russlands Wirtschaft und Verwaltung zu modernisieren, hofft Präsident Medwedew auch auf Unterstützung der kritischen Medien. Rohstoffsüchtige Oligarchen und eigensüchtige Beamte widersetzten sich den Modernisierungsplänen, meinte Medwedew in seinem Grundsatzartikel „Vorwärts Russland“. Buchtipp: Ulrich Heyden/Ute Weinmann: „Opposition gegen das System Putin“ (Rotpunkt-Verlag, 2009)

"Salzburger Nachrichten"

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