Der langsame Tod eines ganz Großen
Bis zuletzt musste der bettlägerige Basketball-Profi Aleksandr Sisonenko– einst Stolz der Nation - um eine Betreuung kämpfen. Nun ist der mit 2,43 Meter größte Russe an den Folgen seiner Wachstumskrankheit gestorben.
(SN-Ulrich Heyden). Russlands größter Basketball-Spieler musste sich nicht große recken, um den Ball einzutüten. Fast bei jedem Spiel holte Sisonenko 30 Punkte. Die Halle durchschritt der „russische Gulliver“ („Sowjetski Sport“) mit großen Schritten. Nur beim Tempo war Sisonenko wegen seiner Körpergröße nicht so gut. Trotzdem gehört er zur sowjetischen Basketball-Nationalauswahl, für die er jedoch kein einziges Mal spielte.
Leistungssport trotz Hormonerkrankung
Eigentlich wollte Sisonenko Grundschullehrer werden. Doch er hatte außergewöhnliche Leistungen im Sport. Mitte der 1970er Jahre wurde der große Junge, der in dem südukrainischen Dorf Saparschje aufwuchs, dann vom Trainer des Vereins „Spartak Leningrad“ an die Newa geholt. Von 1976 bis 1978 spielte Sisonenko für den Verein „Spartak Leningrad“. Damals war der große Junge aus der Ukraine erst 2,18 Meter groß.
Als Aleksandr Sisonenkonoch ein Kind war, stellte die Ärzte bereits das ungewöhnliche Wachstum fest. In Kiew wurde ihm zweimal der Kopf aufgebohrt, um einen Tumor an der Hirnanhangdrüse zu entfernen, doch ohne Erfolg. Der Tumor regte die Drüse zur vermehrten Produktion von Wachstumshormonen an. Der „russische Gulliver“ wuchs unaufhörlich, bis zu seinem Tod.
Scham wegen tropfender Nase
Sein ganzes Leben musste sich Sinonenko schämen. Erst für seine Größe, seine ungewöhnliche Kleidung, sein Schuhgröße 63 und schließlich für die Folgen seiner Krankheit. Als es ihm als Kind nach der Gehirn-Operation aus der Nase tropfte, wagte er den Ärzten aus Scham erst nicht davon zu erzählen. Bei einer Untersuchung stellte sich dann heraus, dass es Rückmarkflüssigkeit war, die ihm da aus der Nase tropfte. Sein Leben war in Gefahr. Die Ärzte meinten, er werde nur noch zwanzig Jahre leben. Doch es kam anders.
Sisonenko spielte nur zwei Jahre in Leningrad, dem späteren St. Petersburg. Um den strengen Gesundheits-Kontrollen an der Newaauszuweichen, delegierte man den großen Sportler in die Wolga-Stadt Samara, wo Sisonenko für den Verein „Bauarbeiter“ spielte. 1986, als er sich bei einem Spiel den Knöchel brach und seine Hormone wegen der sportlichen Belastung verrückt spielten, musste Sinonenkoseine Sportler-Karriere schließlich beenden. Mit 27 Jahren wurde er zum Schwerbehinderten.
Andere zocken ab
Doch das Leben ging weiter. 1987 heiratete der ehemalige Stolz des sowjetischen Basketballs. Sieben Jahre später brachte seine Frau Swetlana den Jungen „Sascha“ zur Welt. Ab und zu bekam Sisonenko noch kleine Jobs beim Fernsehen. Bei einer tschechischen Film-Produktion für „Das tapfere Schneiderlein“ bekam er die Rolle des Riesen. Von dem Honorar bekam er jedoch nur die Hälfte, wie die Zeitung „Sport – Tag für Tag“ berichtete. Der andere Teil landete in den Taschen von russischen Beamten. Doch es kam noch öfters vor, dass sich Andere an Sisonenko zu bereichern versuchten. So als die kleine Familie beschloss, von Samara nach St. Petersburg überzusiedeln. Man verkaufte die Wohnung in Samara. Doch das Geld für die neue Wohnung ging durch die Finanzmanipulationen der St. Petersburger Baufirma komplett verloren.
„Ich will keine Vogelscheuche sein“
Dann kam Ende der 1990er Jahre ein Angebot aus Deutschland. Der „Plastinator“ Gunther von Hagens lud den Russen nach Deutschland ein, angeblich um ihm bei seiner Heilung zu helfen. Doch bei einem Treffen in Heidelberg ging es dann nur noch um die Frage, was mit Sisonenkos Körper nach dessen Tod passiert, erinnert sich der ehemalige Sportler in einem Interview mit der Novaya Gazeta. Der „Plastinator“ versprach dem Russen eine einmalige Zahlung von 25.000 Mark für das Einverständnis, den Körper von Sisonenkonach dessem Tod konservieren zu dürfen. Doch der Russe erklärte, er sei als „gläubiger Mensch zu solchen Sachen nicht bereit“. Als Sisonenko dann schon wieder zuhause war, soll Hagens sein Angebot auf 100.000 Euro erhöht haben. Aus St. Petersburg kam wieder ein Absage. Er wolle „keine Vogelscheuche sein, für kein Geld der Welt“.
Der Stolz der Nation schmachtet in einer schmalen Kammer
Nachdem der Traum von der neuen Wohnung geplatzt war und die Krankheit des ehemaligen Sportlers immer schlimmer wurde, ging die Ehe mit Swetlana in die Brüche. Freunde hatten Sisonenko zwei Zimmer in einer der alten St. Petersburger Gemeinschaftswohnung besorgt, wo er dann bis zu seinem Tod lebte. Nur selten verlässt Sisonenko gestützt auf Krücken und tief gebeugt sein Haus. Der ex-Sportler lebte von Spenden und der Hilfe von Freunden. Die Rente war kümmerlich. Die teuren Medikamente musste der Mann, der einst der Stolz der Nation war, selbst bezahlen.
Nachdem Sisonenko im Juli letzten Jahres stürzte, sich das Bein verletzte und ohne fremde Hilfe nicht wieder aufstehen konnte, wurde plötzlich die russische Öffentlichkeit auf ihn aufmerksam. Der Sturz war offenbar Folge des fortschreitenden Knochenschwunds, an dem der ex-Sportler ebenfalls litt. Mit finanzieller Unterstützung des St. Petersburger Sportclubs Spartak wurde Sisonenko nacheinander in drei verschiedene Krankenhäuser behandelt. Es war eine Tortur. Der ex-Sportler bekam wegen falscher Medikamente Magenbluten. Schließlich bat der Leidgeprüfte, ihn wieder nach Hause zu bringen.
Der Sohn besuchte ihn nur selten
Doch dort war er oft einsam. Sein 17jähriger Sohn Sascha, der selbst herzkrank ist, besuchte ihn nur sehr selten. Trotz eines Spendenaufrufs in einer Fernsehsendung gab es bis zum Tod des „russischen Gulliver“ immer wieder Probleme bei der Finanzierung einer Krankenschwester, die ihn betreuen sollte.
Das Schicksal von Sisonenko wirft ein Schlaglicht auf die soziale Situation der russischen Sportler, die in der Regel nach ihrer Pensionierung sozial keinen besonderen Schutz genießen und sich mit ihren Berufskrankheiten mit Hilfe einer kleinen Rente oder Zuwendungen aus der Familie durchschlagen müssen. Wie der Fall Sisonenko zeigt, ist die Spendenbereitschaft in Russland nicht groß. Das liegt zum einen daran, dass viele Leute kein Geld übrig haben. Der Hauptgrund ist aber wohl, dass es in Russland nicht so wie in Europa eine Spendenkultur gibt. Besser gestellte Menschen fühlen sich von den Schicksalen der Armen nicht besonders angesprochen.
Sisonenko war in den letzten Jahren kein einfacher Fall. Er hat wohl auch öfters Menschen, die ihm halfen angeschnauzt. Doch auf seine Sportler-Karriere war er bis zum Schluss stolz. Gegenüber Fernseh-Journalisten erklärte der russische Gulliver, wenige Monate vor seinem Tod, „ich bereue nichts. Wenn ich keinen Sport gemacht hätte, wäre ich auf der Welt nicht soviel herumgekommen. Vielleicht gäbe es mich dann schon gar nicht mehr.“
veröffentlicht in: Salzburger Nachrichten