21. September 2011

Der Volksschauspieler

Von Ulrich Heyden, SZ-Korrespondent in Moskau

Die Russen wollen gut unterhalten werden. Es muss bunt und gefährlich zugehen und darf auch schön kitschig sein. Premier Putin spielt da gerne mit.

Sonnenbrille, dunkle Lederjacke und Fleckenhose. Putin zeigt sich immer gerne als Macho und sportlich fit – mal als Jäger mit nacktem Oberkörper und mit Flinte in Sibirien, mal mit einem betäubten Tiger. Doch diese Macho-Rolle ergänzt Putin in letzter Zeit immer häufiger mit Auftritten, die das Publikum einfach nur unterhalten.

Letztes Jahr fuhr der Ministerpräsident in einem gelben Lada mehrere Hundert Kilometer durch Sibirien. Dann sang er auf einem Wohltätigkeitsfest in St. Petersburg die US-Schnulze „Blueberry Hill“, in leidlichem Englisch. Vorige Woche saß der russische Ministerpräsident schon zum zweiten Mal an einem Klavier auf einer Bühne und klimperte das alte Sowjet-Lied „Was Heimat bedeutet“.

In diesem Sommer zeigte sich Putin auch noch als Rocker und als Taucher. Am Ufer des Schwarzen Meeres sah man den Premier im Taucheranzug mit einer griechischen Amphore im Arm, die er angeblich gerade vom Grund des Meeres geholt hatte. Da die Amphore aber ohne den typischen Muschel-Belag war, gab es Spekulationen, die Vase habe ihm jemand am Strand in die Hand gedrückt.

Egal, das gehört zur Inszenierung, meint der Moskauer Galerist Marat Gelman, der hinter Putins Medien-Auftritten ein postmodernes Konzept vermutet. Der Zuschauer werde in ein Spiel mit einbezogen, so der bekannte Kunstagent. Der Zuschauer wisse, dass das Amphoren-Tauchen oder etwa Putins Feuerlöschen per Flugzeug nur ein Spiel sei. Aus dem Politiker Putin werde so allmählich eine „Pop-Figur“ wie Marilyn Monroe oder Micky Mouse.

Putin steht im Ruf, extrem streng zu sein, aber er liebt auch die Rolle des nachsichtigen Landesvaters. Als sich letztes Jahr Studentinnen der Moskauer Journalistik-Universität bis auf die Unterwäsche auszogen, um sich für einen Putin-Geburtstagskalender fotografieren zu lassen, bescheinigte der so Gelobhudelte den Studentinnen später eine „aktive Position im Leben“, riet ihnen aber zugleich, „das Lernen nicht zu vernachlässigen“.

Die gelassene Reaktion erstaunte die prüden Russen dann doch. Immerhin war der Foto-Kalender voller eindeutiger Texte wie: „Sie haben die Waldbrände gelöscht, aber ich stehe noch in Flammen.“

Putin habe sich bei seinen Auftritten im Freizeit-Look viel von seinem 16 Jahre älteren Amtskollegen Silvio Berlusconi abgeguckt, meint das Kreml-kritische Wochenmagazin „New Times“. Putin wie Berlusconi zeigten gegenüber den Wählern besonders gern „Männlichkeit, Sexualität und die Bereitschaft, immer als Vater der Nation zu wirken,“ so das Wochenmagazin. Allerdings würden russische Besonderheiten von Putins Image-Beratern berücksichtigt. Während aus Berlusconis Umfeld ausreichend freizügige Informationen durchsickern, sei über das Privatleben von Putin „praktisch nichts bekannt“.

Zu nahe an Medwedjew

Nur im russischen Internet kursierte 2008 das Gerücht, Putin habe ein Verhältnis mit der Duma-Abgeordneten und Ex-Weltmeisterin der rhythmischen Sportgymnastik, Alina Kabajewa. Um diese Gerüchte wurde es jedoch schnell still, nachdem das Blatt, das diese aufgegriffen hatte, sein Erscheinen einstellen musste. Man darf raten, auf wessen Betreiben hin.

Der Politologe Gleb Pawlowski, der 1999 Putins Weg zur Macht mit ebnete und jetzt im Berater-Team von Präsident Medwedjew arbeitet, rät dem Premier, sich für ein klares Image zu entscheiden. Putin solle seine Kampagne besser einem klaren politischen Ziel unterordnen – und sich endlich entscheiden, ob er bei den Präsidentschaftswahlen im März 2012 selber antreten oder Medwedjew bei einer Kandidatur unterstützen wolle.

Auch für Präsidenten-Berater Pawlowski wäre es sicher einfacher, wenn Putin sich auf seine Macho-Rolle beschränken und nicht im Feld von Medwedjew wildern würde. Der präsentiert sich bevorzugt als intelligenter Modernisierer, der sich im Internet auskennt und gerne fotografiert. Für zwei so ähnliche Typen habe ein Wahlkampf wenig Sinn. Wenn es denn überhaupt einen Wahlkampf zwischen beiden gibt.

veröffentlicht in: Sächsische Zeitung

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