Die Rache der Agentin 90-60-90
Verrat. Ein Moskauer Militärgericht hat jetzt den Mann verurteilt, der vor einem Jahr die russische Spionin Anna Chapman in New York auffliegen ließ.
Moskau. Anna Chapman kann zufrieden sein. Der ehemalige Abteilungsleiter der russischen Auslandsaufklärung, Aleksandr Potejew, der ihre Karriere als Spionin im Westen beendete, wurde vom Moskauer Militärgericht am Montag zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt - exakt ein Jahr, nachdem Chapman in New York verhaftet worden war.
Die Orden, welche Potejew sich als Mitglied einer Sondereinheit des KGB im sowjetischen Afghanistan-Krieg erworben hatte, wurden dem in die USA Geflüchteten aberkannt. Potejew hatte, so stellte das Gericht fest, durch seinen Verrat gegenüber den amerikanischen Behörden die Tätigkeit der Agentin Anna Chapman und zehn weiterer russischer Spione in den USA beendet.
Wer war Potejew? Der Vater des jetzt 59-Jährigen war ein bekannter sowjetischer Panzer-Kommandeur im Zweiten Weltkrieg. Und auch der Sohn schien in die Fußstapfen des Vaters zu treten. Im Afghanistan-Krieg erwarb sich Aleksandr Potejew zahlreiche Orden. Außerdem, so ein ehemaliger Kamerad, sei er durch seinen großen Appetit und einen besonders ausgeprägten Humor aufgefallen, mit dem er die Soldaten so zum Lachen trieb, "dass die Tränen kamen".
Ministerpräsident Wladimir Putin - selbst Ex-Spion in der DDR - hatte nach dem Auffliegen des Agenten-Rings in den USA erklärt, das Leben von Verrätern ende "immer schlecht". Der russische Ministerpräsident erklärte, er kenne alle an dem Fall beteiligten Verräter namentlich.
Im Juni 2010, nur wenige Tage vor dem Auffliegen des Spionage-Rings in den USA, hatte Potejew seinen Arbeitsplatz in der Zentrale der russischen Auslandsaufklärung im Südwesten Moskaus fluchtartig verlassen und war mit dem Nachtzug nach Minsk gefahren. Dort soll er - so steht es im Urteil des Moskauer Gerichts - mit Hilfe eines gefälschten US-Passes über Deutschland in die USA gereist sein. Seiner Frau sagte der Flüchtige per SMS adieu. "Trag es mit Fassung. Ich komme nicht zurück. Ich wollte nicht, aber es kam so. Beginne das Leben von Neuem. Versuche den Kindern zu helfen."
Bis zu seiner Flucht in die USA war Potejew Abteilungsleiter in der russischen Auslandsaufklärung und zuständig für Sondereinsätze in Amerika. Während seiner Reisen nach Südamerika und in andere Länder war er für seine russischen Kollegen häufig nicht zu erreichen gewesen, was nach Meinung seines Arbeitgebers auf eine Zusammenarbeit mit dem CIA hindeutete. Der durch Portejew angerichtete Schaden sei groß, erklärten die Richter. So wüssten die amerikanischen Behörden jetzt, wie sich die russischen Agenten untereinander verständigten und wie sie ihr Geld bekamen.
Während der Gerichtsverhandlung vor dem Moskauer Militärgericht, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit lief, sagte auch Anna Chapman aus. Die 29-Jährige hatte bis zu ihrer Verhaftung am 27. Juni 2010, in New York als Immobilien-Maklerin gearbeitet. Nach ihrer Enttarnung startete die Tochter eines Diplomaten in Russland eine zweite Karriere. Zunächst zog sich Chapman für das Männermagazin "Maxim" bis auf die Unterwäsche aus. Im Dezember 2010 wurde sie dann Führungsmitglied der Kreml-Jugendorganisation "Junge Garde" und im Januar dieses Jahres Moderatorin einer russischen Fernsehsendung mit dem Namen "Die Geheimnisse dieser Welt."
Bei der Verhaftung der zehn russischen Spione in den USA - einem gelang die Flucht - handelte es sich um den größten Spionage-Skandal seit dem Kalten Krieg. Dass das nicht zu einer Verschlechterung der russisch-amerikanischen Beziehungen führte, hängt wohl damit zusammen, dass sich Barack Obama seinen "Neustart" in den Beziehungen zu Russland nicht durch Spione stören lassen wollte, die als "Schläfer" noch keinen großen Schaden angerichtet hatten.
veröffentlicht in: Nordkurier