Die reichen Künstler aus Deutschland
In den russischen Medien werden die Cranachs nicht nur als Protestanten vorgestellt, sondern auch als erfolgreiches Familienunternehmen
Moskau. Wenn man die große Aufmerksamkeit der russischen Medien und Politiker als Maßstab nimmt, dann könnte die Cranach-Ausstellung in Moskau ein Publikums-Erfolg werden. Nur eingefleischte Medien-Muffel haben von der Ausstellung in den letzten Tagen nichts mitbekommen. Alle Fernsehkanäle berichteten mit Vier-Minütern. Alle großen Zeitungen brachten wohlwollende Berichte.
In politisch angespannten Zeiten freut sich die politische Führung in Russland über jedes Positiv-Ereignis im Dialog mit Westeuropa. Der russische Kulturminister Wladimir Medinskierklärte, die Ausstellung sei ein Beispiel dafür, dass die kulturelle Zusammenarbeit und der Austausch auch „in einer schwierigen, politischen Situation nicht abbricht, sondern sich weiterentwickelt.“
Großteil der Leihgaben kommt aus Gotha
Das Interesse der russischen Journalisten an der Cranach-Ausstellung war groß. Am Donnerstag kamen zu der Vorschau der Ausstellung für Journalisten etwa 100 Medien-Vertreter und Kunst-Experten. Die Fernsehkameras standen dichtgedrängt.
Ansprachen hielten die Direktorin des Puschkin-Museums, Marina Loschak, und der Direktor der Stiftung Schloss Friedensstein, Martin Eberle. Dass außer der Vertreterin des Puschkin-Museums nur ein Vertreter Deutschlands sprach, hatte mit dem besonderen Beitrag aus Gotha zu tun. Zwar kamen ausländische Leihgaben für die Ausstellung auch aus Prag, Budapest und Ungarn, aber der Großteil – 26 Leihgaben – kommt aus SchlossFriedenstein in Gotha.
In den russischen Fernseh-Reportagen wurde hervorgehoben, dass die Cranachs nicht nur Oberbürgermeister, sondern auch reiche Leute waren, die mit einem Familien-Betrieb über 5000 Werke schufen. Cranach sei so etwas wie ein „effektiver Manager“ gewesen, meinte Ausstellungskurator Vadim Sadkow mit einem Augenzwinkern. Der Begriff steht inRussland für Manager in Staatsbetrieben, die moderne – oft auch sehr pragmatische – Methoden anwenden.
Manche russische Medien rätselten über den kleinen Drachen, das Familienwappen der Künstler, das auch auf Cranach-Bildern zu sehen ist. Das sei das Qualitätszeichen einer familiären Großproduktion, erklärte der Reporter des 1. Kanals.
Der Reporter von NTW meint, Cranach sei mit Martin Luther, dem „Gründer des deutschen Protestantismus“, befreundet gewesen. Der deutsche Protestantismus sei die „Grundlage des deutschen Kapitalismus und der deutschen Strebsamkeit“. Cranach der Ältere habe die Menschen photographisch genau abgebildet, sie aber nicht idealisiert, lobte der Reporter.
Das besondere an der Ausstellung im Puschkin-Museum aus russischer Sicht ist – und das strichen zahlreiche Reporter heraus –, die Kunst aus der Zeit der deutschen Reformation kennenzulernen. Die Reformation als historisches Ereignis und für welche Werte sie steht, ist in Russland kaum bekannt. Deutschland assoziieren die meisten Russen mit dem Katholizismus, so spricht man beispielsweise vom „katholischen Weihnachten“ inDeutschland und dem orthodoxen in Russland.
Experten wollen nicht ausschließen, dass die Ausstellung zu einem Publikums-Erfolg wird. Klassiker würden nicht oft gezeigt, meinte das Internetjournal „the village“. Nicht ausgeschlossen sei, dass es zur Cranach-Ausstellung einen ähnlichen Andrang gibt wie bei dem russischen Maler Walentin Serow (1865 bis 1911). Um die Bilder von Serow, einem Vertreter der Jugendstilmalerei, zu sehen, hatten sich vor dem Zentralen Haus des Künstlers in Moskau über Tage riesige Besucher-Schlagen gebildet.
Doch ob sich das „Phänomen Serow“ wiederholt, ist noch nicht sicher. Denn die Welt des deutschen Mittelalters ist den Russen nicht so nah wie das Ende der Zaren-Epoche.
Ulrich Heyden
veröffentlicht in: Thüringer Allgemeine