Die zwei Gesichter des Kandidaten Putin
Moderner Internet-Auftritt – und alte Schikanen gegen Konkurrenten
Von SZ-Mitarbeiter Ulrich Heyden Moskau.
Mit einem neuen Internet-Auftritt hat Wladimir Putin gestern sein Wahlprogramm für die Präsidentschaftswahl am 4. März vorgestellt. Putin tritt dabei als Vertreter der von ihm geschaffenen „Volksfront“ auf. Die bei der Duma-Wahl wegen Fälschungen in Verruf geratene Partei „Einiges Russland“ taucht im neuen Web-Auftritt nicht auf: Putin sucht die Distanz zu der Partei, die ihn für die Präsidentschaftswahl vorgeschlagen hatte.
Russland komme voran, aber vieles sei noch ungenügend, schreibt der Bewerber in seinem Programm. Als Minuspunkte nennt Putin die „fortwährende Armut, das schlechte Klima für Unternehmer, die verbreitete Korruption und die ineffektive Tätigkeit eines großen Teils der Beamten bei der Lösung der Probleme der Menschen“. Das alte Modell für Wirtschaftswachstum, das auf hohen Ölpreisen und aus Sowjetzeiten stammenden Produktionskapazitäten beruhe, sei praktisch erschöpft. Zudem müsse die „extrem repressive Tendenz“ der Sicherheitskräfte beendet werden, meint der Premier. In weiten Teilen ähnelt sein Modernisierungsprogramm den Vorschlägen, die vor ihm Präsident Dmitri Medwedew machte.
Ungewöhnlich für Putin ist: Der neue Web-Auftritt hat einen interaktiven Teil, wo Nutzer nach Anmeldung mit Name und Adresse Vorschläge eingeben können. Neben guten Wünschen und Anregungen findet man dort auch kompromisslos harte Worte. Da meint eine Swetlana Sorokina: „Ich schlage Ihnen vor, die Situation nicht zur Revolution ausufern zu lassen und zurückzutreten.“ Ein großer Teil der scharfen Kritik verschwand nach einiger Zeit von der Seite, doch auch gestern Abend waren noch einige harte Debattenbeiträge zu finden. Etwa die Forderung, das Parlament aufzulösen, den Leiter der Zentralen Wahlkommission abzusetzen und die Fälle von Wahlfälschung zu untersuchen.
Schon jetzt ist abzusehen, dass Putin die Präsidentschaftswahl im März zwar gewinnen wird, aber nicht in der ersten Runde. Eine Befragung des Meinungsforschungsinstituts Vziom ergab ferner, dass nur noch 38 Prozent der Bürger Putin als „Politiker des Jahres“ sehen. Im Vorjahr waren es noch 55 Prozent.
Eine erste Wahlkampf-Probe lieferte Putin zu Wochenbeginn: In einer Videokonferenz mit Spitzenbeamten aus der Provinz empörte sich der Premier, weil die Warmwasser-Kosten in der drei Flugstunden östlich von Moskau gelegenen Stadt Nowo-Wjatsk um 40 Prozent gestiegen seien. Grund genug für Putin, den zuständigen Gouverneur Nikita Belych aus dem Urlaub zurückzurufen. Dass es gerade Belych traf, ist kein Zufall: Noch 2008, vor seiner Ernennung zum Gouverneur, hatte der landesweit bekannte Liberale bei Protesten gegen den damaligen Präsidenten Putin mitgemacht. Zudem ließ sich Belych vorübergehend von dem Blogger Aleksej Nawalny beraten, der heute als möglicher Präsidentschaftskandidat der Putin-Gegner gehandelt wird.
Nawalnys Nähe zu den Nationalisten beunruhigt allerdings manchen Oppositionellen, während weite Teile der Bevölkerung offenbar anders denken: Nach Meinungsumfragen steht inzwischen gut jeder Zweite hinter der Parole „Russland den Russen“. Insbesondere in Moskau und St. Petersburg herrscht eine kritische Stimmung gegenüber Gastarbeitern und Händlern aus dem Kaukasus und Zentralasien. Der Streit in der Opposition, was für ein Russland man eigentlich will, ist also nicht ausgestanden und dürfte noch einige Zeit andauern.
veröffentlicht in: Saarbrücker Zeitung