21. January 2009

„Dieser Mord hat eine neue Qualität"

Der Russland-Experte Ulrich Heyden über den Doppelmord an russischen Regime-Kritikern

Wieder sind zwei regimekritische Menschen in Moskau auf offener Straße ermordet worden, haben Sie so etwas erwartet?

Heyden: Wenn man länger in Moskau lebt, dann rechnet man mit so etwas. Denn es gibt keine Beruhigung der angespannten Situation im politischen Leben in Russland, es gibt eben ständig neue Überfälle und es gibt so viele Fälle, die nicht aufgeklärt wurden, dass man in einer großen Rechtsunsicherheit lebt. Es ist meines Wissens allerdings das erste Mal in der neueren Geschichte Russlands, dass ein Anwalt erschossen wurde. Insofern hat dieser Mord eine neue Qualität.

Würden Sie so weit gehen zu sagen, dass Regime-Kritiker und deren Anwälte in permanenter Todesangst leben?

Man kann schon sagen, dass Oppositionelle und Kritiker aus unterschiedlichen zivilgesellschaftlichen Bewegungen und Journalisten unter einer ständigen Bedrohung leben. Auch wenn es vielleicht nur die Bekanntesten trifft, wirkt sich das auf alle Anderen aus. Ich persönlich überlege schon sehr genau, was ich schreibe und mit wem ich mich anlege. Wir als Auslandskorrespondenten profitieren sehr stark von der Arbeit der russischen Enthüllungs-Journalisten. Da wachsen immer neue Talente nach, trotz der Anschläge und anderer massiver Einschüchterungen. Das ist schon erstaunlich.

Sie arbeiten seit 16 Jahren in Moskau, gelten als sehr gut vernetzt. Wie reagieren Ihre Kollegen auf einen solchen Vorfall?


Die Russen generell sind relativ fatalistisch. Natürlich gibt es unter den ganz aktiven Menschen eine Empörung und am Ort des Mordes werden Blumen niedergelegt, aber generell arbeitet man einfach weiter. Man ist nicht groß empört. Das raubt einem ja auch Kraft und diese Kraft, die steckt man lieber in neue Aktivitäten.


Auch dieser Mord wird in Zusammenhang mit dem Tschetschenienkrieg gestellt. Warum spielt dieser Krieg, der ja bereits 2003 beendet wurde, noch immer eine solche Rolle?

Insbesondere im zweiten Tschetschenienkrieg kreuzten sich sehr viele Interessen. Es ist unbestritten, dass Militärs sich ordentlich an der Ölförderung in Tschetschenien bereichert haben. Es gab sehr viel Korruption und beim Wiederaufbau versackte viel Geld in dunklen Kanälen, das aus Moskau bereit gestellt wurde. Dazu kommt, dass die neue Ordnung in Tschetschenien nicht stabil ist. Sie wurde von oben aus Moskau aufgedrückt und kann sich nur halten, weil der tschetschenische Präsident, Ramsan Kadyrow, in der Teilrepublik die ganze Macht in den Händen hält. Auch wenn es nicht bewiesen ist, ist klar, dass immer wieder tschetschenische Konkurrenten von ihm auch in Moskau ermordet werden.
Dazu kommt das unerträgliche Verhalten von Kadyrows Beamten. An dem Tag, an dem Markelow und Baburowa ermordet wurden, berichtete die Kreml-kritische "Nowaja Gazeta" über die wilden Aktionen seiner Sicherheitskräfte, die sich so sicher fühlen, dass sie einfach bei einer Dienstreise, die sie nach Moskau führt, mit Pistolen auf Taxifahrer schießen, die ihnen angeblich die Vorfahrt nehmen. Sie können das machen, weil sie unter dem Schutz von Kadyrow stehen und er unter dem Schutz des Kremls. Das ist also eine völlig ungesunde Situation. Hier haben sich Machtstrukturen herausgebildet, die sich häufig in der Illegalität bewegen und von niemandem kontrolliert werden. Und sobald Menschen darüber berichten, begeben sie sich in Todesgefahr. Genau fünf Stunden nachdem die Nowaja Gazeta darüber berichtet hatte, wurde der mutigste Rechtsanwalt Russlands, der diese Menschenrechtsfragen immer wieder aufgreift, auf offener Straße umgelegt. Das ist ein Schlag ins Gesicht der Pressefreiheit und aller Bemühungen, nach dem Tod von Anna Politkowskaja die Situation von Journalisten zu verbessern.


Wie wird denn die russische Öffentlichkeit informiert?

In den russischen Fernsehmedien wird der Mord an Markelow jetzt schon als Lokalnachricht abgehandelt. Bei solchen Morden ist es üblich, dass der Generalstabsanwalt auftritt und erklärt, dass man in mehrere Richtungen ermittelt und der Mord wahrscheinlich mit der beruflichen Tätigkeit des Opfers zusammen hängt. Das ist alles, was gesagt wird. Und diese offizielle Meldung hält sich dann so lange, bis der Fall wieder vergessen ist. Das schafft eine große Unsicherheit.


Erwarten Sie keine wirkliche Aufklärung?

Nein. In dieser Tschetschenienproblematik sind so viele Parteien beteiligt, Militärs, der Kreml, die Geheimdienste, alle versuchen, bestimmte Sachen zu verbergen. Von daher erwarte ich keine Aufklärung. Wenn wir auf den Mord von Anna Politkowskaja schauen, dann sehen wir, dass er auch nach zwei Jahren noch nicht aufgeklärt ist. Angeblich hat sich der Mörder ja nach Westeuropa abgesetzt und vor Gericht sitzen wahrscheinlich nur die Helfer des Mörders. Na ja, und über die Auftraggeber redet man noch überhaupt nicht.
Es könnte natürlich auch andere Motive für den Mord geben, denn Markelow verteidigte viele Aktivisten aus der Menschenrechtsszene. Aber es hat schon einen demonstrativen Charakter, wenn man einen Anwalt nach einer Pressekonferenz erschießt, in dem es um einen Fall geht, der die Öffentlichkeit so stark polarisiert hat, wie die Freilassung von Oberst Juri Budanow. Für russische Ultranationalisten ist der Oberst, der im Krieg eine Tschetschenin vergewaltige und dann erwürgte, ein wichtiges Symbol, das zu Unrecht ins Gefängnis gesteckt wurde. Übrigens hat Markelow auch junge russische Antifaschisten verteidigt. Unter den Ultranationalisten hatte sich sicher viel Hass gegen den Anwalt angestaut.

Von Ines Pohl


Zur Person: Ulrich Heyden kommt aus Hamburg. Nach einem Geschichtsstudium verschlug es ihn nach Moskau, wo er seit 1992 als Korrespondent arbeitet. Er berichtet für "Sächsische Zeitung", "Rheinischer Merkur", "Freitag" und ist Mitglied im Korrespondenten-Netzwerk n-ost.

"Hessische/Niedersächsische Allgemeine"

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