26. April 2024

Donezk: Amerikanisch-russischer Journalist verschollen (Overton Magazin)

Russell Bentley. Bild aus seinem Telegram-Kanal
Foto: Russell Bentley. Bild aus seinem Telegram-Kanal

26. April 2024 

Ein Amerikaner mit russischer Staatsbürgerschaft, der im Donbass gegen die ukrainische Armee kämpfte und dann als Blogger und Journalist arbeitete, wurde möglicherweise entführt oder könnte tot sein.

Das Verschwinden des bekannten amerikanischen Russell Bentley, der seit 2014 in Donezk lebte und dort mehrere Jahre auf Seiten der Aufständischen gegen die ukrainische Armee gekämpft hat, gibt Rätsel auf. Seit dem 8. April gilt Bentley, der die russische Staatsangehörigkeit angenommen und 2017 eine russische Frau geheiratet hatte, als vermisst. Am 19. April erklärte die Chefredakteurin von Russia Today, Margarita Simonjan, Bentley, der zuletzt für das russische Nachrichten-Portal Sputnik arbeitete, sei tot. Die Ursache für den Tod des 64-Jährigen und ob man seine Leiche fand, wurde nicht mitgeteilt.

Der Vorsitzende der Bürgerkammer der Volksrepublik Donezk, Aleksandr Kofman hatte am 19. April gegenüber der Donezker Nachrichtenagentur DAN erklärt, Bentley sei „wahrscheinlich tot“. Das habe eine DNA-Analyse ergeben. Aber „die Chance für ein Wunder gibt es immer“.

Die Moskauer Zeitung „Kommersant“ berichtete unter Berufung auf Ljudmilla, die russische Frau von Bentley, dieser sei von russischen „Soldaten der fünften Panzer-Brigade entführt“ worden.

Spionageverdacht?

Der Redakteur des Portals „Die russische Stunde“, Aleksandr Korobko, meinte, möglicherweise habe man Bentley für einen Spion gehalten. Von Seiten der russischen Militär-Führung gab es keine Stellungnahme zu dem Fall Bentley.

Ljudmilla Bentley, die Frau des Verschwundenen, berichtete, dass ihr Mann am 8. April nach einem ukrainischen Raketen-Beschuss des Donezker Petrowski-Bezirks zum Ort des Beschusses gefahren sei, um Opfern zu helfen und zu filmen. Dort sei ihr Mann nach Berichten von angeblichen Augenzeugen zwischen 16:20 und 17:00 in der Nähe eines Kraftfahrparks von Personen in Kampfuniformen festgenommen worden. Man habe später nur noch das Auto von Bentley und sein stark beschädigtes Handy gefunden. Aber der amerikanisch-russische Blogger ist bis heute verschwunden.

Mehrere Freunde des Amerikaners, die mit ihm gegen die ukrainische Armee gekämpft hatten, wandten sich mit Video-Botschaften an die russische Öffentlichkeit und forderten die Freilassung von Bentley. So wandte sich am 17. April auf Telegram Andrej, ein Freund des verschwundenen Amerikaners mit dem Kampfnamen „Burjat“, an die Soldaten „der 5. Panzerbrigade“ und erklärte, wenn Bentley „nur ein Haar gekrümmt wird“, würden sie es „mit dem Wagner-Bataillon zu tun“ bekommen.

Die Ehefrau Ljudmilla: „Ich möchte wenigstens seinen Leichnam sehen“

Die verzweifelte Ehefrau Ljudmilla Bentlej, die nicht weiß, ob ihr Mann vermisst oder tot ist, wandte sich nach mehreren erfolglosen öffentlichen Hilfeersuchen am 24. April mit einer Video-Ansprache  direkt an den russischen Präsidenten, Wladimir Putin. Sie bat um Aufklärung, was mit ihrem Mann geschehen ist. Wenn er tot sei, wolle sie zumindest seinen Leichnam sehen.

Englischsprachige Zeitungen wie der „Guardian“ und die „New York Post“, aber auch der russisch-sprachige Dienst der „Deutschen Welle“ berichteten über den Fall Bentley, ukrainische Internetportale mit höhnischem Unterton. Nun sehe man ja, was man von den angeblichen Befreiern der russischen Armee zu erwarten habe.

Politisiert durch Che Guevara

Im amerikanische Musikmagazin „Rolling Stone“, das Bentley 2022 interviewte, kann man etwas über den Lebenslauf des verschollenen Amerikaners erfahren.

Der Verschollene wurde 1960 als Russell Bonner Bentley in einer wohlhabenden Familie in Dallas, Texas, geboren. Bentley sei überzeugter Kommunist und als Jugendlicher politisiert worden durch die Werke des vietnamesischen Führers Ho Chi Minh und den Revolutionär Che Guevara. Bentley habe drei Jahre in der US-Armee in Louisiana und in Deutschland gedient. In den USA spielte er in Rock-Bands. Er habe sich für die Legalisierung von Marihuana eingesetzt und als Vertreter einer Grassroot-Bewegung für den US-Senat kandidiert. Bentley bekam 1,65 Prozent der Stimmen.

Russell Bentley: „Wie ein Sprung von einem Felsen“

In Russland war Russell Bentley bekannter Mann. Sein letztes Interview gab er dem amerikanisch-russischen Sportler in der Mixed-Martial-Art-Disziplin, Jeffrey Monson. In dem Interview berichtet Bentley, er habe in den USA als Holzfäller gearbeitet und gut verdient. Als er gesehen habe, „was in Libyen passierte und auf dem Maidan, habe ich mich entschlossen hierher (in den Donbass) zu fahren. Ich wollte kein Internet-Star werden. Ich wollte an der Front kämpfen.“

Ein Anstoß, in den Donbass zu fahren, sei der Angriff der ukrainischen Luftwaffe auf die Gebietsverwaltung von Lugansk am 2. Juni 2014 gewesen, wo es acht Tote und 28 Verletzte gegeben hatte. Auf einem Foto habe er damals eine Frau gesehen, die vor der Gebietsverwaltung lag. Sie lebte noch, aber beide Beine waren ihr durch eine Explosion abgerissen worden. „Sie guckte nach oben und ich dachte, sie guckt zu mir“, sagte Bentley. Er habe sich dann entschlossen, Menschen wie diese Frau zu beschützen. „Ich habe meine Sporttasche gepackt. Es war wie ein Sprung von einem Felsen mit geschlossenen Augen.“

Im Dezember 2014 schloss sich Bentley in Donezk als Freiwilliger dem Bataillon „Wostok“ an. Er war an besonders gefährlichen Kämpfen, etwa am Flughafen von Donezk, beteiligt. Und er wurde mit mehreren Orden der Aufständischen ausgezeichnet.

Bentley nahm den russisch-orthodoxen Glauben an und wurde russischer Staatsbürger. Im Juni 2017 heiratete er Ljudmilla, eine Englischlehrerin aus Donezk.

Im gleichen Jahr schied er aus dem Militärdienst aus und wurde Blogger und Journalist. Bentley berichtete seitdem in englischer Sprache für Internet-Medien, wie für das russische Audio-Medium „Sputnik“. Nebenbei macht er weiter Musik, wie hier in einer Wohnung in Donezk, wo er auf Russisch sein Lied „Novorossija“ vortrug.

Außerdem organisierte Bentley Hilfe für Freiwillige. Er versorgte sie, wie er selbst in seinem letzten Interview erzählte, „mit Tarnnetzen, Handschuhen, Süßigkeiten, Drohnen und auch Ikonen“. Wenn man ihn frage, ob er in die  USA zurückkehren werde, dann antworte er, „nur mit der russischen Armee und um die USA zu  entnazifizieren“.

Politologe Markow: „Soll man darüber sprechen oder soll man schweigen?“

Was steckt nun hinter dem Verschwinden des bekannten Aktivisten aus den USA? Der Kreml-nahe Politologe Sergej Markow schrieb auf seinem Telegramm-Kanal, es gäbe das Gerücht, dass Bentley „von den eigenen Leuten ermordet wurde, die sich übertrieben misstrauisch und übertrieben brutal verhielten“. Aber das seien „nur Gerüchte“.

Da es von offizieller Seite keine Stellungnahme gäbe, stelle sich die Frage: „Was ist zu tun? „1. Soll man laut darüber sprechen und die Bestrafung der Schuldigen fordern? 2. Soll man schweigen, um die eigenen nicht zu diskreditieren? 3. Muss man selbst Angst haben? 4. Ist alles ganz anders?“ Das seien sehr wichtige Fragen. Von den Antworten hänge „für den dem Militär nahestehenden patriotischen Teil der russischen Gesellschaft“ viel ab.

Ich wurde in Donezk und Lugansk korrekt behandelt

Der Autor dieser Zeilen ist seit 2014 selbst oft in Donezk gewesen und hat darüber auch ein Buch geschrieben. Ich habe Aufständische an der Front besucht und ich habe ihren Lebensalltag ein stückweit kennengelernt.

2022 hatte ich dann mehrmals auch Kontakt mit russischen Soldaten in der Volksrepublik Donezk. Ich sah sie bei der Verteilung von Lebensmitteln an die Bevölkerung und erlebte sie, wie sie unsere Journalisten-Gruppe, zu der ich bei einer Pressetour im März 2022 gehörte, beschützten.

Das Verhalten der Soldaten, die ich in Donezk und auch in Lugansk kennenlernte, war absolut korrekt. Es gab in den letzten neun Jahren immer wieder ausländische Journalisten, die nach Donezk fuhren. Ein Ausländer in Donezk, das war also nicht so ungewöhnlich.

Allerdings kann ich mir vorstellen, dass nach einem Beschuss mit amerikanisch-ukrainischen HIMARS-Raketen die Emotionen aufgewühlt sind. Ich habe im August 2022 selbst einen solchen Beschuss nicht weit von meinem Hotel erlebt und merkte, dass sowas nur Leute aushalten, die seelisch darauf vorbereitet sind.

Neue ukrainische Anschlagserie in Russland

Als ich Anfang April das erste Mal vom Verschwinden des Amerikaners Russell Bentley hörte, dachte ich spontan, dass er einem Anschlag ukrainischer Extremisten zum Opfer gefallen ist. Denn die Liste der in den Volksrepubliken Donezk und Lugansk von ukrainischen Spezialeinheiten getöteten bekannten Feldkommandeure – darunter Givi (Michail Tolstych), Motorola (Arsen Pawlow), Aleksej Mosgowoi und Aleksandr Sachartschenko (Präsident der Volksrepublik Donezk) – ist lang.

Und Kiew hat auf eine spezielle Art weitere Anschläge angekündigt. Der Leiter des ukrainischen Geheimdienstes, Wassil Maljuk, prahlte gegenüber dem ukrainischen Fernsehkanal ICTV mit seinem Detailkenntnissen über die Anschläge auf nach Russland geflüchtete ukrainischen Beamte,  Oppositionelle und russische Politiker und Blogger, wie Sachar Prilepin, die Tochter von Aleksandr Dugin, Daria Dugina und den Militärblogger Wladlen Tatarski.

SBU-Chef Maljuk wollte nicht bestätigen, dass der SBU all diese Anschläge in Auftrag gegeben hat, aber zwischen den Zeilen war die Botschaft des SBU-Chefs: „Wir kriegen euch alle“ deutlich zu verstehen.

Das bisher letzte Opfer des SBU war am 12. April der ehemalige Oberst des ukrainischen Geheimdienstes, Wasili Prosorow, der im März 2019 nach Moskau geflüchtet war. Er wurde mitten in Moskau durch eine unter seinem Auto platzierte Bombe verletzt. Den Sprengsatz muss ein von Kiew instruierter Diversant gelegt haben.

Der jetzt verschollene Russell Bentley war sich als Amerikaner, der auf Seiten den Volksrepublik Donezk gekämpft hatte, der Gefahr eines Anschlages bewusst. In seinem letzten Interview erklärte Bentley dem Sportler Jeffrey Monson, der ihn in seiner Wohnung in Donezk besuchte, „ich trage immer eine Makarow-Pistole mit mir, wenn ich aus dem Haus gehe. Ich stehe auf der ukrainischen Todesliste.

veröffentlicht in: Overton Magazin

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