Dr. Eisenfaust for President
Profiboxer Vitali Klitschko will die ukrainische Politik aufmischen
Wir werden die Aktion fortsetzen, bis der Assoziierungsvertrag unterschrieben ist», rief Vitali Klitschko den Demonstranten zu. Sie hatten sich vor dem Regierungssitz in Kiew versammelt, um dagegen zu protestieren, dass der Assoziierungs- und Freihandelsvertrag der Ukraine mit der EU auf Eis gelegt wurde.
Der 42-jährige Profiboxer ist eine von drei Galionsfiguren der neuen Pro-EU-Bewegung. Die beiden anderen sind der bullig wirkende Oleg Tjagnibok, Führer der aggressiv antirussischen Partei «Swoboda» (Freiheit), und Arseni Jazenjuk, der die inhaftierte Julia Timoschenko als Chef ihrer Partei «Vaterland» vertritt. Das Trio trat in den letzten Tagen demonstrativ geschlossen auf: Gegen die Macht des Präsidenten Viktor Janukowitsch, meinen sie, ist nur gemeinsam anzustürmen.
Wer von den Dreien «der Chef im Ring» ist, scheint nur in Deutschland klar zu sein. Denn hier gilt der Profiboxer Vitali Klitschko, immer noch WBC-Weltmeister, obwohl sein letzter Kampf länger als ein Jahr zurückliegt, als «Oppositionsführer». Tatsächlich hat der Abgeordnete Vitali Klitschko im grell-roten Pullover mit dem Schriftzug «Ukraine - Europa» Ende Oktober vor der Obersten Rada verkündet, er werde - allen Widerständen zum Trotz - 2015 als Präsidentschaftskandidat antreten.
«Ich habe als Boxer oft genug im Ring gestanden. Nun steht mir als Politiker mein schwierigster Kampf bevor, denn es gibt keine Regeln, kein Fairplay. Es wird ein schmutziger Kampf.»
Vitali Klitschko in der «Lausitzer Rundschau»
Um das zu verhindern, hatte die regierungstreue Parlamentsmehrheit das Steuergesetz «nachgebessert». Bürger, die dauerhaftes Wohnrecht in einem anderen Land genießen und dort steuerpflichtig sind, sollen nicht mehr als Einwohner der Ukraine gelten. Klitschko lebt seit 1996 in Deutschland und zahlt hier Steuern. Gemeinsam mit Bruder Wladimir betreibt er die Vermarktungsagentur Klitschko Management Group GmbH (KMG) mit Sitz in Hamburg-Ottensen. Die Novelle des Steuergesetzes sei der Versuch, ihm auf kaltem Wege «die Staatsbürgerschaft zu entziehen», schimpfte der mehrfache Millionär.
Den Reichtum verdankt Klitschko seiner Boxkarriere. 1971 in Kirgisien geboren, wo Vater Wladimir Rodionowitsch als Offizier der sowjetischen Luftwaffe stationiert war, begeisterte sich Vitali zunächst fürs Kickboxen. Er siegte anschließend in 195 Amateurboxkämpfen, verpasste die Olympischen Spiele 1996 wegen einer Dopingsperre und schloss noch im gleichen Jahr gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Wladimir, der Olympiasieger geworden war, einen Profivertrag mit der Universum Box-Promotion. «Dr. Eisenfaust» - promoviert hatte er im Jahr 2000 mit einer Dissertation über «Sportbegabung und Talentförderung» - galt zeitweilig als «größter Knockouter aller Zeiten». 2005 erklärte er verletzungsbedingt das Ende seiner sportlichen Laufbahn. Wie sich drei Jahre später erwies, sollte es nur eine Pause werden, die Klitschko jedoch nutzte, um in die Politik einzusteigen.
Der Boxer symbolisierte damals den erfolgreichen Ukrainer, der im Westen Karriere gemacht hatte. Ein aus mehreren kleinen Oppositionsparteien gegründeter «Block Vitali Klitschko» trat im März 2006 zu den Stadtratswahlen in Kiew an und eroberte auf Anhieb 14 Mandate. Klitschko selbst erhielt bei den folgenden Bürgermeisterwahlen beachtliche 23,7 Prozent der Stimmen. Sein Block machte unter anderem durch Aktivitäten gegen den Verkauf von Kindergärten und gegen unsaubere Geschäfte mit staatlichen Immobilien auf sich aufmerksam. Im April 2010 schließlich gründete Klitschko die konservativ-liberale Partei UDAR (Ukrainische Demokratische Allianz für Reformen). Der Zeitpunkt war günstig: Gerade war Viktor Janukowitsch zum Staatspräsidenten gewählt worden, die unterlegene Kandidatin Julia Timoschenko wurde in die Opposition gedrängt - und bald darauf wegen Amtsmissbrauchs als Regierungschefin zu sieben Jahren Haft verurteilt. Ohnehin waren viele Wähler von Timoschenkos Amtsführung enttäuscht. Der Platz war frei für eine neue, westlich orientierte, konservative Partei.
Bei deren Aufbau holte sich Klitschko Rat bei der CDU. Im Konrad-Adenauer-Haus ließ er sich im Schnellkurs schulen, im November 2011, beim CDU-Parteitag in Leipzig, saß er in der zweiten Reihe und «applaudierte euphorisch für die Kanzlerin», wie die «Leipziger Volkszeitung» notierte. Angela Merkel habe mit ihren Aussagen zur Bewältigung der Wirtschaftskrise «genau den Kern getroffen», vertraute er dem Blatt an. Denn es gehe «nicht nur um Deutschland oder um Europa, sondern um die ganze Welt». Einfach gestrickte Sätze gibt Dr. Eisenfaust immer wieder von sich. Auch im Interview mit dem Fernsehkanal «Moskau 24» brillierte er: «Ich kenne wie kein anderer die Regel: Ohne Kampf wird es keinen Sieg geben.» Bei so viel Tiefgang blieb dem Interviewer nur ein verlegenes Lächeln.
Bei den Parlamentswahlen 2012 kam UDAR auf 13,9 Prozent der Stimmen und 42 Abgeordnetensitze. Klitschko ist seither Fraktionsführer. Die Abkürzung UDAR ergibt zwar in der Übersetzung aus dem Russischen das treffende Wort «Schlag», doch in Parlamentsdebatten demonstriert der Zweimetermann vornehme Zurückhaltung, wenn andere Abgeordnete ohne Rücksicht auf teure Anzüge die Fäuste gegeneinander fliegen lassen.
Mit seiner Frau Natalja hat Vitali Klitschko drei Kinder. Die wohltätige Klitshko Brothers Foundation veranstaltet im Dezember in Kiew zum dritten Mal eine Spendengala mit Gästen aus aller Welt. Die Einnahmen werden für den Aufbau von Kinder- und Jugendsportschulen in der Ukraine verwendet. ND