31. December 2010

Drakonische Strafe für Chodorkowski

Der Kreml-Kritiker und frühere Öl-Magnat Michail Chodorkowski ist erneut zu einer jahrelangen Haftstrafe verurteilt worden. Unter Anrechnung einer früheren Strafe muss er noch bis 2017 im Arbeitslager bleiben.

Von Merkur-Mitarbeiter Ulrich Heyden

Moskau. Vor dem Moskauer Bezirksgericht hatten sich wieder Hunderte versammelt, die „Freiheit, Freiheit“ riefen. Demonstranten mit Plakaten wurden verhaftet.

Die Stimmung im Gerichtssaal war gereizt. Gerade hatte Richter Danilkin das Strafmaß verlesen: 13,5 Jahre Arbeitslager jeweils für Michail Chodorkowski (Foto: dapd) und Platon Lebedew, wegen Öldiebstahls und Geldwäsche. Der ehemals reichste Mann Russlands reagierte gelassen. Er winkte seinen Angehörigen zu. Doch die Mutter des ehemaligen Öl-Magnaten, Marina Chodorkowskaja, reagierte emotional. „Verflucht seien Sie und Ihre Angehörigen“, sagte die kleine, weißhaarige Frau an den Richter gewandt.

Michail Chodorkowski, dem ehemaligen Chef des Ölkonzerns Yukos, und Platon Lebedew, dem ehemaligen Leiter der zu Yukos gehörenden Bank Menatep, warf der Richter in seinem Urteil vor, Öl im Wert von 22,3 Milliarden Euro gestohlen und Geld in Höhe von zwölf Milliarden Euro gewaschen zu haben. Beobachter sprachen von absurden Vorwürfen. Die Anwälte kündigten an, gegen das Urteil Einspruch einzulegen. Der Leiter des Instituts für moderne Entwicklung, Jewgeni Gontmacher, meinte, ein bedeutender Teil der russischen Gesellschaft habe im zweiten Prozess gegen Chodorkowski ein milderes Urteil erwartet. „Viele waren der Meinung, dass die Strafe, die Chodorkowski im ersten Prozess erhielt, schon ausreichend war.“ 2005 war Öl-Magnat Chodorkowski bereits wegen Steuerhinterziehung und Betrug zu acht Jahren Arbeitslager verurteilt worden.

Für Russland werde es jetzt schwieriger, seine Modernisierungspläne zu verwirklichen, denn ausländische Investoren würden jetzt vorsichtiger, so der Experte Gontmacher. Der Menschenrechtsbeauftragte des russischen Präsidenten, Wladimir Lukin, erklärte, „das Urteil ist hart“. Es bestehe jedoch noch die Möglichkeit des Einspruchs durch die Anwälte. Außerdem bestehe noch die Möglichkeit, dass Chodorkowski vom Präsidenten begnadigt wird. Die Anwälte des ehemaligen Öl-Magnaten haben jedoch bereits erklärt, dass Chodorkowski und Lebedew von sich aus nicht um Begnadigung bitten werden. Da das Gericht bei seinem Strafmaß die schon in Haft abgesessene Zeit anrechnet, könnte könnte der ehemalige Yukos-Chef 2017 in Freiheit kommen, wenn nicht noch ein dritter Prozess gegen ihn eröffnet wird, was die Verteidigung nicht ausschließt. Der liberale Oppositionspolitiker Boris Nemzow erklärte, Chodorkowski komme erst dann in Freiheit, „wenn Putin zurücktritt“. Der Richter folgte in seinem Strafmaß dem Staatsanwalt Waleri Lachtin, der 14 Jahre Arbeitslager gefordert hatte. Süffisant schrieb Chodorkowski in seinem Blog, das Urteil habe Lachtin geschrieben. „Es lebe unser humanes und unabhängiges Gericht!“

Meinung

Der Westen hat zu oft weggeguckt

Von SZ-Mitarbeiter Ulrich Heyden

Der Westen ist an dieser Tragödie nicht völlig unbeteiligt. In den 1990er Jahren hat man sich in Westeuropa zu wenig dafür interessiert, was für ein Kapitalismus in Russland entsteht. "Hauptsache kein Sozialismus", so dachten damals Viele. Doch eben wegen der negativen Erfahrung mit der "Demokratie" unter Boris Jelzin vertrauen die Menschen dem Autokraten Putin, auch wenn ihnen Vieles nicht gefällt. Eine kleine Chance gibt es noch für Chodorkowski: Präsident Medwedew könnte ihn begnadigen.

veröffentlicht in: Pfälzischer Merkur

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