Ein Drittel der Atomwaffen soll verschwinden
Von unserem Mitarbeiter ULRICH HEYDEN (Die Presse)
USA-Russland-Gipfel. US-Präsident Obama und sein Gegenüber Medwedjew einigen sich, 2016 nur mehr jeweils höchstens 1675 Atomsprengköpfe zu haben. Die Welt könnte man damit noch immer gleich mehrfach zerstören.
Moskau. Der erste Russlandbesuch von Barack Obama als US-Präsident brachte am Montagabend zwei wichtige sicherheitspolitische Ergebnisse. Erstens einigte sich Obama mit seinem russischen Gegenüber Dmitrij Medwedjews darauf, bis zum Jahresende einen Vertrag darüber zu schließen, die Zahl der nuklearen Sprengköpfe beider Armeen binnen sieben Jahren (also bis 2016) von derzeit jeweils mehr als 2200 Stück auf 1500 bis 1675 Stück zu senken und die Zahl der dazu gehörenden Transport- und Abschussfahrzeuge von 1600 auf 500 bis 1100.
Zweitens gestattet Russland der US-Luftwaffe jährlich 4500 gebührenfreie Flüge über russisches Staatsgebiet, um Truppen und Nachschub ins afghanische Kriegsgebiet zu bringen.
Für ein neues Abkommen zur Senkung der Zahl der strategischen Atomwaffen war es höchste Zeit. Am 5. Dezember läuft nämlich der im Jahr 1991 geschlossene Start-1-Vertrag aus, der seit Ende des Kalten Krieges die Verkleinerung der riesigen Atomwaffenarsenale der USA und der damals zerfallenen UdSSR regelt. Das Übereinkommen, das Obama und Medwedjew nun unterzeichnet haben, ersetzt Start-1 nicht, schreibt aber den Willen der Regierungen fest, sich rechtzeitig um einen Nachfolger zu kümmern.
Russen misstrauen den USA
Das Abkommen zwischen den USA und Russland dürfte dazu führen, dass die Zahl der strategischen Atomwaffen der beiden größten Militärmächte um etwa ein Drittel sinkt. Genaue Angaben darüber, wie viele Sprengköpfe sie haben, gibt es nicht. Russland dürfte laut Schätzungen von Atomphysikern und dem Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri zwischen 2500 und 3000 Sprengköpfe haben, die USA rund 2200. Wie groß auch immer die Reduktion ist: Russland und Amerika werden auch künftig theoretisch zur MAD fähig, zur „Mutual Assured Destruction“, also der garantierten gegenseitigen Vernichtung.
Abseits davon verlief Obamas Ankunft in Moskau unspektakulär und war nicht mit seinem letzten Russland-Besuch zu vergleichen. 2005 wurde er als US-Senator drei Stunden von Sicherheitskräften auf einem Flughafen in Sibirien festgehalten, in der Lounge eingesperrt, sein Pass konfisziert. Die Russen sprachen damals von einem „Missverständnis“.
Ob der viel beschworene „Neustart“ in den Beziehungen zu Russland gelingt, war am Montag nicht absehbar. „Ich zweifle nicht, dass wir einen Fortschritt in allen Fragen erreichen können“, erklärte Obama. „Wir haben keine Zeit verschwendet, als wir die wichtigen Fragen besprochen haben“, meinte Medwedjew. Obama hat es nicht leicht in Russland, denn die Russen beurteilen die Politik der USA wegen der Nato-Osterweiterung, der geplanten Raketenabwehr in Polen und Tschechien und der Aufrüstung Georgiens mit amerikanischen Waffen sehr kritisch. Laut Meinungsumfrage des unabhängigen Lewada-Meinungsforschungsinstituts glauben 57 Prozent der Russen, dass sich die russisch-amerikanischen Beziehungen unter dem neuen US-Präsidenten nicht verbessern werden.
Obama kritisierte Putin
In Moskau ist man gespannt, wie der Besuch atmosphärisch abläuft. Denn im Gegensatz zu Vorgänger George W. Bush hat sich Obama nicht mit Deutungen über die Seele und die Augen des Kreml-Chefs (damals Wladimir Putin, der heutige Premier) aufgehalten, sondern noch vor dem Besuch in Interviews schwierige Fragen angesprochen, eine in der Diplomatie ungewöhnliche Praxis. So kritisierte Obama Putin, der noch mit „einem Bein in der Vergangenheit“ stehe. Der konterte: „Wir stehen immer auf den Beinen und schauen in die Zukunft.“ Heute, Dienstag, trifft Obama Putin zum Frühstück.
Die Begegnung ist für eineinhalb Stunden angesetzt: kurz, so man Putins Bedeutung in der russischen Politik bedenkt. Zudem wird Obama Studenten und Unternehmer treffen – ebenso wie Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow und KP-Chef Gennadij Sjuganow als Vertreter der Opposition, sowie Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow, heute Eigentümer der Kreml-kritischen „Nowaja Gazeta“.
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