25. August 2012

Ein Leben fern von allem Gewohnten

Der grüne Minibus donnert über eine Landstraße, die sich durch eine menschenleere Landschaft schlängelt. Es geht vorbei an Birkenwäldern und Mooren.

Wir befinden uns in der russischen Teilrepublik Mordowia, 450 Kilometer östlich von Moskau. Unser Ziel ist das Dorf Jawas. Dort befindet sich das Frauen-Arbeitslager Nummer 2. In dieses Lager könnten die drei Frauen von Pussy Riot eingeliefert werden, wenn das Moskauer Berufungsgericht das Urteil von zwei Jahren Arbeitslager bestätigt.

In dem spartanisch ausgestatteten „Tabletka“-Minibus der russischen Marke UAS sitze ich mit dem Presse-Sprecher der Gefängnisverwaltung, einem älteren Herrn mit zerfurchtem Gesicht, auf einer Bank hinter dem Fahrer. Der Wagen schaukelt hin und her, da schlägt mir mein Begleiter plötzlich mit seiner Pranke auf den Oberschenkel und erklärt, man hätte eine „Sonder-Einsatzgruppe“ in Moskau. Wenn ich meine Reportage „nicht richtig“ schreibe, würden diese Männer bei mir vorbeikommen. Russischer Humor?

Der derbe Scherz am frühen Morgen war nicht leicht zu verkraften. Trotzdem schrieb ich in meinem vor einigen Jahren verfassten Bericht alles so auf, wie ich es gesehen hatte, worauf mich mein Begleiter wütend anrief und erklärte, er habe „wegen mir“ großen Ärger bekommen. Zur Strafe dürfe ich „nie wieder“ ein Gefängnis besuchen.

Am Rande des Städtchens Jawas liegt – umgeben von hohen Bretterzäunen und Stacheldraht – das „IK Nr. 2“. Die Buchstaben IK stehen für Besserungs-Kolonie. Hier leben in einstöckigen, weißverputzten Häusern aus Stein 1000 Frauen. Der Tagesablauf für die Frauen ist streng reglementiert. Um sechs ist Wecken. Nach dem Frühstück beginnt die Arbeit. In einer großen Halle sitzen Frauen an Nähmaschinen und nähen grün-gefleckte Kampfanzüge für die Armee. Um 22 Uhr ist Nachtruhe.

Im Flur sind Tafeln aufgehängt. Auf einer liest man die Namen von sieben Frauen, die sich bei der Arbeit besonders hervorgetan haben. Auf einer anderen Tafel stehen die Namen von 24 Frauen, die im letzten Jahr wegen guter Führung vorzeitig entlassen wurden.

Mein Begleiter zeigt mir stolz das „Kinderhaus“. In dem Reformprojekt, welches noch heute existiert, lebten damals 30 Frauen mit ihrem Nachwuchs, der im Gefängnis geboren wurde. Wenn die Kinder drei Jahre alt sind, müssen sie an Verwandte außerhalb des Lagers abgegeben werden. Doch viele Frauen hoffen auf eine Schwangerschaft, weil Mütter oft vorzeitig entlassen werden. Gerne zeigt man mir das Begegnungszimmer mit dem Doppelbett, wo Frauen bei „guter Führung“ viermal im Jahr bis zu drei Tagen mit ihrem Ehemann oder Freund zusammenleben können.

In den großen Schlafsälen werde ich vom blendenden Weiß fast erschlagen. Vor den Fenstern hängen weiße Gardinen, die weißen Doppelstockbetten sind weiß bezogen. „Weiß kann zur Qual werden“, erzählte mir später in Moskau Flora, eine Afrikanerin, die im IK Nr. 2 wegen Drogenhandel einsaß. Eine der Strafen heiße, „pa bjelomu sidit“ – „neben dem Weißen sitzen“, erzählt die Afrikanerin. „Du kommst völlig fertig von der Arbeit, möchtest dich waschen und hinlegen, aber von vier bis neun Uhr abends musst du neben deinem Bett auf einem Hocker sitzen. So wollen sie erreichen, dass wir besser arbeiten.“ Manchmal werde der ganze Schlafsaal bestraft, wenn eine Frau „schlecht gearbeitet“ hat.

Die drei Aktivistinnen von Pussy Riot wurden zu einer Haft mit der zweiten Sicherheitsstufe („allgemeines Regime“) verurteilt, das heißt, sie werden mit Frauen zusammenleben, die sowohl wegen Alltagskriminalität als auch wegen schweren Verbrechen, auch Mord, verurteilt wurden.

„Allgemeines Regime“ heißt, die Frauen dürfen sich von dem im Lager erarbeiteten Geld oder dem Geld, das ihnen Freunde schicken, Dinge des täglichen Bedarfs kaufen. Im Monat dürfen die weiblichen Häftlinge aber nicht mehr als 345 Euro ausgeben. Pro Jahr dürfen die Gefangenen außerdem sechs Pakete empfangen. Außerdem sind pro Jahr – neben vier Drei-Tage-Besuchen – sechs Kurzbesuche von bis zur drei Stunden erlaubt. Bei den Kurzzeit-Besuchen dürfen sich die Inhaftierten mit dem Besuch allerdings nur per Telefon und getrennt durch eine Glasscheibe unterhalten.

Sie hätten keine Angst, in ein Arbeitslager zu kommen, haben die Frauen von Pussy Riot in Interviews erklärt. Im Moskauer Untersuchungsgefängnis hat Pussy-Riot-Aktivistin Jekaterina Samuzewitsch schon ihre ersten Gefängnis-Erfahrungen gesammelt. Als ihre Mitgefangenen erfuhren, dass sie wegen „anti-religiöser Tätigkeit“ in Haft ist, sei ihr zunächst Ablehnung entgegengeschlagen, doch das habe sich mit der Zeit gelegt. „Als die Gerichtsverhandlungen liefen, haben sie mich jeden Tag mit warmem Essen empfangen und meine Wäsche gewaschen, was schon für sich spricht“, berichtete sie der Novaya Gazeta.

Die Frage ist, ob das so bleibt. Tatjana Lokschina, Mitarbeiterin der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch in Moskau, meinte gegenüber dieser Zeitung, man könne nicht ausschließen, dass die Lagerwaltung ein Signal aus dem Kreml bekomme, die Haft der drei Frauen „nicht angenehm“ zu gestalten. Selbst wenn diese Anweisung nicht komme, müsse man davon ausgehen, dass die Lagerwaltung sich gegenüber den drei Frauen besonders streng verhalte, da es sich um prominente Fälle handelt, zu denen sich auch Putin schon geäußert hat. Lokschina erinnerte daran, dass ein anderer prominenter Häftling, nämlich der ehemalige Öl-Magnat Michail Chodorkowksi von der Lagerverwaltung ständig gepiesackt werde. So bekam er eine Strafe, weil er sein Essen mit einem Mitgefangenen geteilt hatte.

veröffentlicht in: Südkurier

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