Ein Polizeimajor ist Russlands neuer Held
Von Ulrich Heyden, SZ-Korrespondent in Moskau
Alexej Dymowski hat es gewagt, öffentlich die Korruption in den eigenen Reihen anzuprangern.
Russland hat einen neuen Helden. Alexej Dymowski, ein Polizei-Major aus der südrussischen Stadt Noworossisk, erhebt schwere Vorwürfe gegen seine Vorgesetzten. In youtube-Videos beschuldigt er sie, Untergebene zur Korruption anzuhalten und Unschuldige mit „fabrizierten“ Strafverfahren ins Gefängnis zu befördern. Auf diese Weise wollten sich die Vorgesetzten mit einer hohen Aufklärungsrate rühmen.
Gesperrte Kreditkarte
Dymowskis Mut hatte Folgen: Der aufmüpfige Major wurde von seiner Dienststelle entlassen. Er sei ein „Hochstapler“ und „Abenteurer“; die Vorwürfe seien „haltlos“, erklärte Dymowskis Vorgesetzer.
Über seine Erfahrungen will der Major jetzt nur noch mit einem reden: Ministerpräsident Wladimir Putin. Doch auf dem Weg nach Moskau sei er verfolgt worden, berichtete Dymowski vor der Presse. Seine Kreditkarte sei gesperrt worden. Am Flughafen habe man ihn unter fadenscheinigen Gründen festgehalten.
In Moskau hofft Dymowski auf offene Ohren. Innenminister Raschid Nurgalijew hat eine Untersuchungskommission nach Noworossisk geschickt. Sie soll die Vorwürfe Dymowskis prüfen. In einer Fernsehansprache zum „Tag der Polizei“, der in Russland am Dienstag mit Festveranstaltungen begangen worden war, erklärte der Minister, wer aus seinem Dienst bei der Polizei „ein kriminelles Geschäft“ mache, habe keinen Platz bei den Sicherheitskräften. „Diese Leute“ werde man „nicht decken“. Der stellvertretende Leiter des Duma-Ausschusses für Innere Sicherheit, Gennadi Gudkow, nahm Dymowski in Schutz. Gudkow sprach von einem „mutigen Schritt“. Das man Dymowski entlassen habe, zeige, dass nicht einzelne Verantwortliche in der Polizei „krank“ seien, sondern „das ganze System der Innenbehörde“.
Seit Jahren gibt es immer wieder versuche vom Kreml, die Korruption unter Polizisten einzudämmen. Bekannt wurde der Fall einer Bande von sechs Moskauer Kriminalbeamten, die im Juni 2003 verhaftet wurden, weil sie in Erpressungsgeschäfte verwickelt waren. Die Mitglieder der Bande hatten unschuldigen Bürgern „Pistolen und Drogen zugesteckt, Strafverfahren eingeleitet und dann Geld für die Einstellung der Verfahren erpresst“, gab der damalige Innenminister Boris Gryslow nach der Verhaftung der sechs Männer bekannt.
Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts „Lewada“ sind 45 Prozent der Befragten unzufrieden mit der Arbeit der Polizei. Auch die Einschätzung von Ermittlern der Moskauer Kriminal-Polizei war wenig hoffnungsvoll. Danach wollten nur zehn Prozent der Polizisten normal arbeiten, 40 Prozent wollten sich im Dienst bereichern. 50 Prozent der Polizisten seien im Prinzip bereit, nach dem Gesetz zu handeln, müssten sich aber den fragwürdigen Spielregeln im Polizeiapparat anpassen. Immer wieder berichten Zeitungen darüber, dass Polizisten ihre Amtsvollmachten überschreiten, Unschuldigen Drogen zustecken, um sie dann festnehmen zu können oder willkürlich Gewalt anwenden. Nach Angaben des Magazins TNT wurden von Ordnungshütern im letzten Jahr 4600 Straftaten begangen.
Besonders niedrig ist das Ansehen der Verkehrspolizisten. Eine Straßenpatrouille der Verkehrspolizei verdient pro Schicht umgerechnet 660 Euro, ermittelte das Magazin TNT bei Befragungen Moskauer Polizisten. Kassiert wird für kleine Verkehrsdelikte oder technische Mängel am Auto direkt beim Fahrer. Das Geld landet dann in der Brusttasche des Verkehrspolizisten. Eine Quittung gibt es nicht.
Begehrte Bezirke
Alexej Dymowski erklärte, er habe trotz Wochenendarbeit nie mehr als 1400 Rubel (325 Euro) verdient. Seine Vorgesetzten hätten gesagt, man müsse sich eben mit Schmiergeldern etwas dazuverdienen. In den Städten hat das Geschäft mit Schmiergeldern inzwischen schwindelerregende Höhen erreicht. Bei Polizisten besonders begehrt sind die Bezirke rund um die großen Märkte von Moskau, schrieb das Magazin „TNT“. Ein Marktstand werfe für eine Polizei-Streife im Monat umgerechnet 2700 Euro ab. Das Blatt schätzt, dass die Polizei in einem Bezirk der Moskauer Innenstadt monatlich umgerechnet 170000 Euro Schmiergeld kassiert.
"Sächsische Zeitung"