3. March 2014

„Einen Tag lang nur russisch sprechen“

Im Westen der Ukraine starteten besorgte Intellektuelle einen ersten Versuch der Versöhnung

ulrich heyden moskau, kiew (SN). Mit einem Aufruf, den ganzen Tag nur russisch zu sprechen, wollen besorgte Bürger in Lemberg etwas gegen die Entfremdung zwischen dem Westen und dem Osten der Ukraine tun. Anlass für den Aktionstag vergangene Woche war ein Beschluss des neuen Parlaments in Kiew: Auf Initiative der rechtsradikalen Partei Swoboda (Freiheit) wurde ein Gesetz gekippt, das Russisch in bestimmten Gebieten im Osten und Süden der Ukraine als zweite Amtssprache zuließ. Die Regelung ist allerdings nicht in Kraft, da der Übergangspräsident seine Unterschrift verweigerte.

Lemberg, sagen die Organisatoren des Aktionstags, sei immer eine multinationale Stadt gewesen. Bis vor dem Zweiten Weltkrieg lebten 150.000 Juden in der Stadt. Sie gehörte zur Habsburg-Monarchie, zu Polen, ab 1945 zur UdSSR. Als das Sowjetreich zu wanken begann, bildeten sich erste ukrainisch-nationalistische Organisationen. Bei den Parlamentswahlen 2012 stimmten 38 Prozent für die rechte Partei Swoboda.

In keinem Gebiet der Ukraine wurden zuletzt so viele sowjetische Denkmäler gestürzt. Sogar eine Büste des russischen Generals Michail Kutusow, der 1812 gegen Napoleon kämpfte, fiel vom Sockel. Aus Kiew zurückgekehrte Polizisten der berüchtigten Spezialeinheit Berkut (Steinadler) mussten kniend Abbitte für die Unterdrückung der Demonstranten auf dem Maidan leisten. Vor diesem Hintergrund war die Aktion für die russische Sprache ein mutiger Schritt. Initiator Volydymir Beglov sagt, er wolle nicht, dass „die Bürger der Westukraine“ mit den Aussagen der Partei Swoboda in Verbindung gebracht würden. Immerhin sei man in Kiew gemeinsam mit Russen „gegen die verbrecherische Macht auf den Barrikaden gestanden“.

Die Verlegerin Marjana Sawka vom Verlag Alter Löwe gab bekannt, ihr Verlag werde das erste Mal ein Buch in russischer Sprache verlegen. Mit Genugtuung wurde zur Kenntnis genommen, dass die umstrittene Swoboda-Abgeordnete Irina Farion aus Lemberg nicht als Bildungsministerin in das neue Kabinett in Kiew aufgenommen worden ist. Farion wurde bekannt, als sie in einem Kindergarten forderte, russische Kosenamen wie Mischa oder Natascha nicht zu benutzen, sondern stattdessen die ukrainischen Namen Michajlik und Natalotschka. Man müsse die Ukrainer gesetzlich zwingen, nicht mehr russisch zu sprechen, forderte sie.

Erstaunt war die Öffentlichkeit, als im Herbst 2013 bekannt wurde, dass Farion einst KPdSU-Mitglied war. Als Sprachwissenschafterin leitete sie einen Expertenkreis zum Thema marxistisch-leninistische Ästhetik.

veröffentlicht in: Salzburger Nachrichten
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