Ich lache, weil meine Sinne alle beisammen sind
und weil wir weiterkamen und weil die Welt sich dreht
und weil mein Heizer von Flammen und Dampfkesseln was versteht.“
Auf den Konzerten verflogen die Beschwernisse des Fabrikalltags. Und auch die Horrorgeschichten der Bild-Zeitung über angebliche linke Unterstützer der Rote-Armee-Fraktion und die „Gräuel der SED-Kommunisten“ an der Berliner Mauer waren für ein paar Stunden vergessen.
Als radikaler Linker fühlte man sich damals wie ein Mitglied einer weltweiten Familie von Revolutionären, erzählt Uwe.
Aus Vietnam, Afrika und Lateinamerika kamen Nachrichten über die Vertreibung von Imperialisten und Kolonialisten. Und selbst in Europa züngelten die Flammen der Revolution. Im April 1974 stürzte eine Gruppe von 300 linken Offiziere der portugiesischen „Bewegung der Streitkräfte“ den Diktator Marcelo Caetano. Die Offiziere, die ihre Panzer mit roten Nelken schmückten, machten dem portugiesischen Kolonialismus ein Ende. Im Hamburger Audimax trug der portugiesische Sänger José Afonso die langsam-getragene Hymne der Nelkenrevolution vor, „Grândola, Vila Morena“. Die Stimmung war feierlich.
Auf Schulungen mit Lenin-Texten hatte Uwe gelernt, dass man das Bewusstsein der Arbeiter heben muss. Und als auf der Sitzung der Betriebszelle des KB die Redebeiträge für die nächste Betriebsversammlung bei MBB verteilt wurden, übernahm er — ohne zu zögern — den Redebeitrag zu Franz Josef Strauß. Der war nicht nur Aufsichtsratsvorsitzender von Airbus Industrie. Er wollte seine CSU als bundesweite „vierte Partei“ ausbauen. Das konnte nicht unwidersprochen bleiben.
Einige Tage später war es so weit. Uwe war ziemlich aufgeregt. Schließlich kam er dran. Er erklomm die Stufen zum Podium, stellte sich hinter das Rednerpult und sah vor sich Tausende Arbeiteraugen. Nein, so entschlossen wie Lenin fühlte er sich nicht. „April-Thesen“ hatte er nicht vorzutragen. Die Gesichter der Arbeiter guckten neugierig zu ihm hinauf. Uwe musste sich konzentrieren. Die Augen der Arbeiter verschwammen, und er hielt seine Rede. Eine „vierte Partei“ als Sammelbecken von Nationalisten, Revanchisten und Gewerkschaftsfeinden sei eine bedrohliche Sache. Das könne man nicht zulassen.
Ob es Applaus gab, daran erinnert sich Uwe nicht. Aber das war für ihn nicht das Wichtigste. Das Wichtigste war, dass er Strauß demaskiert hatte.
Doch dann gab es eine Episode, die hat Uwe nicht vergessen. Als er von der Rednertribüne stieg und an den Ausbildern in ihren grauen Kitteln vorbeimusste, sagte einer der Meister laut: „Und solche Leute besetzen hier die Lehrplätze.“ Dabei guckte er sehr grimmig.
In den 1970er-Jahren habe man sich fast gefühlt wie ein Bolschewist während der Zarenzeit, erzählt Uwe. Ein Verbot von K-Gruppen war damals möglich gewesen. Das „Leitende Gremium“ des KB empfahl den Genossen als Freizeitlektüre einen Roman von Iwan Popow, „Als die Nacht verging“. Der Roman schildert den Kampf der Bolschewiki im Untergrund, immer auf der Flucht vor der zaristischen Geheimpolizei.
Die Disziplin im KB war streng. Uwe erinnert sich, wie er einen Genossen aus einer Arbeiterfamilie zur Rede stellte, warum er am Wochenende auf die Ostsee zum Segeln fahren und nicht an einer Schulung teilnehmen wollte. Regelmäßig gab es Schulungen, vor allem mit Lenin-Texten, aber auch mit Analysen von KB-Autoren.
Doch das war noch nicht alles an Aufgaben. Die KB-Zeitung Arbeiterkampf musste Korrektur gelesen werden. Und am Wochenende mussten die Genossen aus den Betrieben in norddeutsche Städte fahren, um dort den Arbeiterkampf zu verkaufen. Man fuhr in andere Städte, damit man nicht zufällig Arbeitskollegen traf.
Für Hobbys — womöglich noch unpolitische wie Tanzen, Malen oder Musik — oder sich einfach mal ein Wochenende ausruhen war fast keine Zeit. Und das war einer der Gründe, warum der KB nicht lange durchhielt. Man war zu kurzatmig drauf.
Die kämpferische Zeit des Betriebskampfes in der ersten Hälfte der 1970er-Jahre endete mit einer Niederlage. Linke Lehrlinge bei MBB wurden nach der Ausbildung nicht in ein festes Arbeitsverhältnis übernommen. Ältere linke Kollegen wurden im Rahmen „betriebsbedingter“ Kündigungen an die frische Luft gesetzt.
Doch das war noch nicht alles. Zwei linke Jugendvertreter bei MBB wurden 1974 aus der IG Metall ausgeschlossen. Grundlage war ein vom Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) am 1. Oktober 1973 gefasster „Unvereinbarkeitsbeschluss“, der sich gegen die Tätigkeit von Mitgliedern der K-Gruppen in den Gewerkschaften richtete. Anlass für die Ausschlüsse war meist die Kandidatur auf oppositionellen — als von den Gewerkschaftsführern nicht abgesegneten — Listen zu den Betriebsrats- oder Jugendvertreterwahlen.
Waren wir zu ungestüm, zu kompromisslos gewesen?, fragt sich Uwe heute. Dass die Betriebsleitungen mit hartem Besen gegen die Linken vorgehen würden, war doch eigentlich abzusehen. Doch für diesen Fall hatte man nicht vorgeplant. Man hatte gehofft, Arbeiter und Arbeiterinnen würden über kurz oder lang aktiv werden. Die Ideologie der Sozialpartnerschaft aber war fester in den Köpfen der Beschäftigten verankert, als es sich die jungen Linken vorstellen konnten.
Der Arbeiterkampf, die Zeitung des KB, hatte immer vor der Illusion einer schnellen Linkswendung in Westdeutschland — wie sie etwa der KBW voraussagte — gewarnt. Die KB-Mitglieder fühlten sich „klüger“ als die Genossen vom KBW und lachten sogar über sie. Doch das half nur wenig. Die Enttäuschungen im Betriebskampf waren eine kalte Dusche.
Aber der Kampf ging weiter. Die KB-Mitglieder fanden neue Betätigungsfelder in der Anti-AKW-, der Frauen-, der Anti-NPD- und der alternativ-grünen Wahlbewegung. Auf die „Bunte Liste — Wehrt Euch“, die 1978 bei den Hamburger Bürgerschaftswahlen 3,5 Prozent der Stimmen erreichte und zwei Kandidaten auf der Bezirksebene durchbrachte, waren die Genossen und Genossinnen mächtig stolz.
Nicht wenige KB-Mitglieder blieben nach der Repressionswelle in den Betrieben. Sie blieben Betriebsräte und gewerkschaftliche Vertrauensleute. Einige gingen ihren Weg auch weiter als Gewerkschaftssekretäre. Inzwischen war man klüger geworden. Seine revolutionäre Vergangenheit verschwieg man.
Nachdem der Kampf in den Betrieben gescheitert war, gingen viele ehemalige Aktivisten zurück ins „bürgerliche Leben“. Es begann eine Phase der „Resozialisierung“.
Nach einer Zeit, die Elemente eines Bürgerkrieges hatte, musste man wieder lernen, mit „der anderen Seite“ zu reden. Man suchte das Gespräch nicht mehr von der angreifenden, revolutionären Position aus, sondern von der Position desjenigen, der bereit ist, sich an der Demokratisierung der Gesellschaft zu beteiligen.
Der bürgerliche Staat und die Unternehmen ihrerseits zeigten sich offen für ehemalige Revolutionäre. Man musste nicht unbedingt reumütig sein. Es reichte, wenn man auf politische Betätigung verzichtete. Man durfte das an Ideen und kreativem Potenzial einbringen, worauf Konservative nicht kamen: Müllvermeidung, die Integration von „schwierigen“ Jugendlichen und die Gleichstellung der Geschlechter im Arbeitsleben.
Ob er die Betriebsarbeit und seine zwanzig Jahre im KB bereue? Nein, meint Uwe. Wenn er heute in den Flugblättern und Betriebszeitungen des KB blättere, finde er vieles, was er heute noch genauso schreiben würde. Er sei froh, dass er dabei war. Und dann fällt ihm ein Zitat von Brecht ein: „Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren.“
Fähranleger Hamburg-Teufelsbrück. Auf der anderen Elbseite die Produktionshallen von Airbus, Foto Ulrich Heyden 2019
Quellen und Anmerkungen:
(1) Hans Walden: „Wie geschmiert — Rüstungsproduktion und Waffenhandel im Raum Hamburg“, 1998, https://www.nadir.org/nadir/initiativ/ikrg/buch/register/m009.htm
Von Ulrich Heyden erschien 2020 das Buch „Wie Deutschland gespalten wurde. Die Politik der KPD 1945 bis 1951“. Verlag tredition, 445 Seiten, Paperback 19,99 Euro, https://tredition.de/autoren/ulrich-heyden-30935/wie-deutschland-gespalten-wurde-paperback-138954
veröffentlicht in: Rubikon