18. March 2018

Er leuchtet

Russland Die Präsidentenwahl wird den klaren Sieger Wladimir Putin haben – interessanter ist der Kandidat der Kommunisten

 

Ovationen brandeten auf, als Wladimir Putin in Winterjacke, aber ohne Kopfbedeckung die Bühne betrat. Über 100.000 Menschen hatten sich Anfang März im Moskauer Luschniki-Stadion zu einem Meeting für den Präsidenten versammelt. Der erklärte, „wir haben klare, verständliche, gute Ziele. Wir wollen unser Land leuchten lassen und wollen, dass es nach der Zukunft strebt.“ Als Putin die Menge fragte: „Sind wir eine Mannschaft? Wollen wir alles dafür tun, dass unsere Kinder glücklich leben?“, war ein tausendfaches „Ja“ die Antwort. Wären da nicht Hunderte von russischen Fahnen gewesen, konnte man glauben, eine Wahlveranstaltung in den USA zu erleben. Der Präsident wie ein Rockstar als Einheizer.

 

Dieses Votum für das höchste Staatsamt am 18. März hat fast alles, was dazugehört – Werbeclips, TV-Shows und ein Kandidatenspektrum, das vom Ultranationalisten Wladimir Schirinowski (71) über den Nationalisten Sergej Baburin (59) oder den Sozialdemokraten Pawel Grudinin (57) bis hin zu einem Liberalen wie Grigori Jawlinski (65) reicht. Und dann ist da noch Wladimir Putin, der sich diesmal nicht für die Partei Einiges Russland, sondern als Unabhängiger bewirbt und Talkshows meidet, in denen er auf Konkurrenten treffen könnte. Was der bekannte Fernsehmoderator Dmitri Kiseljow so erklärt: Putin habe kein Interesse daran, „bedeutungslose Kandidaten aufzuwerten“. Der Präsident zeige sich als jemand, der über Parteiengezänk und persönlichen Animositäten stehe. Diese Sonderrolle hat ihre Wurzeln in den 1990er Jahren, als das Land Gefahr lief, unter Oligarchen-Clans aufgeteilt zu werden. Seinerzeit sehnten sich viele Russen nach einem Führer, der für Ordnung sorgt und dafür exzeptionelle Vollmachten braucht.

Noch ist kein Nachfolger in Sicht. Entweder wird die Person, die Putin 2024 beerben könnte, nicht genannt, um den Amtsinhaber nicht zu schwächen, oder es gibt in der politischen Elite noch keine Einigkeit darüber, wer das sein sollte.

Zunächst einmal hat das staatliche Meinungsforschungsinstitut WZIOM ermittelt, dass Putin bei den Wahlen etwa 70 Prozent der abgegebenen Stimmen erhält, gefolgt von KP-Bewerber Pawel Grudinin mit einem Wert um die sieben Prozent (s. Glossar). Nur 0,6 Prozent der Wähler würden einen ungültigen Wahlzettel in die Urne werfen, zudem sei mit einer Beteiligung von etwa 80 Prozent der Wahlberechtigten zu rechnen, prophezeien die Demoskopen.

Dörfer ohne Versorgung

Vom Amtsbonus abgesehen, liegt Putin uneinholbar vorn, weil er soziale Stabilität garantiert und ein Abrutschen in die Schutzlosigkeit der 1990er Jahre ausschließt. Da die von der Regierung zu verantwortende Kommerzialisierung im Gesundheits- und Bildungswesen voranschreitet, bleibt in der Bevölkerung allein schon deshalb ein Gefühl der Nostalgie für die Sowjetunion stark. Fast alle Kandidaten – von Jawlinski und Xenia Sobtschak einmal abgesehen – reden derzeit gut über den 1991 aufgelösten Staat. Putin weiß um diese Stimmung, Anfang März kritisierte er in einer Rede vor der Föderalen Versammlung, dass die Regierung bei der „Optimierung des Gesundheitswesens“ übertrieben und „die Menschen vergessen“ habe. Es könne nicht angehen, dass in Dörfern Ambulanzen und Hebammen eingespart würden und die Menschen zu hören bekämen, sie sollten zur Behandlung in die großen Städte fahren.

Die Liberale Xenia Sobtschak, die sich öffentlich für die Legalisierung gleichgeschlechtlicher Ehen einsetzt und erklärt, die Krim sei ukrainisches Terrain, kann nach Wahlumfragen zwar nur mit einem Prozent der Stimmen rechnen, aber staatliche Medien schenken ihr dennoch viel Aufmerksamkeit. Es gibt Gerüchte, die Kandidatur sei mit dem Kreml abgesprochen, um Anhänger von Alexei Nawalny, gegen den eine Bewährungsstrafe verhängt wurde, in deren Folge er nicht antreten kann, aus der Boykottnische zu holen und die Wahlbeteiligung so zu steigern. Einiges an Bewunderung konnte Sobtschak einheimsen, als sie Wladimir Schirinowski bei einer Fernsehdebatte ein Glas Wasser ins Gesicht schüttete. Zuvor hatte der Ultranationalist, der bei derartigen Anlässen andere Teilnehmer regelmäßig übertönt, Sobtschak als „Prostituierte“ beschimpft und sie mit dem Ruf „Halt die Klappe!“ bedacht.

Freilich kann Xenia Sobtschak bestenfalls die schmale Schicht der Liberalen in Moskau oder St. Petersburg, nicht aber die Massen erreichen. Bei einer Talkrunde im Fernsehen meinte sie, Russland müsse „seine Hybrid-Kriege in der Ostukraine und in Syrien einstellen“, doch sympathisiert mit derartigen Aussagen nur eine Minderheit, die glaubt, dass Russland gegenüber dem Westen nachgeben müsse. Ohnehin blieb die Außenpolitik bei den Wahlkampagnen weitgehend ausgeklammert. Putin kompensierte das, indem er bei seiner Kreml-Rede Anfang März Russlands Wiederauferstehung als Weltmacht beschwor. Um das zu unterstreichen, zeigten Videospots die neue Interkontinentalrakete „Sarmat“, für die es keine begrenzte Reichweite gibt, und die Überschallrakete „Kinschai“, mit der das Nukleararsenal modernisiert wird.

Viel Beachtung fand bis zuletzt der KP-Kandidat Pawel Grudinin, ein Unternehmer, der seit mehr als zwei Jahrzehnten die südlich von Moskau gelegene „Lenin-Sowchose“ leitet. Er machte sie zur Aktiengesellschaft und wirtschaftete so erfolgreich, dass die Mitarbeiter umgerechnet 1.150 Euro verdienen, doppelt so viel wie in anderen Betrieben dieser Art. Bei Grudinin gibt es zinslose Baukredite und moderne, mehrgeschossige Wohnhäuser. Die Schule und der Kindergarten auf dem Gebiet der Sowchose sind kostenlos.

Konstantin Sjomin, einst Korrespondent für den Fernsehkanal WGTRK in New York und heute beim Sender Rossija 24, meint zur KP, die Partei habe erst lange geschwiegen und keinen Kandidaten benannt, plötzlich aber sei dieser Geschäftsmann erschienen und auf allen Fernsehkanälen gezeigt worden. „Wenn das passiert, dann ist das jemandem wichtig. Das heißt, dieser Kandidat wurde benötigt. Warum? Weil es eine starke Apathie und ein Misstrauen gegenüber Wahlen gibt, nach denen sich nirgendwo etwas ändert.“ Also sei dieser Kandidat geeignet gewesen, den Leichnam des öffentlichen Interesses wiederzubeleben. „Aber was passierte? Die Leiche begann nicht nur zu leben, sie kam auf die Beine und begann zu tanzen. Doch das passte nicht zu dem Plan. Und deshalb wurde die Entscheidung getroffen, sofort zurückzurudern.“

Er könne, so Sjomin, über die Person Pawel Grudinin nichts Negatives sagen. „Nicht weil ich damit einverstanden bin, dass für die Kommunisten ein Geschäftsmann kandidiert. Ich meine nur, das ist merkwürdig. Doch werde ich darüber nicht sprechen. Wenn allerdings die Teilnahme der KPRF an der Präsidentenwahl von der Hoffnung zehrt, dass man dadurch etwas ändern könne, dann ist das absurd und eine Illusion.“ Wahlen sollten nur für einen einzigen Zweck genutzt werden, für die Agitation und Propaganda, um die Zahl der Menschen zu erhöhen, die man für linke Ideen gewinnt. „Aber unsere Kommunisten führen diese Agitation nicht.“

KP-Chef Gennadi Sjuganow hätte selbst noch einmal antreten können, entschied sich aber für den parteilosen Grudinin und tat dies wohl in der Erwartung, der Unternehmer mit seiner „Oase des Sozialismus“ an der Peripherie von Moskau könne den seit Jahren andauernden Abwärtstrend seiner Partei bei Wahlen stoppen.

Dass der zunächst unbekannte Grudinin während des Wahlkampfes zunehmend an Popularität gewann, war einflussreichen Kreisen in der russischen Elite offenbar unheimlich. So begann in den staatlichen Medien im Februar eine Kampagne gegen den KP-Aspiranten. Moderator Dmitri Kiseljow bat Sjuganow in einer seiner Sendungen inständig, sein Amt als Leiter des Wahlkampfstabes von Grudinin niederzulegen. Warum nehme er nicht zur Kenntnis, dass nur die Hälfte der traditionellen KP-Wähler bereit sei, für „den Erdbeer-Unternehmer“ zu stimmen? Wenn sich die Partei jetzt nicht öffentlich von ihm distanziere, drohe die Präsidentenwahl „ihr Begräbnis“ zu werden. So viel Anteilnahme für die Kommunisten vonseiten des Staatskanals Rossija 1 war dann doch erstaunlich und weckte Misstrauen. Sjuganow lag nicht falsch mit seiner Annahme, dass Kiseljow vom Kreml den Auftrag erhalten habe, gegen den KP-Kandidaten Stimmung zu machen, dessen Sozialprogramm Versäumnisse der Regierung offenlege, die wenig dagegen getan habe, dass ein Teil der Bevölkerung verarmt sei.

Die unerwartet harten Debatten kurz vor der Wahl erinnern an die Zeit der 1990er Jahre, als der russische Staat durch Oligarchenkämpfe und Wirtschaftschaos zu zerfallen drohte. Wenn Wladimir Putin wie zu erwarten demnächst seine vierte und damit letzte Amtszeit antritt, wird das ein Anstoß sein, sich auf die Zeit nach diesem Staatschef einzurichten. Der wird 2024 ein Vierteljahrhundert lang die russische Politik dominiert haben. Die beiden Flügel des Establishments – der westlich-neoliberale und der patriotisch-staatsfixierte – stellen sich auf Personalentscheidungen ein, denen noch heftige Richtungskämpfe vorausgehen dürften.

veröffentlicht in: der Freitag

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