19. February 2022

Erhöhte Kriegsgefahr und Evakuierung im Donbass

Screenshot: Roman Juneman
Foto: Screenshot: Roman Juneman


Weil der Beschuss durch die ukrainische Armee in den letzten beiden Tagen massiv zugenommen hat und in der Volksrepublik Donezk drei ukrainische Diversionsgruppen entdeckt wurden, ordneten die Präsidenten der international nicht anerkannten Republiken eine Evakuierung der Zivilbevölkerung nach Russland an.

Ulrich Heyden, Moskau 

In der Volksrepublik Donezk gab es am Freitag lange Schlangen vor den Tankstellen und den Bankautomaten. Auf den Straßen waren Sirenen und Lautsprecherdurchsagen zu hören. Busse standen zur Evakuierung von Kindern, Frauen und älteren Menschen bereit. In den Bussen waren nur Kinder und Erwachsene ohne großes Gepäck zu sehen. Das russische Fernsehkanal Rossija 24 brachte Bilder von 225 Kindern eines Internats in Donezk, die auf den Abtransport mit Bussen nach Russland warteten. Bis Samstagmorgen wurden 6.000 Menschen evakuiert, berichtete die russische Nachrichtenagentur Ria Novosti.

Am Freitag riefen die Präsidenten der Volksrepubliken Donezk und Lugansk (DNR und LNR), Denis Puschilin und Leonid Pasetschnik die Bevölkerung in Fernseh-Ansprachen zur Abreise in die Russische Föderation auf. Puschilin erklärte, die Ukraine schieße mit Raketen. „Mit dem heutigen Tag, dem 18. Februar, beginnt die organisierte, zentralisierte Abreise in die Russische Föderation“. In erster Linie würden Kinder, Frauen und ältere Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind, evakuiert. Es sei eine „zeitweise“ Evakuierung. 

Der Präsident der Volksrepublik Lugansk (LNR) Pasetschnik erklärte, "nach Mitteilung unserer Aufklärung plant der Aggressor nicht nur Provokationen an der Kontaktlinie durchzuführen, sondern auch tief in das Territorium unserer Republiken einzudringen.“ Er rufe deshalb alle Menschen, „die nicht zur wehrfähigen Bevölkerung gehören oder in lebensnotwendige Einrichtungen im sozialen und zivilen Beriech tätig sind, auf, in kürzester Zeit in die Russische Föderation auszureisen.“ 

Die Evakuierung war offenbar generalstabsmäßig vorbereitet worden. Die Aufforderungen an die Zivilbevölkerung, abzureisen, wurde auch über soziale Netzwerke verbreitet. An Autofahrer wurde per SMS mitgeteilt, über welche Kontrollpunkte man die Volksrepubliken nach Russland verlassen soll.

Puschilin erklärte in seiner Ansprache, die russische Führung habe versprochen, alle Flüchtlinge aufzunehmen. Wladimir Putin habe jedem Flüchtling umgerechnet 114 Euro Unterstützungsgeld versprochen. 

Im südrussischen Gebiet Rostow sollen in acht ländlichen Gebieten und einem Stadtgebiet insgesamt 700.000 Flüchtlinge aufgenommen werden. Am Freitagabend trafen bereits erste Busse im Ferienlager „Swesda“ im Gebiet Rostow ein. 

Schon in der heißen Kriegsphase 2014/15 waren in der benachbarten russischen Region Rostow Zehntausende Flüchtlinge aus den Volksrepubliken in Urlaubsheimen und Privatwohnungen untergekommen.

Der Vorsitzende der DNR-Volkspolizei, Eduard Basurin, erklärte, am Freitag seien insgesamt 200 ukrainische Geschoss in der Volksrepublik Donezk eingeschlagen. Getroffen wurden Dörfer und Infrastruktur-Objekte, wie eine Elektrizitäts-Anlage in der Stadt Gorlowka.

Basurin erklärte, auf der gesamt Länge der Front gäbe es Beschuss. Zudem seien am Freitag drei Gruppen von Diversanten entdeckt worden. Eine Gruppe habe versucht, in der Stadt Gorlowka in der Stirol-Fabrik eine Leitung mit gefährlicher chemischer Flüssigkeit zu zerstören. 

Am Freitagabend wurde zudem direkt vor einem Regierungsgebäude in Donezk der Militärjeep des Chefs der Volkspolizei von Donezk gesprengt. In dem Auto befand sich jedoch Niemand. Der Anschlag wurde vermutlich von ukrainischen Diversanten durchgeführt. Auch in der letzten heißen Kriegsphase 2015 gelang es ukrainischen Diversanten mit Granatwerfern ein Busstation anzugreifen. 

Die Ukraine hatte bereits am Donnerstag behauptet, ein Geschoss aus den Volksrepubliken habe einen Kindergarten auf dem von der Ukraine kontrollierten Territorium getroffen. Der russische Kriegsreporter Aleksander Koz meinte (https://de.rt.com/meinung/131834-kanonen-schweigen-wenn-medien-reden-wie-angesagt-ukraine-false-flag/) jedoch, das könne nicht stimmen, denn merkwürdigerweise gäbe es in dem Kindergarten nur ein großes Loch in der Außenwand. Splitter von zerborstenen Fensterscheiben, die man sonst bei jedem Beschuss sieht, fehlten aber. Zudem liege der Kindergarten acht Kilometer von der Kontaktlinie entfernt und gezielter Beschuss mit Panzern oder Mörsern sei auf diese Entfernung nicht möglich. 

Die Entwicklung im Kriegsgebiet Donbass deutet darauf hin, dass die Ukraine das normale Leben in den Volksrepubliken völlig unmöglich machen und Russland zu besonderen militärischen Maßnahmen zum Schutz der Volksrepubliken herausfordern will. Dann hätte die Ukraine die Möglichkeit von der seit Monaten herbeibeschworenen „russischen Invasion“ zu sprechen und könnte als Gegenmaßnahme Hilfe von Nato-Staaten anfordern, mit deren indirekter oder direkter Hilfe die Ukraine versuchen könnte, die Volksrepublik zurückzuerobern. Ein derartiges Szenarium lässt sich in der ukrainischen Militärdoktrin vom März 2021 nachlesen (https://www.nachdenkseiten.de/?p=71919). 

Russland fühlte sich vom Westen nicht ernst genommen, denn die von Russland geforderten Sicherheitsgarantien von Seiten der Nato liegen bis heute nicht vor. Vermutlich deshalb plant Russland am Sonnabend eine sogenannte Triade-Übung. Dabei sollen von Schiffen, Flugzeugen und vom Boden Raketen zum Einsatz kommen, die auch Atomwaffen tragen können. Eine derartige Übung ist geeignet die schlimmsten Ängste wachzurufen. 

Ulrich Heyden, Moskau, 19. Februar 2022

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