23. August 2012

Erkaufte Stabilität

Bei der Urteilsverkündung lächelten die drei Frauen von Pussy Riot in ihrem Glaskäfig. Es war das Lächeln von Siegerinnen. 

Sie haben das Gericht, das ein autoritäres System stützt, demaskiert. Für sie ist das Regime Putin am Ende. Doch ist das so? Eine Mehrheit der Russen lehnt laut Umfragen unabhängiger Institute die Aktion der Punkband in der Christi-Erlöser-Kirche ab. Demnach unterstützt der Großteil der Russen das Verfahren gegen die drei Frauen.

In der Berichterstattung westlicher Medien geht die Frage unter, warum sich vor dem Gericht in Moskau nur 1000 Unterstützer versammelten und nicht etwa 10 000. Lag es wirklich nur an der einseitigen Berichterstattung der staatlichen Medien?

Der Westen ist sich in seinem Protest und in seiner Solidarität sicher über die Einstellungen der Russen – ignoriert damit jedoch die Realität. Über Rechtsstaat und Demokratie sprechen die Russen eigentlich nur, wenn es über Europa geht, wenn man sich an Ereignisse im Urlaub erinnert oder seiner Hoffnung Ausdruck gibt, es könne in Russland etwas zivilisierter zugehen.

Auf dem Papier handelt es sich um einen Rechtsstaat, doch in der Realität hat derjenige recht, der stärker ist. Statt Begriffen wie Rechtsstaat und Demokratie trifft man im russischen Alltag häufig auf Begriffe aus der kriminellen Welt. Dass das System unter Putin trotzdem stabil ist, hängt auch damit zusammen, dass es in Russland noch nie ein so hohes Lebensniveau gab. Putin versteht es, sich relative Ruhe zu erkaufen: relativ hohe Löhne, modernisierte Wohnungen, Auslandsreisen.

Juristische Möglichkeiten einer Begnadigung für die drei Frauen von Pussy Riot werden von westlichen Medien kaum ausgeleuchtet. Auch andere Fragen kommen zu kurz. Waren die Sicherheitsorgane auf die Aktion in der Christi-Erlöser-Kirche nicht vorbereitet? Oder warteten sie nur auf einen günstigen Zeitpunkt zum Zuschlagen? Der Sicherheitsapparat wusste, dass die Frauen auf Skandale aus waren. Warteten sie nur, dass Pussy Riot für eine Aktion ein Objekt auswählten, bei dem sie in der breiten Öffentlichkeit auf Widerspruch stießen? Selbst im liberalen Lager, das sich mit den Frauen solidarisch erklärt, gibt es nur wenige, die die Aktion in der Kirche gutheißen.

Die Debatte um Pussy Riot zeigt jedoch, dass das Lager um Putin nicht mehr so gefestigt ist, wie noch 2008, als Putins Popularität auf dem Höhepunkt war. Bemerkenswert war, dass schon im Juni hunderte Künstler, darunter kreml-loyale Personen in einem Brief an das Oberste Gericht die Freilassung der drei Frauen von Pussy Riot forderten.

Doch die Proteste internationaler Pop-Größen und westlicher Politiker kann der russische Präsident einfach aussitzen. Putin ist keine Lichtgestalt mehr, wie noch im Jahr 2000, als er sich als Retter aus den chaotischen Jelzin-Jahren präsentierte. Die Popularitätsrate des Präsidenten sinkt. Aber nach einer Umfrage des Lewada-Meinungsforschungszentrums vertrauen ihm immer noch 57 Prozent der Bürger.

Man kann davon ausgehen, dass das harte Urteil gegen die drei Frauen von Pussy Riot die Protestbewegung zusammenschweißen und radikalisieren wird. Zur Radikalisierung trägt auch bei, dass gleich gegen mehrere Oppositionsführer Strafverfahren laufen und einzelne Politiker angekündigt haben, die Freiheit im Internet einzuschränken, weil die Opposition die Menschen „manipuliere“.

Man kann davon ausgehen, dass zu dem für September angekündigten „Marsch der Millionen“ in Moskau wieder mindestens 50 000 Menschen kommen. Doch solange die Opposition kein Konzept hat, das sowohl die Mittelschicht als auch Akademiker und einfache Bürger anspricht, wird Putin weiterhin fest im Sattel sitzen.

veröffentlicht in: Südkurier

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