Die von Dmitri Rjabitschew geschaffene Büste von Franz Josef Strauß
Schon seit 2015 liefen Gespräche über die Aufstellung der Büste
Die Büste des bayerischen Ministerpräsidenten entstand nach dem Besuch von Strauß in Moskau 1987. Gefertigt wurde sie von dem bekannten Moskauer Bildhauer Dmitri Rjabitschew. Wie Aleksandra Sagrschjaschskaja-Rjabitschewa, die Frau des Rjabitschew-Sohnes Aleksandr, mitteilte, liefen schon seit 2015 Verhandlungen mit Vertretern von Museen der Stadt Wolgograd über die Büste. „Die Bayern“ hätten sie gerne im „Museum zur Schlacht von Stalingrad“ aufgestellt. Die Verhandlungen seien „schwierig“ gewesen. Eine Einigung über die Aufstellung der Büste wurde nicht erzielt.
Dass am 10. Mai 2018 eine Büste von Strauß im Flughafen von Wolgograd aufgestellt werden sollte, konnte man ab dem 30. März 2018 auf der Website des bayerischen Wirtschaftsforums lesen. Dort war das komplette Reiseprogramm einer Delegation aus Bayern veröffentlicht worden, die Anfang Mai 2018 die Stadt Wolgograd besuchen wollte. Die Veröffentlichung löste in Wolgograd einen Skandal aus. Mehrere Internetportale berichteten über die geplante Aufstellung der Büste.
Am 31. März 2018 erklärte Andrej Kosolapow – damals Bürgermeister von Wolgograd, heute stellvertretender Gouverneur des Gebietes – die Meldung von der Aufstellung der Büste sei ein „Fake“. „Das ist Unsinn eines verrückten Menschen, der meint, dass man in der Helden-Stadt Wolgograd-Stalingrad, die vollständig zerstört wurde, in der viel Blut unserer Verteidiger geflossen ist, ein Denkmal eines Wehrmachtoffiziers aufstellen kann.“ Man werde jetzt „den Namen der Person herausfinden, welche diesen Fake in die Medien gesetzt hat“. In der Heldenstadt Wolgograd werde „nie ein Denkmal für einen Faschisten aufgestellt“ werden.
Das im Internet vom bayerischen Wirtschaftsforum veröffentlichte Reiseprogramm mit der Ankündigung über die Aufstellung der Büste verschwand später kommentarlos.
Faksimile mit der Ankündigung über die Aufstellung der Büste
Quelle: volgasib.ru
Unklar ist, warum die politisch Verantwortlichen in Wolgograd so spät auf das Vorhaben mit der Strauß-Büste reagierten. Denn nach einem Bericht des Wolgograder Internetportals V1.ru hatte Christian Holtz, ein Arzt aus dem oberbayerischen Denkendorf, bereits am 1. Februar 2018 auf einem Empfang des Bürgermeisters von Wolgograd über das Vorhaben informiert. Holtz war auch der Initiator für den Bau einer „Friedenskapelle“ am deutschen Soldatenfriedhof vor Wolgograd. Der deutsche Arzt ist in der Stadt schon seit vielen Jahren durch Aktivitäten im Bereich deutsch-russischer Kontakte bekannt.
Hat man die politische Dimension einer Strauß-Büste in der Stadtverwaltung von Wolgograd nicht erkannt? Das Internetportal V1.ru zitierte eine anonyme Quelle aus der Stadtverwaltung, wonach „die Einzelheiten der militärischen Laufbahn von Strauß nicht bekannt waren. Zu den deutschen Initiativen standen alle positiv, auch zu der Büste von Strauß.“
Hoffen auf Investitionen aus Deutschland
Dass die Stadtverwaltung wochenlang schwieg, nachdem der Plan über die Aufstellung der Büste bekannt geworden war, hängt wohl damit zusammen, dass man in Wolgograd auf deutsche Investitionen hoffte und die Unternehmer aus Bayern nicht verärgern wollte. Irgendwann – als der Skandal in Russland immer mehr anschwoll – hat die Stadtverwaltung den Unternehmern aus Bayern dann aber wohl bedeutet, die Büste lieber nicht aufzustellen, so meine Vermutung.
Fest steht jedoch: Das „Ost West Wirtschaftsforum Bayern“ ist äußerst hartnäckig. Jahrelang hat man in Wolgograd über die Aufstellung der Strauß-Büste in Museen der Stadt verhandelt. Offenbar dachten sich die Unternehmer aus Bayern, sie hätten sich durch die Mit-Finanzierung einer „Friedenskapelle“ am deutschen Soldatenfriedhof vor Wolgograd das Recht erworben, den ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten in Wolgograd öffentlich zu würdigen.
Strauß war fast sein ganzes Leben gegen Entspannung
Strauß war – bis auf seinen Besuch in Moskau 1987 bei Gorbatschow – sein ganzes Leben ein aggressiver Russland-Gegner. Selbst bei dem Treffen mit Gorbatschow – den er nach dem Besuch lobte – wollte Strauß seinen militaristischen Stil nicht ablegen. Als Gorbatschow ihn fragte, ob er das erste Mal in Russland sei, antwortete der bayerische Ministerpräsident, „nein, aber das erste Mal kam ich nur bis Stalingrad.“
Gorbatschow hat diese Entgleisung offenbar „überhört“. In seinen Erinnerungen schreibt der ehemalige Generalsekretär der KPdSU, Strauß habe auf ihn „einen starken Eindruck“ gemacht. Dieser deutsche Politiker sei „gar nicht so, wie die sowjetischen Journalisten ihn beschrieben“ hätten.
Warum fuhr der Hardliner aus Bayern 1987 überhaupt nach Moskau? Der bayerische Ministerpräsident spürte, dass die Sowjetunion zu entscheidenden Zugeständnissen gegenüber Deutschland bereit war. Diese Gelegenheit wollte sich Strauß nicht entgehen lassen. Es galt, für bayerische Unternehmen Wirtschaftsbeziehungen mit der Sowjetunion zu knüpfen. Die Reise war sogar erfolgreich. Es wurde der Grundstein für die bis heute guten Wirtschaftsbeziehungen zwischen bayerischen Unternehmen und Russland gelegt.
Strauß empfahl nach seinem Besuch bei Gorbatschow, auf Russland zuzugehen. Doch ein Entspannungspolitiker war Strauß nie. Als Verteidigungsminister der Bundesrepublik ließ er einen Plan zur Bewaffnung der Bundeswehr mit Atomwaffen ausarbeiten. Die Sowjetunion wollte er „ausradieren“. Gegen die „Ost-Verträge“ mit Polen und der Sowjetunion Anfang der 1970er Jahre prozessierte er vor dem Bundesverfassungsgericht. Willy Brandt und Egon Bahr beschimpfte Strauß als „Handlanger Moskaus“.
Denkmal-Initiator: „Strauß hat nein zum Faschismus gesagt“
Christian Holtz, Initiator der Aufstellung einer Strauß-Büste im Flughafen von Wolgograd, versteht die Kritik an seinem Projekt nicht. „Franz Josef Strauß hat schon lange ‚Nein‘ zum Faschismus gesagt“, erklärte Holtz Ende September 2019 gegenüber dem Wolgograder Internet-Portal v1.ru. Doch nun hat der Arzt aus Oberbayern offenbar eingesehen, dass aus seinem Plan nichts wird. „Ich verstehe, dass wir sie (die Büste, UH) nicht mehr aufstellen können. Es gab zu viel Krach.“
Aber aufgeben will Holtz nicht. Im September 2020 will er Wolgograd mit einer Abordnung der bayerischen Feuerwehr besuchen. „In voller Uniform“ – also auch mit den markanten Feuerwehrhelmen, die dem alten Stahlhelm nicht unähnlich sind – würden die bayerischen Feuerwehrleute dann auf den 102 Meter hohen Gedenkhügel Mamajew Kurgan steigen, um dort den deutschen Soldaten zu gedenken, die auf dem Hügel gefallen sind, erklärte Holtz gegenüber dem Internetportal v1.ru.
Auf dem Hügel Mamajew Kurgan steht das große Denkmal „Mutter Heimat“. Die steinerne Frauengestalt mit den ausgebreiteten Armen erinnert an die 478.000 sowjetischen Soldaten und Soldatinnen, die in Stalingrad gefallen sind. Nur Provokateure können auf die Idee kommen, ausgerechnet auf diesem Hügel deutschen Soldaten zu gedenken. Ich frage mich: Kann man denn nicht still für sich gedenken? Muss man unbedingt eine große Aktion daraus machen?
Kritik am deutschen Soldaten-Friedhof in den 1990er Jahren
Nicht erst seit dem Skandal um die Büste von Franz Josef Strauß gibt es in Wolgograd Diskussionen, wie man den toten deutschen Soldaten, die in der Region Stalingrad gefallen sind, würdevoll gedenkt.
Nachdem Russland und Deutschland 1992 einen Vertrag über die Pflege von Soldatenfriedhöfen abgeschlossen hatte, begann der Volksbund deutsche Kriegsgräberfürsorge in der Steppe vor der Stadt Wolgograd mit der Einrichtung eines neuen deutschen Soldaten-Friedhofes. Der Friedhof entstand 37 Kilometer nordwestlich von Wolgograd an dem Ort, wo bis zum Krieg das Dorf Rossoschka stand. Heute liegen auf dem Friedhof die sterblichen Überreste von 61.700 deutschen Soldaten. In Rossoschka hatte die Wehrmacht bereits im Krieg einen Friedhof für gefallene deutsche Soldaten eingerichtet.
In den 1990er Jahren war die Ablehnung des neuen deutschen Soldatenfriedhofs vor der Stadt – insbesondere unter den Kriegsveteranen – groß. Davon konnte sich der Autor dieser Zeilen während eines Besuchs in Wolgograd im Jahre 2001 überzeugen. Das militärische Eingreifen Deutschlands im Jugoslawien-Krieg verstärkte die Kritik am neuen deutschen Soldatenfriedhof. Das Parlament des Gebietes Wolgograd forderte damals, dass an der Eröffnung des Friedhofs keine Prominenz teilnehmen dürfe.
Ein deutsch-russischer Gedenkkomplex vor der Stadt Wolgograd
Zu dem neuen deutschen Friedhof gehören auch 126 große Granitsteine, welche die Form von Würfeln haben und zwischen Büschen verstreut in der Landschaft stehen. Auf den Würfeln sind die Namen von 126.000 vermissten deutschen Soldaten eingraviert. In räumlicher Nähe zu dem deutschen Friedhof entstand in den 1990er Jahren außerdem ein russischer Soldatenfriedhof mit den sterblichen Überresten von 36.000 sowjetischen Soldaten.
Wer sehr der Krieg die Menschen in Wolgograd noch beschäftigt, wird auch daran deutlich, dass die Forderung, die Stadt wieder Stalingrad zu nennen, immer wieder aufflammt. 1961 war Stalingrad in Wolgograd umbenannt worden.
Im April wurde die Rückbenennung von einer Gruppe von Aktivisten gefordert, welche das 80-jährige Jubiläum des Sieges in Stalingrad im Jahr 2023 vorbereitet. Umfragen zufolge gibt es in Wolgograd aber keine Mehrheit für diesen Vorschlag. Die Menschen haben sich an den neuen Namen ihrer Stadt gewöhnt.
Ulrich Heyden
Den ersten Teil der Wolgograd-Serie über eine Fabrik, die Röhren für die Öl- und Gasindustrie herstellt, kann man hier nachlesen.
veröffentlicht in: Nachdenkseiten