Der Moderator Roman Tschaika und ein eingeladener Gast, der Journalist Bogdan Butkewitsch, triumphierten und amüsierten sich köstlich. Endlich war der Blogger Anatoli Scharij gestellt und als "Kreml-Agent" überführt. Man müsse Scharij den ukrainischen militärischen Geheimdienst auf den Hals schicken, meinten Butkewitsch und Tschaika.
Bei den vom Moderator Tschaika präsentierten "Beweisen" handelte es sich um verschiedene Informationen, die dem Präsidenten-Kanal von einem Informanten zugespielt worden waren. In der Sendung des 5. Kanal wurde ein handgeschriebener Zettel eingeblendet, auf dem Zahlungen an sechs Personen mit Kurznamen aufgelistet waren. Neben dem Namen "Scharik" stand der Betrag von 16.000 Dollar.
Für Moderator Tschaika war klar, dass es sich bei "Scharik" um den oppositionellen Blogger Anatoli Scharij handelt, der seit 2012 an einem unbekannten Ort in der EU lebt.
Neben einem gewissen "Scharik" tauchten in der Geld-Empfänger-Liste noch fünf andere Personen auf, die zum Teil noch größere Beträge erhalten haben sollen. Doch merkwürdig: Auf der Liste, die da ganz groß vom 5. Kanal eingeblendet wurde, steht als Endsumme 115.000. Doch wenn man die sechs Beträge zusammenrechnete, kommt man auf 107.000 Dollar. War das den "Enthüllern" vom 5. Kanal nicht aufgefallen? Nein, es war ihnen offenbar nicht aufgefallen. Oder den Journalisten des 5. Kanals war es egal. Hauptsache, sie konnten den Blogger Scharij an den Pranger stellen.
Einen Tag nach den Beschuldigungen des 5. Kanal antwortete Scharij in seiner gewohnten Art, nicht wutentrannt, sondern mit diebischem Grinsen und spöttisch. Sein Antwort-Video bekommt über eine Million Clicks.
In sein Video montierte Scharij Ausschnitte aus der Sendung des 5. Kanals, in der er belastet wurde. An der Stelle, als Moderator Tschaika spöttisch ruft, "er ist ein Spieler", schaltet Scharij in sein eigenes Studio um. Man sieht den bärtigen Blogger mit süffisantem Lächeln sagen: "Ja, ich bin ein Spieler wie die Katze, die mit dummen Mäusen spielt."
Dann enthüllt der Blogger Stück für Stück, dass das belastende Material gegen ihn ein Fake ist, den Scharij dem 5. Kanal über einen Mittelsmann zugespielt hat.
Die folgenden Screenshot stammen aus dem Antwortvideo.
Zunächst sieht man in dem Antwort-Video des Bloggers das Video, welches ihn angeblich belastet und vom 5. Kanal gezeigt wurde. Es zeigt Scharij, der vor der angeblichen polnischen Personal-Beschaffungs-Firma auf Jemanden wartet (Video vom 5. Kanal ab Minute 29:46). Beim Warten wurde Scharij angeblich mit einer versteckten Kamera gefilmt.
Kurze später sieht man in dem Antwort-Video von Scharij das gleiche Video (Video von Scharij ab Minute 12:22). Doch diesmal wartet der Blogger nicht nur. Er geht nach dem Warten direkt zur "versteckten" Kamera und sagt dem ukrainischen Präsident ein Schimpfwort aus dem sexuellen Bereich.
Dann zeigt Scharij, wie auf einer Bettdecke den Zettel mit den angeblichen Honoraren des Kreml selbst schreibt (Scharij-Video ab Minute 13:14).
In dem Antwort-Video von Scharij tritt auch ein gewisser Dmitri Schewtschenko auf. Der junge Mann erklärt, er habe das gefakte Material von Scharij über Facebook dem 5. Kanal geschickt. Als Beweis zeigt Schewtschenko den Chat, den er im Dezember 2016 mit dem 5. Kanal geführt hat.
Dermaßen bloßgestellt erklärte der Fernsehmoderator Roman Tschaika, er sei "Opfer einer Spezialoperation" geworden. Ja, er habe zunächst gezweifelt, ob das Material echt sei, erklärt Tschaika. Dann habe er sich aber doch entschlossen, das Material zu veröffentlichen, weil es sich offenbar "um ein schweres kriminelles Verbrechen handelte".
Am 31. Mai trat plötzlich der ukrainische Informationsminister Juri Stez - der Kurator des 5. Kanals - zurück, angeblich "aus gesundheitlichen Gründen" (Ukraine hat ein neues Informationsministerium). Politische Gründe gäbe es nicht, erklärt der ukrainische Staatssekretär Artjom Bidenko.
Natürlich hänge der Rücktritt mit dem Fake-Skandal zusammen, sagt Scharij im Interview mit dem russischen Internet-Portal Lenta.ru. Der Blogger: "Ich kenne die Überreiztheit von Poroschenko und kann mir vorstellen, was es für einen Skandal in seiner Administration gab und wie er Stez zusammengestaucht hat." Was der 5. Kanal treibe sei kein Journalismus sondern "Lüge und Propaganda". Merkwürdig: Die ukrainischen Medien berichteten nicht über den Skandal.
Informationsminister Juri Stez, ein Vertrauter Poroschenkos, trat aufgund des Skandals zurück, aber das will er nicht zugeben. Bild: mip.gov.ua
Der Gast in der Sendung des 5. Kanals in der Scharij "überführt" wurde, war Bogdan Butkewitsch. Er war schon häufig durch extreme Äußerungen aufgefallen. Am 10. Mai 2017 hatte Butkewitsch im Kiewer Fernsehkanal Espresso.tv erklärt, man müsse die Demonstranten, die in Kiew am 9. Mai zum Gedenken an den Sieg über den deutschen Faschismus demonstrierten, "erschießen".
Im April 2014 hatte Butkewitsch in einem Interview für den Internet-Fernsehkanal hromadske.tv gesagt, der Donbass sei eine "depressive Region". Man müsse sie "als Ressource" nutzen, aber es gäbe dort "eineinhalb Millionen überflüssige Menschen". Die müsse man "umbringen." Der Interview-Ausschnitt wird in der eingangs erwähnten Sendung des 5. Kanal vom 29. Mai 2017 - offenbar zur allgemeinen Erheiterung - nochmal vorgeführt (Die umstrittene Interview-Äußerung ab Minute 2:24). Während seiner damaligen Aussage über den Donbass schmunzelt der Journalist Butkewitsch genüsslich. Von Scham keine Spur. Im Gegenteil, er ist mit sich selbst zufrieden und im Reinen.
Anatoli Scharij ist einer der bekanntesten oppositionellen Blogger der Ukraine und der Regierung in Kiew ein Dorn im Auge. Schon Ende April erklärte Anton Geraschenko, ein Berater des ukrainischen Innenministers, Anatoli Scharij könne "seine Sachen packen und seinen ständigen Wohnsitz in der Russischen Föderation beziehen". Denn bei einer sogenannten "Operation Klempnerzange" habe man herausgefunden, dass der Blogger Scharij an der "Finanzierung des internationalen Terrorismus" beteiligt sei.
Der 38 Jahre alte Anatoli Scharij wurde 1978 in Kiew geboren. Er arbeitete seit 2005 als investigativer Journalist, unter anderem für die liberale Kiewer Zeitung Sewodnja. Scharij deckte brisante Kriminalfälle aus den Bereichen Pädophilie und illegale Kasinos auf. Nachdem Unbekannte zwei Anschläge auf ihn verübt hatten, verließ der Journalist im Januar 2012 die Ukraine und beantragte in Litauen politisches Asyl. Seitdem lebt Scharij an einem unbekannten Ort in der Europäischen Union.
veröffentlicht in: Telepolis