20. February 2009

Freisprüche im Mordfall Politkowskaja

Von Ulrich Heyden, SZ-Korrespondent in Moskau

Drei Monate dauerte der Prozess zum Mord an der Journalistin Anna Politkowskaja vor dem Moskauer Militärgericht. Gestern fällten die Geschworenen ihr Urteil. Alle vier Angeklagten wurden freigesprochen und noch im Gerichtssaal freigelassen. Eine Beteiligung am Mord, so die Geschworenen, könne man nicht nachweisen.

Die Anwältin Karin Moskalenko – sie vertritt die Interessen der Familie Politkowskaja – erklärte gegenüber Journalisten, sie sei mit der Ermittlungsarbeit unzufrieden. „Wir brauchen die wirklichen Mörder, und wir werden das schaffen“, rief sie erregt in die Mikrophone.

In dem Gitterkäfig des Moskauer Militärgerichts saßen vier Personen. Drei waren wegen Beihilfe zum Mord an der Journalistin angeklagt. Rustam Machmudow, der Tschetschene, der am 7.Oktober 2006 auf die Journalistin der „Nowaja Gaseta“ geschossen haben soll, saß nicht auf der Anklagebank. Er soll sich in Westeuropa versteckt halten. Auch der Auftraggeber des Mordes saß nicht im Gitterkäfig.

Die Redaktion der „Nowaja Gaseta“, für die Anna Politkowskaja aus Tschetschenien und von anderen sozialen Brennpunkten berichtete, hatte die Ermittlungen zum Mord an der Kollegin von Anfang an aktiv unterstützt. Das Blatt veröffentlichte eigene Recherchen, die enge Verbindungen zwischen korrumpierten Polizisten, Geheimdienstbeamten und Kriminellen nachweisen.

Zahlreiche Ungereimtheiten


Mit der Ermittlungsarbeit der Staatsanwälte im Mordfall Politkowskaja war man jedoch unzufrieden. Der stellvertretende Chefredakteur der „Nowaja Gaseta“, Sergej Sokolow, erklärte nach dem Urteilsspruch ohne ins Detail zu gehen, „alle Angeklagten hatten etwas mit dem Mordfall zu tun.“ Vor Gericht seien weder alle Beweise vorgelegt, noch seien alle Tatbeteiligten vor Gericht gestellt worden.

Die Staatsanwaltschaft hatte unmittelbar nach dem Mord im Oktober 2006 erklärt, der Auftraggeber der Tat befinde sich im Ausland. In diesem Zusammenhang war der Name des nach London geflüchteten russischen Oligarchen, Boris Beresowski, genannt worden. Er habe dem damaligen Präsidenten Putin schaden wollen. In den letzten zwei Jahren wurde jedoch kein einziger Beweis vorgelegt, der diese These bestätigt.

Der Prozess war von zahlreichen Skandalen und Ungereimtheiten überschattet. So wollte der Richter, Jewgeni Subow, gleich zu Beginn der Gerichtsverhandlung die Öffentlichkeit ausschließen. Angeblich bestehe die Gefahr, dass man auf die Geschworenen Druck ausübe. Als jedoch ein Vertreter der Geschworenen in einem Interview mit „Radio Echo Moskwy“ erklärte, dass die Geschworenen sich von niemandem unter Druck gesetzt fühlen, musste der Richter die Öffentlichkeit kleinlaut doch wieder zulassen.

Beweisstück verschwunden

Anfang Februar verschwand plötzlich ein Beweisstück, das Video einer Überwachungskamera, auf dem der vermutliche Mörder mit einer Baseball-Kappe zu sehen ist. Eine weitere Ungereimtheit: Die Listen der Telefongesellschaften, auf denen die ein- und ausgehenden Handy-Anrufe der beiden tschetschenischen Angeklagten verzeichnet waren, stimmten nicht überein. Gerade wegen dieser Ungereimtheiten haben die Kollegen der ermordeten Journalistin die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass der wirkliche Mörder und Auftraggeber gefunden wird.

Auch der vom russischen Präsidenten ernannte Menschenrechtsbeauftragte Wladimir Lukin demonstrierte Zuversicht. „Ich hoffe, dass das Urteil die Ermittlungen verstärkt und der wirkliche Mörder vor Gericht kommt.“

"Sächsische Zeitung"

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