12. February 2012

Ganz geheim mit Blaulicht durch die Stadt

Wenn Beamte und Manager mit Blaulicht an Verkehrsstaus vorbeirasen, schwillt den Moskauer Autofahrern der Kamm.
Mein Taxi wollte gerade von einer Nebenstraße auf den Kutusowski Prospekt einbiegen, eine neunspurige Straße im Zentrum von Moskau. Doch das Einbiegen war nicht möglich, denn da stand ein Polizist, der schwenkte ganz geschäftsmäßig seinen schwarz-weißen Polizeistock und wies uns an umzukehren.
„Was ist los? Kommt Putin?“, wollte ich wissen. „Ja“, meinte der Fahrer. „Dann ist der Kutusowski für ´ne halbe Stunde dicht.“ Wie soll Putin sonst von seiner Vorstadtresidenz Nowo Ogarjowo durch die Verkehrsstaus zum Weißen Haus, seinem Amtssitz, kommen? Die Variante Hubschrauber wurde offenbar aus Sicherheitsgründen bisher nicht in Betracht gezogen. Dass Wladimir Putin und Dmitri Medwedjew Sonderrechte beanspruchen, können die Moskauer gerade noch verkraften. Aber die große Zahl Autos, die mit Blaulicht und heftigen Tröt-Signalen durch die Stadt rauschen, oft begleitet von einem ganzen Tross schwarzer Brabus-Jeeps, das ist einfach zu viel. Der Ärger über die vielen „Migalka“ (Blaulichter) ist groß.
Denn bei den Blaulicht-Autos handelt es sich um die edlen Karossen hoher Beamter und Manager, die auch sonst gerne Sonderrechte in Anspruch nehmen. Oft haben die hohen Tiere nicht mal eine Genehmigung für das blaue Licht auf dem Autodach. Wer einmal in einem der kilometerlangen Moskauer Staus gestanden hat, kennt die Gefühle, die aufkommen, wenn da plötzlich eine schwarze Limousine mit verdunkelten Scheiben und Blaulicht am Stau vorbeirauscht – frei wie ein Vogel. Da fluchen selbst ruhige Charaktere.
Immer häufiger gibt es auch Meldungen über Blaulichtfahrer, die mit rüdem Fahrstil andere Verkehrsteilnehmer in Gefahr bringen oder sogar töten, wie im Jahr 2010, als das Auto eines Managers des Ölkonzerns Lukoil auf der Gegenfahrbahn zwei Frauen in den Tod fuhr. Der Manager wurde von jeglicher Schuld freigesprochen.
Nun hat überraschend Wladimir Putin der Migalka-Plage den Kampf angesagt. Auf einer Versammlung mit Wahlkampf-Helfern kündigte der Ministerpräsident an, er werde die Zahl der Blaulicht-Berechtigten im Falle seiner Wahl auf nicht mehr als hundert reduzieren. Nur noch Beamte, die unter dem Schutz des Kreml-Wachdienstes stehen, sowie Polizei und Feuerwehr sollen das Recht auf ein Blaulicht bekommen. In Moskau unter hundert Blaulichtern zu bleiben, dürfte gar nicht so einfach sein, denn schon die Präsidial- und die Regierungsverwaltung beanspruchen zusammen 90 Migalkas, Generalstaatsanwaltschaft, Ermittlungskomitee und Innenministerium haben Anspruch auf 205 Blaulichter. Den Spitzenplatz nimmt der russische Inlandsgeheimdienst FSB ein. Die Männer und Frauen, die eigentlich im Verborgenen arbeiten sollen, haben 230 Blaulichter in Betrieb.
Doch will Putin seinen ehemaligen Geheimdienst-Kollegen jetzt das U-Bahn-Fahren angewöhnen? Die Anti-Blaulicht-Initiative „blaue Eimer“ begrüßte Putins Ankündigung. Die Mitglieder der Initiative sind bekannt für ihre Konvois, bei denen sie zur Belustigung des Publikums mit blauen Plastikeimern auf dem Autodach durch die Stadt fahren. Er hoffe, dass Putin seine radikale Ankündigung „auch wirklich umsetzt“, erklärte der Koordinator der „Blauen Eimer“, Pjotr Schkumatow. Und der Aktivist erinnerte daran, dass unter Putins Präsidentschaft die Zahl der Blaulicht-Berechtigten von „mehreren Zehntausend“ immerhin auf „weniger als 1000“ sank. veröffentlicht in: Sächsische Zeitung
Teilen in sozialen Netzwerken
Im Brennpunkt
Bücher
Foto