15. November 2007

Gefühl geht vor

Überlebenstipps für Moskau

Das liebste Wort des russischen Beamten ist immer noch Njet, wahlweise ersetzt durch das kommentarlose Auflegen des Telefonhörers. Als Deutscher kann man mit solch schroffen Gesten zunächst nichts anfangen. Wir denken systematisch, haben uns Argumente zurechtgelegt und erwarten eine ordentliche Antwort. Doch die Russen – auch die Beamten – sind vor allem Gefühlsmenschen.

Was in Deutschland durch lange Therapie-Sitzungen mühsam hervorgekitzelt wird, liegt hier offen zu Tage: Aggression, Hass, Liebe und Versöhnung. Wer also seinen Emotionen freien Lauf lässt, kommt in Russland schneller voran. Den starken Mann zu spielen, bringt überhaupt nichts. Will man etwa den russischen Staat belehren? Ein weinerlich vorgetragenes Paschaaaaalsta kann dagegen Wunder bewirken.

Natürlich ist man als Deutscher gegen Schmiergelder. Aber wer glaubt, neue Sitten einführen zu können, wird kein Glück haben. Auch ein erhobenerZeigefinger kommt schlecht an. „Bei Euch in Europa ist es doch nicht besser.“ Denken Sie positiv! Hat dieser Satz nicht auch etwas von Völkerverständigung?

Gute Kleidung und eine gepflegte Frisur verschaffen Respekt. Auch die Körpersprache sollte man nicht unterschätzen. Ein kräftig gebauter Deutscher mit Rauschebart erinnert an einen Teutonen. Dem bringt man Achtung entgegen. Seien Sie richtig Deutsch! Es hat keinen Sinn, den Gutmenschen zuspielen. Wem das Schauspielerische liegt, der hat es in Russland leichter. Wer spontan einen gelungenen Toast ausbringen kann, gewinnt die Herzen im Sturm. Wer seine Lippen nicht auseinanderkriegt, wird dagegen nicht beachtet. Wollen Sie das alte Buch sein, das im Regal verstaubt?

Wenn man bei Russen zu Besuch ist, gehören Blumen, etwas Trinkbares oder andere kleine Geschenke einfach dazu. Die Grenze nach oben ist offen. Man sollte nicht zu lange überlegen, sondern seinen Gastgebern und sich selbst etwas Gutes tun. Geschenke, die nicht von Herzen kommen, erkennt der Russe allerdings sofort. Und: Auch große Geburtstagskinder freuen sich über Karten mit einem handgeschriebenen Glückwunsch. Das mag in Deutschland aus der Mode sein, in Russland wird es geschätzt wie eh und je.

Der Journalist Ulrich Heyden (53) lebt und arbeitet seit 1992 in Moskau, schreibt als Korrespondent für die „Sächsische Zeitung“, aber auch für andere deutschsprachige Medien.

"Moskauer Deutsche Zeitung"

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