12. August 2021

Geht doch rüber! (der Freitag)

Sergei Supinsky/AFP/Getty Images
Foto: Sergei Supinsky/AFP/Getty Images

Donbass Der ukrainische Präsident will auf ukrainischem Boden keine Russland-Sympathisanten. Deutschland sollte auf diese schockierenden Aussagen reagieren

Ulrich Heyden Ausgabe 32/2021  5

Wolodymyr Selenskyj wurde 2019 unter anderem deshalb zum Staatschef gewählt, weil er Frieden im Donbass versprach. Zwei Jahre später schockiert er mit Äußerungen, die an ethnische Säuberungen denken lassen. Im Gespräch mit dem ukrainischen Fernsehkanal „Dom“ (Haus) bedenkt er die Bewohner des Donbass mit der Botschaft: „Wenn du auf ukrainischem Territorium lebst und fühlst, dass es zu Russland gehört, dann musst du dir – deinen Kindern und Enkeln zuliebe – einen Platz in Russland suchen.“

Mit anderen Worten, dann solltest du die Ukraine verlassen. Man fühlt sich erinnert an ukrainische Nationalisten, die in der Ostukraine „Filtrationslager“ errichten wollen, um „Terroristen des Okkupationsregimes“ ausfindig zu machen. Dass Hunderttausende in den Regionen Donezk und Luhansk, die sich seit 2014 der Kiewer Zentralmacht verweigern, in den vergangenen sieben Jahren unter Geschossen der ukrainischen Armee gelitten haben, hält Selenskyj für eine Lüge. Einer alternativen Realität zugetan, lastet er die mittlerweile 13.000 Toten des Krieges in der Ostukraine „russischen Okkupanten“ an. Zudem weiß er, eine dauerhafte Waffenruhe hänge „zu 90 Prozent von Putin“ ab. Selenskyj scheint unter einen enormen Erfolgsdruck geraten zu sein. Dies geht so weit, dass er nun auch treue Alliierte wie Deutschland und Frankreich angreift. Sie würden gegenüber Moskau zu wenig Druck ausüben. Mit keinem Wort erwähnt er, dass seine Regierung nach dem Minsker Abkommen von 2015 verpflichtet ist, den Gebieten um Donezk und Luhansk Autonomie zu gewähren.

Natürlich ist es bei der zu erwartenden Gegenwehr aus dem Lager der Ultranationalisten für Selenskyj gefährlich, vertragstreu zu sein. In seinem Bild von der Ukraine ist kein Platz für Menschen, die durch einen Zufall der Geschichte zwischen Russland und den Westen geraten sind. Er will ihnen nicht zugestehen, dass sie ein Recht auf Heimat und auf die russische Sprache haben, wie sie im Donbass vorwiegend gesprochen wird.

Höchste Zeit, dass die deutsche Regierung, die ein Freund der Ukraine sein will, jetzt nicht schweigt, sondern sich für die Rechte der Donbass-Bewohner starkmacht. Als Muster könnten die späten 1990er Jahre dienen, als man für die Kosovo-Albaner eingetreten ist.

veröffentlicht in: der Freitag

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