4. October 2012

Georgischer Traum könnte in einem neuen Machtkampf enden

Der georgische Wahlsieger Bidsina Iwanischwili wirft Präsident Michail Saakaschwili vor, er habe die Verfassung auf sich zugeschnitten und legt ihm deshalb den Rücktritt nahe. Nun droht ein Machtkampf.

Die Anhänger der Partei Georgischer Traum feierten am Montag eine rauschende Wahlnacht. Fahnenschwenkend und hupend fuhren sie durch die 1,1-Millionen-Stadt Tiflis. Die Folter-Videos aus georgischen Gefängnissen, die zehn Tage vor der Parlamentswahl auftauchten, hatten das Fass zum Überlaufen gebracht. Schon seit 2007 hatte die Opposition mit Demonstrationen mit bis zu 100 000 Teilnehmern gegen die autoritäre Politik von Saakaschwili und die angespannte soziale Lage demonstriert.

Seit gestern ist der Sieg der Opposition nun auch amtlich, das vom Milliardär Bidsina Iwanischwili geführte Oppositionsbündnis Georgischer Traum (GT) kann sich auch offiziell als Sieger fühlen. Für GT stimmten 55 Prozent der Wähler, für die "Vereinte Nationale Bewegung" (VNB) von Saakaschwili 40,2 Prozent. Bereits am Dienstag hatte Präsident Saakaschwili in einer Fernsehansprache mit bitterem Gesichtsausdruck seine Niederlage anerkannt und erklärte, seine Partei, werde in die Opposition gehen.

Nach der Wahlniederlage von Saakaschwili mahnen nun Washington und die EU Wahlsieger und Opposition zu konstruktiver Zusammenarbeit. Russlands Ministerpräsident, Dmitri Medwedew, drückte seine Hoffnung aus, dass sich die Beziehungen mit Tiflis jetzt verbessern.

Doch die Lage in Georgien ist nach wie vor angespannt, denn die Bevölkerung erwartet viel. Der Milliardär Bidsina Iwanischwili hat große soziale Versprechungen gemacht und erklärt, er wolle eine völlig neue Regierung vorschlagen, in der keiner der alten Minister mehr sitzt. Der unterlegenen Partei des Präsidenten, Vereinte nationale Bewegung, ist die Siegesstimmung von "Georgischer Traum" nicht geheuer. Die Art wie der Sieg gefeiert werde, sei so als "ob es eine Revolution statt eines Sieges in demokratischen Wahlen" gab, hieß es.

Doch eine Revolution will der Wahlsieger und Milliardär Iwanischwili, der sich an einem Hang mit Blick auf Tiflis einen Riesen-Glaspalast hat bauen lassen, auf keinen Fall. Noch in der Wahlnacht rief er seine Anhänger auf, sich gegenüber den Anhängern von Saakaschwili korrekt zu verhalten. Auch sie seien georgische "Brüder".

Doch im einstigen Sowjetstaat deutet sich ein Machtkampf an und man kann nur hoffen, dass er ohne gewalttätige Auseinandersetzungen ausgeht. Einen von der neuen Parlamentsmehrheit vorgeschlagenen Ministerpräsidenten kann Saakaschwili ablehnen, bis im nächsten Jahr eine Verfassungsänderung in Kraft tritt. Die Verfassung sei ganz auf Saakaschwili zugeschnitten, klagt Wahlsieger Iwanischwili.

"Um nicht zu leiden", sei es für Saakaschwili deshalb das Beste, wenn er jetzt zurücktrete und man die für das nächste Jahr angesetzten Präsidentschaftswahlen vorziehe. "Jetzt haben wir so eine Art Doppelmacht", erklärte Wahlsieger Iwanischwili, der ein parlamentarisches Rücktritts-Verfahren gegen Saakaschwili als äußerste Maßnahme nicht ausschließen will.

Saakaschwili bezeichnet den "Georgischen Traum" als "Kreml-Projekt". Darüber kann man nur schmunzeln. Denn wie sein Herausforderer wird auch er selbst von amerikanischen PR-Strategen beraten. Der Vertreter von Iwanischwili in Europa allerdings ist kein geringerer als der ehemalige US-Botschafter in Berlin, John Kornblum.

Sollte es den Wahlsiegern gelingen, eine neue Regierung zu bilden, kann man davon ausgehen, dass es zwischen Georgien und Russland statt Konfrontation Pragmatismus geben wird. Es könnte eine Situation eintreten wie in den polnisch-russischen Beziehungen, die sich nach dem Wahlsieg der Bürgerplattform von Donald Tusk 2007 entspannten. Die Zeit der Heißsporne, ob sie nun Micheil Saakaschwili oder Jaroslaw Kaczynski heißen, geht zu Ende. Angesichts der großen sozialen Probleme in Osteuropa sind Pragmatiker gefragt, die realen Verbesserungen für ihre Bürger erreichen.

Auch Wahlsieger Iwanischwili will einen Beitritt Georgiens zur Nato. Doch das kann dauern. Die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland will der Milliardär, der sein Geld mit Banken und Unternehmen in Moskau machte, möglichst schnell wieder in Gang bringen. Saakaschwilis Weg der Konfrontation mit Russland kann ihm als Unternehmer nicht schmecken, denn Georgien kann auf den riesigen russischen Markt kaum verzichten.

Die diplomatischen Beziehungen zwischen Moskau und Tiflis sind seit dem Georgien-Krieg im August 2008 eingefroren. Russland beantwortete den Konfrontations-Kurs von Saakaschwili 2006 mit einem Importverbot für wichtige georgische Exportgüter.

veröffentlich in: Südwest Presse

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