Goldene Kloschüsseln (der Freitag)
Russland - Alexei Nawalnys Film über die angeblichen Präsidentenresidenz bei Gelendschik am Schwarzen Meer wirkt wie ein Fanfarenstoß. Er soll das Ende der Putin-Ära einleiten
Ulrich Heyden
Der Sturm auf die Zentralen der Macht in Russland ist gut durchgeplant. Zwei Tage nach der Rückkehr von Alexei Nawalny und seiner Verurteilung zu 30 Tagen Haft erscheint im Internet sein neuer Film über Putins angebliches Palais am Schwarzen Meer. Unmittelbar danach wird über das bei Jugendlichen beliebte Videoportal TikTok zu Demonstrationen in russischen Städten am 23. Januar aufgerufen. Hauptlosung: „Freiheit für Nawalny“. Russische Eltern fühlen sich überrumpelt. Woher die plötzliche Polit-Werbung auf einem Jugend-Portal? Zur gleichen Zeit gibt es an verschiedenen Orten Verhaftungen von bekannten Nawalny-Anhängern, seiner Pressesprecherin und Organisatoren der nicht genehmigten Demonstrationen an diesem Wochenende.
Nein, Nawalny ist nicht einfach nach Russland gefahren, um zu schauen, was dann wohl passiert. Er hatte einen Plan, bei dem sein neuer Film Der Palast von Putin. Die Geschichte des größten Schmiergeldes, den angeblich schon 60 Millionen Youtube-Nutzer gesehen haben, einen besonderen Stellenwert beansprucht. Schonungslos klagt Nawalny in dem Zwei-Stunden-Werk den russischen Präsidenten an, der nur vorgebe für das Volk zu sorgen, aber eigentlich einen Riesen-Palast für sich und allen möglichen Zeitvertreib habe bauen lassen – vom Weinberg, über einen unterirdischen Eishockeypalast bis zum Nachtclub mit Striptease-Stange.
Handfeste Beweise, dass Putin der Besitzer dieses Palastes ist, liefert Nawalny freilich nicht. Es gibt kein einziges Video oder Foto, das Putin in jenem Anwesen zeigt. Also hat Nawalny Putin-Aufnahmen von anderen Orten in die Palast-Reportage hineinmontieren lassen. Diese Methode hatte bei einem früheren Palast-Video dazu geführt, dass Putin im angeblichen Schwimmbad des Anwesens zu sehen war, es sich dann aber herausstellte, dass eine Aufnahme des schwimmenden Putin in einem sibirischen Fluss zweckentfremdet wurde.
Putin lehnt ab
Schon 2011 hatte es in deutschen und britischen Medien Berichte über den bewussten Palast gegeben. Die BBC brachte 2011 sogar einen Film, den man hier sehen kann.
Anlass der Aufmerksamkeit war seinerzeit die Tatsache, dass russische Öko-Aktivisten das Areal des halbfertigen Bauwerkes betreten hatten und von Uniformierten in grünen Tarnjacken gestoppt wurden. Im BBC-Film trat schon damals Sergej Kolesnikow auf, der auch jetzt im Nawalny-Film wieder ausgiebig zu Wort kommt. Kolesnikow sagt von sich, er habe den Bau seit 2005 geleitet, sei dann aber wegen der angeblich massiven Korruption bei diesem Projekt ausgestiegen und nach Tallinn, die Hauptstadt Estlands, übergesiedelt.
In Nawalnys jetzigem Film gibt es lange Passagen mit Innenaufnahmen aus der mutmaßlichen Putin-Residenz. Nawalny, der selbst durch seinen Film führt, verschweigt nicht, dass es sich um in Auftrag gegebene Animationen handelt, „denn natürlich hat man uns dort nicht eingeladen“. Basis für diese Animationen sind Fotos aus dem Palast, die seit 2011 im Internet kursieren und Online-Kataloge superteurer italienischer Innenausstatter, die man anhand der Fotos aus dem Internet als Möbellieferanten für den Palast identifiziert haben will. Nawalnys Video-Experten haben ganze Arbeit geleistet. Sie führen die Zuschauer durch Säle voller Gold, Kissen und barockem Prunk. Die Film stachelt Emotionen an. Wofür? Es bleibt nur eine Antwort: Putin muss gestürzt werden.
Dmitri Peskow, Pressesprecher des Kreml, erklärte am 20. Januar, mit dem Palast habe der Präsident nichts zu tun. Und der Kreml-nahe Politologe Sergej Markow ergänzte, das Anwesen gehöre „einer Gruppe von reichen Leuten, die mit Putin gut bekannt sind“. Dieser Personenkreis habe 2005 beschlossen, für Putin einen Palast zu bauen für die Zeit nach seiner Präsidentschaft, wenn er im Ruhestand sei. Doch habe sich Putin geweigert, dieses Geschenk anzunehmen, und nicht alle reichen Leute, die den Bau unterstützten, seien seine Freunde gewesen, so Markow.
Da habe es einige „merkwürdigen Figuren“ gegeben, die hofften über dieses Bauwerk in den Kreis der Freunde des Präsidenten aufgenommen zu werden. Putin – so der Politologe – habe verstanden, dass es für ihn keinen Ruhestand geben, und es ihm daher nicht vergönnt sein werde, den Müßiggang des Alters auszukosten. Schon deshalb brauche er keinen Palast.
Die Drohne hoch oben
Nawalny behauptet im Filmkommentar, der Palast sei ein hochgeheimes Projekt. Der russische Geheimdienst bewache es. Nur wie war es dann möglich, dass Nawalny das 70 Hektar große Anwesen mit einem Quadrocopter abfilmen lassen konnte? Bei einem hochgeheimen Objekt hätte der russische Geheimdienst FSB doch den Luftraum gesperrt und die Drohne vom Himmel geholt.
Dass Nawalnys Drohne fliegen konnte, hatte vermutlich damit zu tun, dass er aus dem Kreis der Palast-Bauherren Unterstützung erhielt, möglicherweise von den Bauherren selbst, die nicht wie gewünscht im engeren Kreml-Zirkel Aufnahme fanden.
Man erinnere sich des Maidans Anfang 2014 in Kiew. Wo strömten die Massen nach dem Sturz von Präsident Viktor Janukowitsch hin? Richtig! Zum Janukowitsch-Palast, in Meschyhirja an der Banlieue von Kiew, wo es angeblich eine goldene Kloschüssel zu sehen gab. Die goldene Kloschüssel wurde nie gefunden. Aber die Palast-Besichtigung diente als nachträgliche Bestätigung dafür, dass man den richtigen Mann gestürzt hatte.
Ulrich Heyden
veröffentlicht in: der Freitag