Großes Schönreden im Kreml
Moskau – Am Wahlabend versuchte Ministerpräsident Wladimir Putin, der im März 2012 bei den Präsidentschaftswahlen kandidiert, den Absturz von Einiges Russland von 64 Prozent (2007) auf 49,5 Prozent am Wahlsonntag positiv umzudeuten. Immerhin habe „Einiges Russland“ „die Verantwortung in schwierigen Zeiten getragen“ und sei „trotzdem stärkste Partei geworden.“Putin muss sich nun überlegen, wie er die Scharte der Duma-Wahl auswetzen will.
Zwar liegt seine Popularität mit 61 Prozent noch wesentlich höher als die der Partei Einiges Russland. Experten zweifeln auch nicht, dass Putin die Wahl im März gewinnt. Und doch braucht Russlands starker Mann für seine Politik ein eindrucksvolles Wahlergebnis. Nur so kann man auch krisenhafte Situationen in der Gesellschaft meistern.
Nach der Auszählung von 95,7 Prozent aller Wahlzettel ist „Einiges Russland“ mit 49,54 Prozent der Stimmen zwar stärkste Partei, hat aber die für den Kreml praktische Zwei-Drittel-Mehrheit verloren. Der Polit-Clown Schirinowski wird mit seinen Abgeordneten „Einiges Russland“ bei schwierigen Abstimmungen zu Hilfe eilen, wie er es schon in den vergangenen Jahren tat.
In der neuen Duma, werden also die gleichen Parteien vertreten sein, wie vor der Wahl. Außer diesen vier Parteien, schaffte keine den Sprung über die Sieben-Prozent-Hürde.
Für viele Aktivisten der russischen Zivilgesellschaft war das Wahlergebnis eine Überraschung. Die Partei „Einiges Russland“, die seit 2001 von Wahlsieg zu Wahlsieg eilte, plötzlich im Abstimmungstief, von 49,5 Prozent? Doch obwohl viele Bürger-Aktivisten von liberal bis links nur mangels Alternative die Kommunisten und „Gerechtes Russland“ wählten, ist die Stimmung erst mal gut. Zumal die oppositionellen Organisationen und Aktivisten mit ihren im Internet veröffentlichten Videos und Fotos über Wahlfälschungen, meinen beweisen zu können, dass die Niederlage von Einiges Russland real eigentlich noch viel größer ist.
Während Wladimir Putin bei seinem Auftritt in der Parteizentrale von Einiges Russland ein geschäftsmäßig-ernstes Gesicht machte, gab sich der amtierende Präsident Medwedew so aufgeräumt wie am eigenen Geburtstag. Die Wahl bezeichnete Medwedew als „Demokratie in Aktion“. Die neue Duma bilde das reale Kräfteverhältnis in der Gesellschaft ab. Dmitri Medwedew, der ab Mai 2012 die russische Regierung führen soll, erklärte, was man jetzt brauche sei eine Duma, „welche Entscheidungen nicht hinauszögere“. Deshalb werde die Partei mit den „Partnern“ in der Duma in bestimmten Fragen das Bündnis suchen.
Von Wahlfälschungen, wie sie im Internet zahlreich mit Videos und Fotos dokumentiert wurden, will weder Medwedew noch die Zentrale Wahlkommission etwas wissen. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) kritisierte dagegen nicht nur die Nichtzulassung einzelner Oppositionsparteien. Es habe Unregelmäßigkeiten bei der Auszählung sowie Manipulationen bei der Abstimmung selbst gegeben, teilte die Organisation mit. Die Bundesregierung forderte in Berlin, alle Vorwürfe müssten „befriedigend aufgeklärt“ werden.
veröffentlicht in: Südkurier