Großvater Hasan und die Mafia
Von Ulrich Heyden, SZ-Korrespondent in Moskau
In Russland tobt ein blutiger Bandenkrieg. Nun wurde auch auf den bedeutendsten Mafiaboss geschossen.
Es passierte am 16. September um acht Uhr abends, unweit des Kremls. Aslan Usojan, der einflussreichste Mafioso im postsowjetischen Raum, wollte gerade, begleitet von seinem Leibwächter, die Wohnung seines Sohnes betreten. Kurz vor dem Hauseingang traf Usojan die Kugel eines Scharfschützen. Der 73-Jährige, bekannt als „Großvater Hasan“, wurde am Bauch schwer verletzt.
In einer Wohnung im gegenüberliegenden Haus fand man ein Scharfschützengewehr und drei Umschläge mit Telefonrechnungen. Die Ermittler gehen davon aus, dass der Anschlag seit Wochen vorbereitet wurde.
Zunächst erklärte die Moskauer Polizei, Aslan Usojan sei tot. Damit wollte man einem weiteren Anschlag vorbeugen. Erst später wurde bekannt gegeben, dass Usojan den Anschlag überlebt hat. Im Moskauer Botkin-Krankenhauses wurde der 73-Jährige bereits zweimal operiert. Noch auf der Intensivstation musste sich Usojan den Fragen von Ermittlern stellen. Aber der „Pate“ gab sich wortkarg.
Kassenchef in Moskau
Wer ist Usojan? Der einflussreiche Pate wurde 1937 in Tbilissi geboren. Zwei Drittel seines Lebens soll er in Gefängnissen verbracht haben. Zuletzt wohnte er in einer streng bewachten Siedlung vor Moskau, dann in der Wohnung seines Sohnes im Zentrum. Nach Medienberichten verwaltete Usojan die zentrale Kasse der russischen Mafia, aus der Angehörigen von inhaftierten Kriminellen eine Art Sozialhilfe gezahlt wird.
Der Anschlag auf den Mafiaboss erinnert an einen Vorfall im Juli vergangenen Jahres. Damals wurde der „Kleine Japaner“, ein Freund Usojans, mit demselben Gewehrtyp und Bauchschuss niedergestreckt. Zwei Monate später starb er. Zu seiner Beerdigung kamen 500 Menschen. Auch ein Kranz von „Großvater Hasan“ lag auf dem Grab. Hinter beiden Attentaten steckt nach Meinung von Experten der georgische „Pate“ Tariel Oniani. Laut der Zeitung „Komsomolskaja Prawda“ habe Oniani jedoch erklärt, dass er nichts mit dem Anschlag auf Usojan zu tun habe. Usojan sei von einem Verräter aus dem eigenen Clan angeschossen worden, so der Inhaftierte. In der kriminellen Welt rechne man schon bald mit einer Racheaktion.
Es ist ein neuer Krieg der Mafia-Banden: Seit 2006 sind zahlreiche Mafiosi erschossen worden, Für den Anschlag auf „Großvater Hasan“ bringen die Moskauer Zeitungen verschiedene Erklärungen: Die „Wremja Nowostej“ berichtet über einen Konflikt um Bauland. Die Zeitung „Kommersant“ vermutet dagegen, der Anschlag habe etwas mit der Aufteilung der Einflusszonen bei Investitionen für die Olympia-Bauten in Sotschi zu tun.
Angesichts der jüngsten Anschläge zieht der Journalist und Duma-Abgeordnete Aleksandr Chinschtein bereits Vergleiche mit den „bösen 90-ern“. Damals verging keine Woche ohne Mafia-Mord. Nun habe es seit Anfang des Jahres wieder über 100 Morde gegeben, meint Chinschtein. Nachprüfen lassen sich diese Zahlen allerdings kaum.
"Sächsische Zeitung"