7. October 2009

Grossväterchen Stalin

Grossväterchen Stalin Held oder Verbrecher? In Russland wächst die Verehrung für den Sowjetdiktator

Jahrzehntelang versetzte sein Name die Russen in Angst und Schrecken: Josef Stalin herrschte von 1922 bis 1953 mit eiserner Faust über die Sowjetunion. Jetzt klagt sein Enkel gegen eine Moskauer Tageszeitung, die seinen Großvater zu Unrecht verunglimpft habe. Der am Donnerstag beginnende Prozess wirft ein Schlaglicht auf die zunehmende Verdrängung von Stalins blutigem Terror in Russland.

Sein Großvater – so Jefgeni Dschugaschwili – sei durch einen Artikel in der Kreml-kritischen Novaya Gazeta persönlich verunglimpft worden. Der Stalin-Enkel, der mit Schnauzer und markantem Gesicht Großvater Josef nicht unähnlich sieht und auch schon in einem Film die Rolle des „Generalissimus“ gespielt hatte, fordert von dem führenden Blatt der russischen Opposition eine moralische Entschädigung in Höhe von 230 000 Euro. In dem Blatt hatte der Journalist Anatoli Jablokow geschrieben, unter Stalin und den Tschekisten (Geheimdienstler) seien „Ströme von Blut“ geflossen. Journalist Jablokow forderte von der russischen Militär-Staatsanwaltschaft die Herausgabe der Dokumente über den Fall Katyn, wo mehrere Tausend polnische Offiziere in einem Wald bei Smolensk von sowjetischen Soldaten standrechtlich erschossen wurden.

Der 73-jährige Kläger – Jefgeni Dschugaschwili – ist der Sohn von Jakob Dschugaschwili, einem Sohn Stalins, der in deutsche Gefangenschaft geriet und 1943 im KZ Sachsenhausen starb. Der Kläger ist überzeugter Stalinist. Unter dem „Generalissimus“ sei das Leben „lustiger“ gewesen – meinte Jefgeni Dschugaschwili in einem Interview. Die Menschen hätten noch „an eine Zukunft geglaubt.“Die Novaya Gazeta hat sich zusammen mit der Menschenrechtsorganisation „Memorial“ intensiv auf denProzess vorbereitet. Das Verfahren biete die Chance, nun endgültig vor Gericht feststellen zu lassen, dass Stalin ein Verbrecher war, meint der Memorial-Vorsitzende Arsenij Roginski. Eine eindeutige juristische Beurteilungdes Terror-Regimes gibt es in Russland bis heute nicht.

Für die Jugend ist er Kult

Vor Stalin haben die Russen heute keine Angst mehr. Im Gegenteil, Stalin ist kultig. Nicht selten findet man bei
Souvenir-Verkäufern Stalin-Bilder, wie etwa bei Andrej, der in der Touristenstadt Jaroslawl Streichholzschachteln und mit Stalin-Porträts an Touristen verkauft. „Die werden vor allem von Jugendlichen gekauft“, meint derSouvenir-Verkäufer. Auf die Frage, ob die Jugendlichen denn nichts über die
Verbrechen von Stalin wissen, meint Andrej, „für die ist Stalin einfach nur ein starker Führer.“Einen Konsens über die Frage, ob Stalin nun Verbrecher oder Held war, gibt es in Russland bisher nicht. An den Schulen gibt es Geschichts-Lehrbücher, in denen Stalin als „guter Manager“beschrieben wird. Andererseits ordnete das russische Bildungsministerium an, dass das Buch „Archipel Gulag“ von Alexander Solschenyzin über den stalinistischen Gefängnis-Terror in den Schulen von nun an zum Pflichtprogramm gehört.

"Südkurier"

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