Auf dem Video sieht bei Minute 00:20 auch, wie sich der Attentäter noch vor der Schießerei im ersten Stock der Fachschule mit einem Schüler unterhält. Ob es sich dabei um einen Mittäter oder eine Begrüßung unter Bekannten handelt, ist bisher nicht ermittelt.
Schoss der Attentäter sich in den Kopf?
Wladislaw Rosljakow, der von russischen Medien als stiller und zurückhaltender Typ mit einem Fable für Internet-Kampfspiele - wie "Metro-2033" - beschrieben wird, imitierte offenbar die Attentäter beim Amoklauf in der US-Schule Columbine im Jahre 1999. Er trug nicht nur eine ähnliche Kleidung, er erschoss sich auch wie der Amok-Läufer von Columbine in der Schulbibliothek.
Rosljakow war ein schmächtiger Junge mit dem blonden Haarschopf (Foto). Ob er sich aber selbst erschossen hat, ist umstritten. Moskowski Komsomolez hält es für möglich, dass der Attentäter erschossen wurde. Ein Indiz sei auch, dass Schüler noch weitere Amok-Läufer gesehen haben wollen.
Amok-Läufer mit Waffenschein
Rosljakow bereitete sich planmäßig auf seine Bluttat vor. Wie die Komsomoskaja berichtete , habe der junge Mann auf einem verlassenen Gelände nicht weit von dem Haus, in dem er mit seiner Mutter wohnte, zu Übungszwecken Sprengsätze gezündet. Auf dem Gelände am Stadtrand habe man auch Überreste eines Notebooks gefunden, das dem Attentäter gehörte und welches dieser zerstört hatte. Die Sicherheitsbehörden auf der Krim teilten jedoch mit, dass man den Computer wieder in Gang bringen könne.
Wie planmäßig der Attentäter vorging zeigt auch, dass er bereits vor einem Monat alle Fotos der Familie von seiner Oma und seinem Vater abholte, angeblich um sie zu digitalisieren. Offenbar ahnte der junge Mann, dass man nach dem Attentat nach Fotos von ihm suchen würde.
Rosljakow besorgte sich die für einen Waffenschein nötigen Dokumente, ein psychiatrisches Gutachten und das Gutachten der staatlichen Drogenkontrolle. Ob er sich diese Dokumente bei den entsprechenden Behörden oder auf dem Schwarzmarkt besorgte, ist bisher nicht bekannt.
Den für den Erhalt eines Waffenscheins nötigen sechsstündigen Schießlehrgang absolvierte der junge Mann am 18. Juli in Simferopol in der Schule für Objektschutz "Egida Plus". Nach einem Bericht der Zeitung Komsomolskaja Prawda erinnerte sich der Ausbilder, dass Rosljakow schnell lernte und sich mit Waffen offenbar schon auskannte. Der junge Mann habe auf seine schlechten finanziellen Verhältnisse verwiesen und musste für den Lehrgang deshalb statt 6.000 nur 4.000 Rubel (52 Euro) zahlen. Rosljakow habe gesagt, dass er den Waffenschein "für die Jagd" brauche.
Am 13. Oktober wurde der mutmaßlich Attentäter von einer Überwachungskamera aufgenommen, als er sich Patronen für das Gewehr der Marke Hatsan Escort kaufte. Den Waffenschein für Rosljakow hatte die russische Polizei (Rosgwardia) ausgestellt.
Nutzte der Attentäter sein Betriebspraktikum für den Anschlag?
Nach einem Bericht der Komsomolskaja Prawda machte Wladislaw Rosljakow vom 4. Mai bis zum 28. Juni ein Praktikum auf einer Schiffswerft in Kertsch. Er habe sich mit der Montage von elektrischer Ausrüstung beschäftigt. Ermittler haben auf der Werft Ermittlungen aufgenommen. Grund der Ermittlungen seien die Sprengsätze, die der Attentäter mit sich führte.
Wladislaw Rosljakow war nach Beschreibungen, die jetzt in den russischen Medien auftauchten, ein stiller Mensch. Aber in ihm schlummerte offenbar ein Vulkan. Die Zeitung Komsomolskaja Prawda (KP) druckte Auszüge aus einem Chat, in dem Rosljakow erklärt, er würde gerne ein Massaker unter Gleichaltrigen und Lehrern veranstalten - "so wie Columbine". Für den Chat benutzt Rosljakow den Namen "Anatoli Smirnow".
"Wir müssen uns unbedingt um die Stillen kümmern", meinte Sergej Iwaschkin, Berater des Instituts für die "Entwicklung von Menschen und Organisationen". Derartige Aufrufe konnte man nach dem Amoklauf in dem College der Hafenstadt Kertsch häufig in russischen Zeitungen lesen. Es müssten mehr Schul-Psychologen eingesetzt werden, die sich "um die Stillen kümmern", so meinen Experten. Das Wachpersonal vor den Schulen müsse verstärkt werden. Waffen-Handlungen müssten bei Verdacht auf bestimmte Personen die Polizei informieren, so lauten die Ratschläge, die zurzeit in den russischen Medien kursieren.
Der Vater war Alkoholiker, die Eltern lebten getrennt
Der Vater des Attentäters von Kertsch wohnte nicht bei seinem Sohn. "Er war fast nie trocken", berichtet Taisija Rosljakowa, die Großmutter des Attentäters der "Komsomolskaja Prawda". Als Wladislaw in der fünften Klasse war, habe die Mutter ihren Sohn genommen und sich von ihrem Mann getrennt. Sie habe "Wladik" vor einer Woche gesehen, sagt die Großmutter. Er sei in guter Stimmung gewesen.
In der Kindheit sei "Wladik" ein sehr offenes Kind gewesen, dann aber wurde er sehr verschlossen, sagte die Oma. Als er ein Notebook bekam, sei er gar nicht mehr aus dem Haus gegangen und habe nur noch auf dem Computer gespielt.
Der Vater, der zu Sowjetzeiten als Soldat in Afghanistan war, war bekannt für starken Alkoholkonsum und jähzorniges Verhalten. Er zettelte bei jeder Gelegenheit Schlägereien an. Bei einer Auseinandersetzung schlug sein Kopf gegen einen Bordstein. Die Folge waren anhaltende starke Kopfschmerzen, worauf er als Schwerbehinderter eingestuft wurde.
In einem Video-Interview erklärte er: "Obwohl er tot ist, liebe ich ihn, er ist mein leiblicher Sohn. Ich habe von ihm geträumt." Schuld an der Tragödie sei "das Internet, das Notebook und seine völlige Abgeschlossenheit. Ich bin russisch-orthodox. Er ist ein Teufel, nichts Anderes." Als Kind habe er mit Hamstern, Meerschweinchen und Autos gespielt und kleine Ratten großgezogen.
Opfer von Mobbing?
Eine ehemalige Kommilitonin des Attentäters sagte gegenüber RT, der Attentäter sei ein guter Freund von ihr gewesen. Sie habe wie Rosljakow im vierten Semester studiert. Es tue ihr sehr leid um die Toten. Rosljakow habe nicht mehr leben wollen, weil er von Kommilitonen gemobbt wurde, erzählte die Studentin. Ihren Namen nannte sie nicht.
Ulrich Heyden
veröffentlich in: Telepolis