26. April 2007

Held für drei Tage

Staatsführer aus aller Welt und einfache Russen verabschiedeten sich vom ersten freigewählten russischen Präsidenten Boris Jelzin. Seit der Beerdigung von Zar Aleksander III. vor 113 Jahren war es das erste Mal, dass ein russisches Staatsoberhaupt nach orthodoxem Ritus beerdigt wurde.

Es war wie eine Ironie der Geschichte. Als sich der Sarg von Boris Jelzin in die Erde senkte und vor der Mauer des Neu-Jungfrauen-Friedhofs die Salutschüsse dröhnten, erklang die Hymne der Sowjetunion.

Zwar hatte der Verstorbene sie 1990 durch eine Komposition des Komponisten Michail Glinka ersetzt, doch sein Nachfolger Wladimir Putin führte die alte sowjetische Hymne 2000 - allerdings mit einem neuen Text - wieder ein. Zusammen mit seiner Frau Ljudmilla stand Putin am Grab des Mannes, der ihm das Amt in der Silvesternacht 1999 übertragen hatte.

Zärtlich strich Naina Jelzina ihrem Mann übers Gesicht und küsste ihn ein letztes Mal. Es war eine ergreifende intime Szene. Die ausländischen Staatsgäste, unter ihnen die früheren US-Präsidenten George Bush senior, Bill Clinton, der britische Ex-Premier John Major und Bundespräsident Horst Köhler, wirkten fast deplatziert. Der bedrückt wirkende Clinton hatte Naina Jelzina mit einem Kuss begrüßt und ihr den Arm tröstend um die Schulter gelegt.

Nachdem die staatlichen russischen Fernsehkanäle erst relativ knapp über den Tod von Jelzin berichtet hatten, wurden ihre Berichte über das Leben Jelzins in den letzten Tagen immer länger. Der fast schon Vergessene, der still und abgeschieden auf einer Datscha vor den Toren von Moskau gelebt hatte, wurde für ein paar Tage wieder zum Helden.

Auch Wladimir Putin suchte zunächst nach den richtigen Worten. Erst fünf Stunden nach dem Tod von Jelzin trat der Kreml-Chef mit einer Fernsehansprache vor das Volk. Er würdigte seinen Vorgänger als den Mann, der Russland Freiheit und Demokratie gebracht hat. Die russischen Kommunisten entschieden sich dagegen für demonstrativen Protest. Bei einer Trauerminute in der Duma blieben sie auf ihren Plätzen sitzen. "Wir werden niemals den Zerstörer des Vaterlandes ehren", erklärte der KP-Abgeordnete Viktor Iljuchin.

Die drei staatlichen Kanäle übertrugen die Trauerfeierlichkeiten drei Stunden lang live. Man zeigte auch Bilder aus Jelzins Privatleben und Schlüsselszenen aus seinem politischen Leben, so die Szene, wo Jelzin und Gorbatschow sich direkt am Rednerpult streiten, und Bilder von den Verhandlungen mit einem tschetschenischen Separatistenführer 1996 im Kreml. RTR zeigte Jelzins Rede zur Beisetzung der sterblichen Überreste der Zarenfamilie in der Peter-Paul-Kirche in St. Petersburg. Er brach damals ein Tabu, als er die Russen in Erinnerung an den feigen Mord an der Zarenfamilie zu "Buße und Verständigung" aufrief. All die Bilder hatten etwas Pikantes. Herrscht doch heute in Russland eine übermäßige Selbstzufriedenheit.

Nach dem Trauergottesdienst in der Erlöser-Kathedrale wurde der Sarg auf einer mit der russischen Flagge geschmückten Lafette im Schritttempo von einem Schützenpanzerwagen 40 P 2 zum Neu-Jungfrauen-Friedhof gezogen. Hier liegen auch die Frau von Gorbatschow, Raissa, sowie Sowjetführer Chruschtschow und andere Prominente. Es war ein ergreifendes Schauspiel.

Die Glocken der Kathedrale läuteten, eine Kapelle spielte Trauermärsche, tausende standen am Straßenrand unter den gerade ergrünten Bäumen. Viele wischten sich Tränen aus den Augen. Hinter dem Sarg gingen in weißen Gewändern die drei Metropoliten Kirill, Juvenali und Kliment, die den Trauergottesdienst geleitet hatten. Der russische Patriarch Aleksej der II., der sonst bei großen religiösen Festen die Zeremonie leitet, nahm aus unbekannten Gründen nicht an der Trauerfeierlichkeit teil.

Thüringer Allgemeine

Teilen in sozialen Netzwerken
Bücher
Foto