Selbst Präsident Selenski trat im „Propaganda-Sender“ auf
Wie das oppositionelle Kiewer Portal strana.ua berichtete, ist der Vorwurf der “Propaganda” gegen die drei Fernsehkanäle heuchlerisch. Denn bei den drei am 4. Februar abgeschalteten Fernsehkanälen ZIK, NewsOne und 112 seien zahlreiche hohe ukrainische Politiker und Beamte aufgetreten. In Sendungen der drei Kanäle aufgetreten sind keine Geringeren als der erste Präsident der Ukraine, Leonid Kutschma, der Leiter des rechtsradikalen Nationalen Korpus, Andrej Biletski, und sogar der Präsident der Ukraine, Wolodymyr Selenski. Einen Monat vor der Abschaltung gab die Pressesprecherin von Selenski, Julia Mendel, dem Fernsehkanal ZIK ein Exklusiv-Interview. Jetzt erklärt Mendel, der Fernsehkanal sei propagandistisch und die Abschaltung der Fernsehkanäle völlig dem Gesetz entsprechend.
Präsidenten-Partei nur auf Platz drei
Dass der ukrainische Präsident jetzt massiv gegen oppositionelle Medien vorgeht, hängt offenbar damit zusammen, dass die Popularität von Selenski und seiner Partei „Diener des Volkes“ massiv gesunken ist. Grund für den Popularitätsverlust der Präsidenten-Partei ist, dass Selenski keines seiner Versprechen gehalten hat. Der Krieg gegen die „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk geht auf kleiner Flamme weiter. Die Wohnungsbetriebskosten in der Ukraine steigen immer mehr. Neue Arbeitsplätze gibt es nicht und die Ukrainer werden faktisch zur Arbeitsmigration nach Polen und in andere EU-Staaten gezwungen.
Wie die „Ukrainische soziologische Gruppe“ Anfang Februar bekanntgab, würde die russland-freundliche „Oppositionspartei – für das Leben“ – wenn in den nächsten Tagen Wahlen wären – mit 25,7 Prozent stärkste Partei. Auf Platz zwei käme die Partei des ehemaligen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko mit 20,1 Prozent. Erst auf Platz drei käme die Partei von Selenski, „Diener des Volkes“, mit 16,6 Prozent. 10,8 Prozent der Stimmen bekäme die Partei der ehemaligen „Gas-Prinzessin“ Julia Timoschenko.
Journalisten fürchten um ihr Leben
Einen Tag nach der Abschaltung der drei Fernsehkanäle, bei denen insgesamt 1.500 Journalisten arbeiteten, rief der ukrainische Ultranationalist Sergij Sternenko via Facebook auf, eine “schwarze Liste” aller Journalisten zu erstellen, die bei den drei Fernsehkanälen gearbeitet haben.
Der Ultranationalist Sergij Sternenko will eine schwarze Liste mit Fernsehjournalisten anlegen. Foto: Facebook.
Sternenko stammt aus Odessa. Er gehörte dem Rechten Sektor an und wird wegen eines Mordes beschuldigt. Wozu die „schwarze Liste“ nötig ist, begründete Sternenko via Facebook folgendermaßen:
„Freunde, nachdem die Sanktionen gegen die Fernsehkanäle von Medwetschuk[1] verhängt wurden, können die herumstreunenden Journalisten, die für die Okkupanten von ZIK, NewsOne und 112 gearbeitet haben, sich als gute Menschen ausgeben und in normale Medien gelangen. Einige der Propagandisten werden Fakten über ihre Tätigkeit bei den genannten Fernsehkanälen verbergen.“
Das Echo auf den Post des Ultranationalisten Sternenko war gewaltig. Sein Post auf Facebook bekam 3.400 Likes. Er wurde 203 Mal geteilt und 384 Mal kommentiert.
Was bedeutet es, in der Ukraine auf einer schwarzen Liste zu erscheinen? Das bedeutet nicht nur Schwierigkeiten bei der Arbeitsplatzsuche, sondern das bedeutet auch, dass man zur Zielscheibe von Ultranationalisten wird.
Erinnert sei an den Fall des russlandfreundlichen Schriftstellers Oles Busyna, der im April 2015 – mutmaßlich von dem Ultranationalisten Andrii Medvedko – vor seinem Haus erschossen wurde. Erinnert sei auch an den liberalen Journalisten Pawel Scheremet, der im Juli 2016 im Zentrum von Kiew mit einer Bombe getötet wurde. Täter waren mutmaßlich Ultranationalisten.
Kotsaba: Ich ändere ständig meinen Aufenthaltsort
Der Journalist Ruslan Kotsaba, der für alle drei abgeschalteten Fernsehkanäle arbeitete, sagte gegenüber dem Autor dieser Zeilen, dass er seinen Aufenthaltsort zurzeit ständig wechsle und nur mit dem Taxi fahre.
Kotsaba ist ein bekannter Journalist. Weil er 2015 zur Kriegsdienstverweigerung in der Ost-Ukraine aufrief, läuft gegen ihn jetzt ein Verfahren wegen Landesverrates. Bei der letzten Sitzung des Gerichts am 22. Januar in der westukrainischen Stadt Kolimya wurden Kotsaba und seine Anwältin Tatjana Montian von 70 Ultranationalisten mit einem Feuerlöscher und Knüppeln angegriffen.
Die Polizei, die vor dem Gericht nur schwach vertreten war, nahm keinen der Angreifer fest und lehnte es auch ab, Kotsaba vom Ort der Auseinandersetzung zu evakuieren. Kotsaba meint, wenn Vertreter ausländischer Staaten wie Journalisten, Botschafter oder Vertreter von Menschenrechtsorganisationen im Gericht anwesend gewesen wären, hätten die Ultranationalisten nicht gewalttätig vorgehen können.
Reporter ohne Grenzen schweigt
Das Desinteresse der deutschen Medien an dem Fall Kotsaba und an der Abschaltung der drei ukrainischen Fernsehkanäle ist erschreckend. Auch die deutsche Sektion von „Reporter ohne Grenzen“ hat bis heute nicht über die Abschaltung der Fernsehkanäle und die Verfolgung von Ruslan Kotsaba berichtet. Der letzte längere Bericht über die Ukraine auf der Website von „Reporter ohne Grenzen“ stammt von 2010. Ein Bericht über die Situation der Medien nach dem Maidan wurde gelöscht.
Dass deutsche Medien keine kritischen Artikel über die Politik der ukrainischen Regierung bringen und über brisante innenpolitische Fälle meist gar nicht berichten, hat seit dem Maidan 2014 Tradition. Das hat der Autor dieser Zeilen schon 2018 bei einer Anhörung der Partei „Die Linke“ im Deutschen Bundestag ausgeführt.
veröffentlicht in: Nachdenkseiten
[«1] Viktor Medwetschuk ist Leiter der „Oppositionsplattform – für das Leben“. Dass Medwetschuk der Besitzer der abgestellten Fernsehkanäle ist, behaupten ukrainische Nationalisten. Belegen können sie es nicht.