13. October 2017

Humanitäre Hilfe für Krankenhäuser in Lugansk aus Thüringen

Thüringer Abgeordnete geben keine Unterstützung für die Hilfsorganisation, die Regierung von Thüringen schweigt, das Außenministerium vermeidet öffentliche Unterstützung

Ein langer Zwanzig-Tonnen-Laster mit grauer Plane rumpelte am 11. September auf den Hof der Hilfsorganisation "Bumerang des Guten" in Lugansk. Es ist die Hauptstadt der selbsternannten "Volksrepublik Lugansk". An der Demarkationslinie zur Ukraine wird immer noch geschossen.

Es war bereits der siebte Zwanzig-Tonner mit ausgemusterter medizinischer Ausrüstung aus Thüringer Krankenhäusern, den das Aktionsbündnis "Zukunft Donbass" in den letzten zwei Jahren in das Kriegsgebiet Donbass geschickt hat. Die meisten Transporte gingen an Krankenhäuser in der "Volksrepublik Lugansk". Partnerorganisation der Initiative aus Jena ist die Hilfsorganisation "Bumerang des Guten", welche von der Regierung in Lugansk zum Empfang der Hilfe und der Weiterverteilung bevollmächtigt wurde.

Nachdem der siebte Laster in Lugansk angekommen war, wurden multifunktionale Krankenhaus-Betten, Beistelltische und Verbandsmaterial ausgeladen. Die kostenlos von Thüringer Krankenhäusern abgegebene Ausrüstung wurde zunächst bei der Hilfsorganisation "Bumerang der Güte" eingelagert und dann auf Krankenhäuser in Lugansk, Perwomajsk und Stachanow verteilt.

Um nach Lugansk zu fahren, muss der Lastwagen aus Jena 3.000 Kilometer durch Weißrussland und Russland fahren. Der direkte Weg durch die Ukraine ist versperrt. Der Rechte Sektor und die ukrainischen Soldaten an der Demarkationslinie zu den "Volksrepubliken" hätten schon mehrmals humanitäre Transporte gestoppt und sogar Hilfsgüter beschlagnahmt, berichtet Raissa Steinigk vom Jenaer Aktionsbündnis. Dass dies so ist, sei auch vom Deutschen Roten Kreuz bestätigt worden. Auch das DRK-Deutschland, das selbst nicht in den "Volksrepubliken" tätig ist, halte es für angebracht, die Ukraine zu umfahren.

Das Aktionsbündnis aus Thüringen ist eine der wenigen Initiativen, die Hilfslieferungen aus Deutschland in die selbsternannten Volksrepubliken transportieren. Die großen deutschen Stiftungen und humanitären Organisationen leisten keine Hilfe in den "Volksrepubliken". Man hält sich an die Weisung der Regierung in Kiew: Keine Hilfe für die Separatisten.

Eine deutsch-ukrainische Familie packt an

Die Transporte aus Thüringen werden vom "Aktionsbündnis Zukunft Donbass" aus Jena organisiert (Spendenkonto ). Treibende Kraft der Initiative sind Raissa Steinigk und ihre Tochter Iwana. Auf zwei Reisen nach Lugansk haben sich die beiden Frauen vor Ort über die Lage in den Krankenhäusern von Lugansk informiert und mit den Ärzten besprochen, welche Hilfs-Lieferungen sinnvoll sind.

Raissa Steinigk ist in der Ukraine geboren. Sie ist mit einem Deutschen verheiratet und lebt seit 40 Jahren in Deutschland. Das Leiden der Menschen im Donbass hat ihr keine Ruhe gelassen. Raissa ist aber keine Frau, die still jammert. Sie ist eine Frau der Tat. Sie gründete das Aktionsbündnis und wacht nun persönlich darüber, dass mit den Transporten alles klappt. Sie macht die Papiere für den Zoll fertig und weil sie inzwischen schon so gut eingearbeitet ist, sind auch andere private Initiativen und Einzelpersonen aus Deutschland, wie der Verein Friedensbrücke aus Berlin auf Frau Steinigk aufmerksam geworden. Man organisiert jetzt gemeinsame Transporte oder lädt Spenden von Privatpersonen mit auf die Laster nach Lugansk.

Besonders benötigt: Beatmungs-Apparate und Defibrillatoren

In einem Gespräch schildert Wladimir Wolkow, Leiter der Intensiv-station im Multifunktionalen Krankenhaus von Stachanow, wie wichtig die multifunktionalen Betten aus Thüringen für sein Krankenhaus sind. Die aus Thüringer Krankenhäusern ausrangierten Betten erleichterten dem Pflegpersonal die Arbeit und sie seien auch angenehmer für die Patienten. Denn die normalen Betten im Krankenhaus von Stachanow sind uralt. Kopf- und Fußbereich können gar nicht oder nur schwer hochgestellt werden. Die neuen multifunktionalen Betten aus Thüringen sind im Gegensatz zu den alten Betten fahrbar. Auch das ist eine große Erleichterung für das medizinische Personal.

Weitere Hilfe sei sehr wünschenswert, sagt der Arzt. Besonders brauche man Apparate für die künstliche Beatmung der Lungen, Monitore und Defibrillatoren. Man habe diese Geräte. Die seien aber schon zehn Jahre alt und damit an der Grenze ihrer Nutzungsdauer.

Die Initiative aus Jena hat in den letzten zwei Jahren nicht nur gebrauchte Krankenhausbetten, sondern auch Nachttische, gynäkologische Stühle, Operationstische, Frühchen-Brutkästen, Verbandsmaterial, und Sanitär-Technik zu Krankenhäusern in Lugansk, Perwomajsk und Stachanow geschickt.

Das Außenministerium will die Hilfe nicht an die große Glocke hängen

Es sind die kleinen privaten Organisationen, die dafür sorgen, dass das Ansehen Deutschlands in Lugansk und Donezk etwas aufgebessert wird. Doch das deutsche Außenministerium hat keinen Mut die humanitäre Hilfe aus Thüringen öffentlich zu unterstützen.

Raissa Steinigk berichtet, sie sei vom deutschen Außenministerium angerufen worden. Man habe ihr gesagt, dass sich die ukrainische Botschaft beim deutschen Außenministerium beschwert hat. Bei dem Anruf aus dem deutschen Außenministerium habe man ihr gesagt, das, was die Initiative aus Jena tue, sei "illegal". Insgesamt sei das Telefon-Gespräch mit dem Außenministerium in Berlin aber gut gewesen, sagt Steinigk im Skype-Gespräch mit RT deutsch. Man habe ihr gesagt, dass sie "das Leben der medizinischen Geräte verlängern soll".

CDU-Abgeordneter will lieber das Baltikum unterstützen

Jeder Transport mit einem Zwanzig-Tonner von Jena nach Lugansk kostet 4.000 Euro. 25.000 Euro an Spenden zur Finanzierung der Transporte wurden vom Aktionsbündnis in Jena schon gesammelt. Um die humanitäre Aktion bekannter zu machen, hat Frau Steinigk Thüringer Bundestagsabgeordnete angeschrieben.

Doch Niemand machte eine Hilfszusage. Einige Bundestagsabgeordnete hätten ihr ungeschminkt erklärt, sie würden die Hilfsaktion nach Lugansk nicht unterstützen, da Russland der Urheber des Krieges im Donbass sei. Andere Abgeordnete reagierten mit Ausflüchten.

In ihrem Brief an den Thüringer CDU-Bundestagsabgeordnete Albert Weiler bat Raissa Steinigk nicht nur um Unterstützung. Sie äußerte auch Kritik. "Wir, das Aktionsbündnis 'Zukunft Donbass' und die Mitstreiter sind satt über Lippenbekenntnisse und die 'Unmacht' der deutschen Politiker und freuen uns über die wachsenden Aktivitäten der Kirche in Deutschland."

Weiler reagierte verärgert. Er antwortete Steinigk: "In Ihrem Schreiben vom 23. Januar 2017 treffen Sie widersprüchliche Aussagen. Auf der einen Seite üben Sie scharfe Kritik an den politisch Verantwortlichen. Andererseits stellen Sie mit Nachdruck Forderungen an mich und meine Kollegen. Ich möchte Sie daher darauf hinweisen, dass ich in dieser Region nicht untätig bin. Ich leiste einen Beitrag zum Friedenserhalt im Baltikum und Osteuropa und werde mich auch in Zukunft weiter stark für die Verbesserung der dortigen Situation einsetzen." Worin dieser "Beitrag zum Friedenserhalt" besteht, schrieb Weiler nicht.

Christian Hirte, ebenfalls CDU-Bundestagsabgeordneter aus Thüringen, antwortete auf die Unterstützungs-Anfrage der Initiative aus Jena: "Leider kann ich nicht überall - auch wenn ich die Arbeit und das Ansinnen mit großem Respekt betrachte - eingreifen." Der Abgeordnete versprach die Anfrage an den Kollegen Karl-Georg Wellmann, Leiter der Deutsch-Ukrainischen Parlamentariergruppe, weiterzugeben.

Doch von Wellmann hat Raissa Steinigk seitdem nichts gehört. Wellmann ist gegenüber Russland als Hardliner bekannt und vermutlich ist ihm die Initiative aus Jena suspekt. Im ZDF-Morgenmagazin bezeichnete der Abgeordnete die "Separatisten" in Lugansk und Donezk im Februar 2015 als "Werkzeuge der Russen". Es gäbe einen "permanenten Zufluss von Munition, von Waffen, von Kämpfern, von Logistik aus Russland."

Auch Rot-Rot-Grün in Thüringen schweigt

Am 24. April 2017 schrieb Raissa Steinigk alle Abgeordneten des Thüringer Landtags, auch Ministerpräsident Bodo Ramelow an. Keiner der Abgeordneten habe geantwortet, sagt Steinigk. Gibt es in der Partei Die Linke eine Zurückhaltung, wenn es um die international nicht anerkannten Volksrepubliken gibt? Hat man Angst von der Mainstream-Presse als "Russland-Unterstützer" an den Pranger gestellt zu werden? Diese Fragen drängen sich auf.

Die Oppositionspartei Die Linke verhält sich merkwürdig zurückhaltend gegenüber den "Volksrepubliken". Die bekannten Politiker der Linken wagen sich nicht, die Menschen in den Volksrepubliken zu unterstützen. Die beiden Abgeordneten Wolfgang Gehrke und Andrej Hunko sind eine Ausnahme. Im Februar 2015 begleiteten die beiden Abgeordneten eine mit 140.000 Euro Spendengeld finanzierte Medikamenten-Lieferung für ein Kinderkrankenhaus in der Stadt Gorlowka ("Volksrepublik Donezk). Daraufhin verhängten die ukrainischen Behörden gegen Hunko ein Einreiseverbot. Ende September 2017 besuchte Gehrke Donezk und Gorlowka erneut. Er fuhr über Russland in die "Volksrepublik Donezk", denn wie Hunko steht Gehrke auf der Schwarzen Liste der Ukraine und darf in das mit der EU assoziierte Land nicht einreisen.

Das Außenministerium in Berlin protestierte nicht gegen diese Einreiseverbote. Auch gegen die Ukraine-Einreiseverbote gegen zwei deutsche Journalisten (mich selbst und Saadi Isakow aus Berlin) gab es vom deutschen Außenministerium weder eine Bewertung, geschweige denn Protest. Die damalige Sprecherin des Bundesaußenministers, Sawsan Chebli, schrieb dem Autor dieser Zeilen im August 2016 ohne weiteren Kommentar, meine Reise nach Donezk 2015 stelle einen "Verstoß gegen ukrainische Gesetze" dar. Das Einreiseverbot gegen mich sei eine Reaktion auf meine Reise nach Donezk.

Wassernotstand in Krankenhäusern

Die humanitäre Lage in den international nicht anerkannten Volksrepubliken ist katastrophal. Viele Städte in der "Volksrepublik Lugansk", die noch an der ukrainischen Wasserversorgung angeschlossen sind, bekommen nur stundenweise Wasser, so auch das Krankenhaus in der nur drei Kilometer von der Demarkationslinie zur Ukraine entfernten Stadt Perwomajsk, welches schon mehrmals Hilfe aus Jena bekam.

Raissa Steinigk will nun ein neues Projekt starten und Notstromgeneratoren aus Deutschland, die nur wenig gelaufen sind, aber ausgemustert wurden, nach Lugansk schaffen. Auch die Lieferung einer Hebebühne für die Erste-Hilfe-Station in der Stadt Lugansk ist geplant. Die Bühne soll die Wartung und Reparatur von Erste-Hilfe-Fahrzeugen erleichtern. Weiter plant Steinigk für das Kinderheim Nr. 1 in der Krupskaja Pereulok Nr. 17 in Lugansk einen kreativen Raum zu organisieren. Im wesentlich geht es um die Beschaffung von Computern und einer Foto-Ausrüstung.

Wenn für das offizielle Deutschland die Gebiete Lugansk und Donetzk nach wie vor Territorium der Ukraine sind, dann müssten deutsche Hilfsorganisationen und Parteien den Menschen in diesen Gebieten eigentlich helfen. Wenn Deutschland nicht hilft, wird die Verantwortung für die soziale Lage in diesen Gebieten faktisch Russland zugeschoben, ohne die Hilfe Russlands aber öffentlich zu würdigen.

Deutschen Medien und die Politik in Deutschland haben sich, indem sie das Schicksal der Menschen in Lugansk und Donezk ausblenden, in eine moralische Sackgasse manövriert. Und es ist liegt auf der Hand, dass dieses Verhalten das Ansehen Deutschlands nicht nur in Donezk und Lugansk, sondern überall dort schädigt, wo Russen und Russland-freundliche Ukrainer leben. Das sollte jeder bedenken, der sich darüber entrüstet, dass viele Russen in Deutschland AfD wählen. (Ulrich Heyden)

veröffentlicht in Telepolis

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