Ulrich Heyden (Moskau) im Gespräch über den Besuch von Annalena Baerbock in Moskau, die Stimmung in Russland, die Lage in den „Volksrepubliken“ und die Wirren in der Ukraine.
Unsere Außenministerin Annalena Baerbock war bei ihrem Antrittsbesuch in Russland beim Außenminister Lawrow. Der gilt ja so ein bisschen schwierig und auch als jemand, der gerne mal jemand vorführt, was er etwa mit dem EU-Außenbeauftragten Borrell gemacht hatte. Aber dieses Mal schien alles in ordentlichen Bahnen verlaufen zu sein. Die beiden wirkten nicht sehr glücklich miteinander, aber offenbar gab es einigermaßen normale Beziehungen. Aber es kam auch nichts heraus dabei, oder?
Ulrich Heyden: Rein psychologisch war das protokollarische Treffen am Anfang seltsam. So etwas habe ich noch nicht gesehen. Da saßen sich zwei Menschen gegenüber, die versteinerte Gesichter hatten, es gab keine emotionale Regung, kein Lächeln, kein Kopfnicken, absolut nichts. Ich hatte schon das Gefühl, dass Lawrow vermutlich sagte: Das ist eine Zumutung, mit dieser Frau hier zu sitzen, die nimmt er nicht ernst. Das war meine Interpretation. Baerbock dachte vielleicht, sie sitzt dem russischen Bären gegenüber. Viele finden sie in Deutschland vermutlich sehr mutig, dass sie mit einem so erfahrenen Diplomaten zusammentrifft, vielleicht wird sie sogar bedauert.
Aber dann war die Pressekonferenz und dann war das schon merkwürdig. Erst diese Konfrontation durch die Blicke, aber dann hat Lawrow erstaunlich zurückhaltend gesprochen. Es wurden alle möglichen Themen angesprochen, aber es wurden keine neuen Ideen präsentiert, man ging nicht aufeinander zu oder kam zu einer Vereinbarung. Die Themen wurden nur in den Raum geworfen. Baerbock sprach beispielsweise über das Normandie-Format, das wiederbelebt werden müsste. Das wurde dann auch in deutschen Medien gleich aufgegriffen, dass sie versucht, auf dem diplomatischen Wege etwas zu erreichen, aber es wurde verschwiegen, dass Lawrow dazu gesagt hat, solange Kiew keinen Schritt voran macht und die „Volksrepubliken“ mit an den Tisch holt, um das Minsker Abkommen umzusetzen, was ja auch dort verlangt wird ist, wird es kein Treffen mit uns geben. Irgendwie ist das ein Taschenspielertrick. Baerbock fährt nach Moskau, redet ein bisschen über das Minsker Abkommen und dann zitieren die deutschen Medien sie, als habe sie sich um Friedenspolitik bemüht. Das ist einfach unlauter. Also, man klammert die russische Position aus, dass ein Treffen zurzeit keinen Sinn macht. Und warum es keinen Sinn hat, wird auch nicht erzählt.
Baerbock hat auch kurz etwas zu Nawalny gesagt, aber nur, dass es den internationalen Menschenrechtsgesetzen widerspricht. Weiter ist sie gar nicht darauf eingegangen. Es wurden keinerlei Ultimaten oder Forderungen gestellt. Aber dann sagte sie noch so irre Sachen, wie gut doch die Beziehungen zwischen Russland und Deutschland auf dem kulturellen Gebiet seien. Es würden doch so viele Russen Deutsch lernen, und es würden doch so viele russische Jugendliche in Deutschland studieren. Da hatte man das Gefühl, sie spricht wie eine sozialdemokratische Politikerin.
Der russische Außenminister beim Treffen mit Baerbock: versteinert. Bild: Russisches Außenministerium
Es war eher die Bemühung, überhaupt eine Dialogebene zu finden.
Ulrich Heyden: Ich weiß nicht, welches Ziel die beiden hatten. Ich kann nur vermuten, dass Lawrow mit Deutschland keinen Streit will und bis zum Letztem gute Miene zum bösen Spiel macht. Und Baerbock hat wahrscheinlich kein grünes Licht gekriegt für irgendwelche frechen oder harten Töne. Sie musste das einfach in so einem Format, wie es wahrscheinlich auch ihr Vorgänger gemacht hat, durchziehen. Von daher war das Gesamtergebnis relativ friedlich, sag ich mal. Aber es war wie jeder, der die Vorgeschichte und den scharfen Ton wegen den Mordvorwürfen im Tiergarten und den Anschlägen auf Skripal und Nawalny kennt, eigenartig. Das müsste irgendwie diplomatisch gelöst werden, aber es wurde nicht angesprochen, zumindest nicht öffentlich. Und das erweckte den Eindruck, dass es ein falsches Spiel war.
Zumindest ein diplomatisches Spiel. Immerhin hatte sie beim Besuch in der Ukraine definitiv abgelehnt, dass das Deutschland Waffen liefert. Es gab ja eine ziemliche Kritik an Deutschland, das unterlassene Hilfeleistung begangen habe, weil es Waffenlieferungen an die Ukraine von der NATO blockiert habe. Da war doch die Positionierung ziemlich eindeutig. Aber es überraschte eben auch, was man vorher nicht von einer grünen Außenministerin vermutet hätte, dass sie in Moskau so zurückhaltend war.
Ulrich Heyden: Russischen Medien haben heute berichtet, dass gestern ein englisches Militärflugzeug in Kiew gelandet sei und neue Panzerabwehrwaffen ausgeladen hat. Der britische Verteidigungsminister hat Schoigu nach London eingeladen, aber in seiner Rede, die im russischen Fernsehen übertragen wurde, Russland in den schärfsten Tönen angeklagt.
Die baltischen Länder wollen auch Waffen an die Ukraine liefern. Man hat den Eindruck, dass sie daran interessiert sind, die Lage weiter zu eskalieren. Russland spielt aber auch mit und hat ein großes Manöver im südlichen und westlichen Teil von Weißrussland an der Grenze zur Ukraine angekündigt. Das ist natürlich auch eine Demonstration. Man kritisiert, dass die ukrainische Nationalgarde an der Grenze zu Weißrussland stationiert sei und auch in Polen und in den baltischen Ländern Truppenkonzentrationen an der Grenze stationiert seien. Man müsse sich deswegen darauf vorbereiten, dass hier etwas drohen könnte. Aber wenn man jetzt mal weggeht von der großen Politik: Wie ist denn die Stimmung im Land, in den Medien? Nach einer aktuellen Umfrage wächst die Kriegsangst bei den Russen, sie ist deutlich höher als im letzten Jahr. Merkt man im Alltag, dass da schlechte Stimmung herrscht?
Ulrich Heyden: Im Alltag merkt man nichts. Das ist einfach schon seit Monaten ein Dauerzustand, dass es diese Verhärtung gibt. Eigentlich ist es seit dem Maidan vor sieben Jahren so. Was aber ganz deutlich ist, dass in den Medien harte Töne angeschschlagen werden. In einer Nachrichtensendung von Rossija 24, einem großen Nachrichtenkanal, den viele gucken, wird eine Stimmung vermittelt, dass der Krieg fast schon bevorsteht, weil die Gespräche mit den USA und der NATO praktisch nichts Konkretes gebracht haben. Die USA wollen weiter sprechen, aber Russland verlangt erst einmal schriftlich eine Antwort auf die Sicherheitsgarantien, die man vorgelegt hat. Und solange eine schriftliche Antwort nicht kommt, wird man auch nicht mit den USA weiter verhandeln. Das ist so ähnlich wie beim Normandie-Format, wo Moskau auch erst einmal einen Schritt in seine Richtung fordert, bevor wieder etwas weitergehen kann.
Das sieht wie eine totale Sackgasse aus. Und die Medienberichterstattung, vor allen im Fernsehen, ist schon sehr hart. Es werden alle dramatischen Vorgänge geschildert. Wenn die polnische Armee Verstärkung an die weißrussische Grenze bringt, sagt der russische Generalstab, dass man jetzt das Militärkommando von Weißrussland und Russland zusammenführt und es sich praktisch um eine Armee handelt. Dann wird Lukaschenko gezeigt, der sagt: Wir müssen damit rechnen, dass die Ukrainer Truppen an die Grenze verlegt haben, das ist für uns eine Bedrohung. Dann wird berichtet, dass Estland US-Truppen stationieren will. Der stellvertretende russische Außenminister wird zitiert, der vor zwei Tagen drohte, dass dann, wenn die USA Atomraketen oder andere Raketen in Polen oder in der Ukraine stationieren, dann werde man in Venezuela und Kuba Militär stationieren. Da ist eigentlich schon das Ende der Fahnenstange erreicht. Schlimmer kann es nicht werden.
Die Russen haben genug eigene Probleme mit ihrem täglichen Leben. Die Preise steigen, man ist froh, wenn man eine Arbeit hat und es ist ein schöner Winter. Wenn man auf die Straße geht, sieht es mit dem vielen Schnee wunderbar aus. Von einer Kriegsangst in Gesprächen bekomme ich zumindest nichts direkt mit. Aber die Umfragen sind alarmierend. Nach der jüngsten Umfrage des Levada-Zentrums haben 56 Prozent der Russen Angst vor einem Weltkrieg. Das ist der zweithöchste Wert von allen Ängsten der Russen, an der ersten Stelle steht Angst vor Krankheit von Verwandten und Kindern. Bei Statista habe ich eine Umfrage gefunden, nach der die Angst vor einem Krieg mit deutscher Beteiligung an 20. Stelle bei ungefähr 16 Prozent steht. Das liegt sehr weit auseinander.
Deutschland ist nicht so hochgerüstet militärisch. Das ist schon ein Unterschied zu Russland oder zur USA, die einfach Militärstaaten sind, wo das Militär eine ganz selbstverständliche Komponente ist. Vielleicht hat man auch das Gefühl, dass man dann doch ein Stück weg ist und der Konflikt uns nicht so arg betrifft.
Ulrich Heyden: Das war aber 2014 anders. Als der Donbass-Krieg stattfand, hatte ich das Gefühl, dass die Deutschen echt Angst hatten. Viele Menschen waren emotional sehr aufgewühlt. Jetzt sollen diese 100.000 russischen Soldaten an der Grenze stehen, niemand hat sie genau gesehen. Aber Peskow, der Sprecher des Präsidenten, hat gestern das erste Mal bestätigt, dass Russland Truppen an der Grenze hat. Wo genau, hat er nicht gesagt. Das müsse sein, weil die Bedrohung aus der Ukraine durch die NATO größer wird, die auch schwere Waffen in die Ukraine transportiere. Welche hat er nicht gesagt. Kampfflugzeuge und Drohnen würden im Grenzbereich fliegen. So hat er begründet, dass diese russischen Truppen vor der Grenze sind. Ich habe noch nie gehört, dass er das so konkret sagt. Peskow tritt normalerweise immer zu diplomatischen Themen auf, dass er sich zu militärpolitischen Fragen äußert, ist eher selten. Das machen eher der Verteidigungsminister, der Generalstabschef oder auch Putin.
Wie ist denn die Situation in den beiden „Volksrepubliken“? Darüber spricht man ja praktisch überhaupt nicht. Die wären wahrscheinlich doch am ehesten betroffen, wenn es zu einem Konflikt kommt.
Ulrich Heyden: In deutschen und amerikanischen Medien wurde ja berichtet, dass die Russen mit Saboteuren eine Provokation vorbereiten würden. Das wäre dann ein Vorwand, um in die Ukraine einzufallen.
Russland hat ähnliches auch schon gesagt. In die Ostukraine seien chemische Substanzen geliefert worden, mit denen man einen Anschlag vorbereiten könne, der dann den Russen in die Schuhe geschoben werden soll. Es herrscht Kriegsstimmung mit der entsprechenden Propaganda.
Ulrich Heyden: Dazu kommt noch eine Meldung, dass die New York Times berichtet hat, dass russische Botschaftsangehörige aus Kiew und Lwow evakuiert worden sein sollen. Und Kanada soll, was das russische Fernsehen groß hervorgehoben hat, Eliteeinheiten in die Ukraine schicken, um bei der Evakuierung von kanadischen Botschaftangehörigen zu helfen. Man will ein Bild erzeugen will, dass die Russen kommen und die Kinder und Frauen der Botschaftsangehörigen schon evakuiert werden.
Die Ukraine hat das nicht bestätigt. Das Außenministerium sagte, man habe keine Informationen dazu, auch nicht von anderen Botschaften. Die Botschaft und die Konsulate in Russland würden ganz normal arbeiten. Ich glaube, das war wieder so ein Versuch, Stimmung zu erzeugen. Das stand auch in dem Kontext mit der Truppenübungen, die Weißrussland und Russland angekündigt haben. Da muss anscheinend immer etwas entgegengesetzt werden. Die amerikanischen Medien machen das gerne, dass sie angebliche Informationen von anonymen Informanten, die wahrscheinlich oft von den Geheimdiensten stammen, als Exklusivmeldungen verbreiten, um eine Stimmung zu erzeugen.
Zu deiner Frage mit den Volksrepubliken. Was ist da eigentlich los? Dazu kann ich nichts Konkretes sagen. Ich habe mich gerade mit einem Kollegen getroffen, einem Filmregisseur aus Deutschland, der jetzt in Donezk war und einen Film drehen will. Er hat berichtet, dass er nichts Sensationelles gesehen habe, nur sei er bei der Einreise extrem scharf kontrolliert worden. Es gab ein langes Verhör über mehrere Stunden, obwohl er mit seinem Film über den Donbass eigentlich die Informationsblockade in Deutschland brechen will.
Die Menschen dort sind, was ich aus anderen Interviews weiß, abgehärtet, und sie wissen, dass Russland, wie das Putin im letzten Jahr schon selber gesagt hat, dass die russische Armee eingreifen würde, wenn es Anzeichen dafür gibt, dass der Donbass von der ukrainischen Armee angegriffen wird. Das ist wahrscheinlich die Hoffnung der Menschen, obwohl natürlich ein solches Eingreifen auch wieder verbunden mit Tod und Zerstörung ist. Ganz klar, ich meine, ich meine und das wird natürlich sollte es wirklich dazu kommen, wird es so? Die Menschen werden, sobald sie das Gefühl haben, dass sich die Lage zuspitzt, ihre Kinder nach Russland evakuieren. So war das zumindest vor 7 Jahren.
Findet jetzt schon eine Bewegung aus den „Volksrepubliken“ nach Russland statt, versuchen mehr Menschen nach Russland zu kommen?
Ulrich Heyden: Es gibt viele Männer, die in Russland arbeiten und hin und her fahren, oder Menschen, die in Rostow einkaufen. Es gibt schon einen Grenzverkehr, die Menschen haben nicht das Gefühl, dass sie eingekesselt sind. Sie wollen da nicht weg, weil ihre Kinder zur Schule gehen, weil sie eine Arbeit haben im Bergwerk oder in Fabriken. Die Familienbeziehungen spielen natürlich eine große Rolle. Eine Familie mit mehreren Generationen kann man nicht auf einmal evakuieren. Man muss ältere Menschen versorgen. Und so bleibt man. Es gibt also keinerlei Bewegung, zumindest habe ich nichts davon mitbekommen. Sollte es das geben, kann ich mir aber auch nicht vorstellen, dass die russische Medien darüber groß berichten würden, weil Russland natürlich daran interessiert ist, dass die Menschen dort bleiben.
Gibt es Berichte, dass neuere Waffensysteme in den Donbass gekommen sind?
Ulrich Heyden: Nein, dass überhaupt Waffensysteme aus Russland in den Donbass kommen, ist von russischer Seite noch nie bestätigt worden oder auch nur angesprochen worden. Die Rede davon, dass russische Truppen den Donbass besetzt haben, wird von Russland von Anfang an bestritten.
Das muss ja nicht stimmen. Russland kann das bestreiten, aber es findet doch irgendeine Art von militärischer Hilfe statt. Meinst du nicht?
Ulrich Heyden: Bestimmt werden Kader und Militärangehörige, die vielleicht auf Urlaub sind, als Berater, Instrukteure oder Organisatoren eine Rolle spielen. Natürlich wird es auch eine Abstimmung zwischen den Volksrepubliken und Russland geben. 2014, als Igor Strelkow, der den Kampf um Slawjansk führte, als Verteidigungsminister der Volksrepublik Donezk abgesetzt wurde, war es klar, dass dies auf Druck von Moskau geschah, weil der für den Kreml einfach zu radikal war. Der Kreml hat dafür gesorgt, was er freilich nie bestätigt hat, dass die spontan sich bildenden Bataillone zu einer Volkspolizei zusammengeschlossen und einem zentralen Kommando unterstellt wurden. Vor sieben Jahren war die Situation noch chaotisch.
Jetzt ist es für Journalisten fast unmöglich überhaupt an die Front zu kommen. Sogar russische Journalisten werden da nicht gerne gesehen, sie müssen das hundertprozentige Vertrauen der Volkspolizei von Lugansk und Donezk genießen, weil man natürlich Angst vor Verrat hat. Das ist eine Hochsicherheitszone, wer da reinfährt, wird zehnmal kontrolliert am Eingang und auch beim Ausgang. Das kann man auch verstehen, denn die Weltgeschichte scheint zurzeit von diesem Gebiet abzuhängen
Aber von neuen Waffen weiß ich nichts. Auch von russischen Liberalen, die so etwas gerne verfolgen, habe ich dazu nichts gehört. Im Frühjahr letzten Jahres gab es eine Website, wo sie Videos über Militärtransporte Richtung Ukraine ins Netz gestellt haben. Vermutlich wird aber jetzt auch strenger kontrolliert, welche Bilder ins Netz gestellt werden.
Abschlussfrage. In der Ukraine ist gerade das Sprachengesetz in Kraft getreten, mit dem Russisch weitgehend aus der Ukraine verbannt werden soll. Die Ukrainer sind jetzt verpflichtet, auch Ukrainisch sprechen zu können.Printmedien müssen auch in ukrainischer Sprache in gleicher Auflage und gleichem Umfang erscheinen und Ähnliches. Wie kommt denn das in Russland an?
Ulrich Heyden: Das ist eigentlich schon Schnee von gestern. Die Anti Maidan-Bewegung, die 2014 im Südosten der Ukraine entstand, in Odessa, Charkow, Donezk und Lugansk, entzündete sich daran, dass der Übergangspräsident Turtschninow nach dem Sturz von Janukowitsch anordnete, die Vorrechte für die russische Sprache abzuschaffen. In den Gebieten, in denen Russen lebten, war die russische Sprache der ukrainischen gleichgestellt als offizielle Sprache. Das wurde abgeschafft. Dann haben die westlichen Botschafter vermutlich Druck auf die neue ukrainische Regierung ausgeübt, woraufhin die Anordnung wieder zurückgenommen wurden. Aber es wurde daran weiter gearbeitet und schließlich die neuen Sprachengesetze vorgelegt, die zum großen Teil Anfang letzten Jahres schon in Kraft getreten sind.
Die Russen sagen, dass ihre Kultur vernichtet wird, dass die verwandtschaftlichen Beziehungen unmöglich gemacht werden. Für russische Männer, die in die Ukraine fahren, ist es schon gefährlich. Sie kommen oft gar nicht rein, weil sie als potenzielle Freischärler von den ukrainischen Diensten angesehen werden. Für die Russen ist das sehr schmerzhaft, aber sie zeigen den Schmerz nicht. Das äußert sich eher in Bitterkeit und einem schwarzen Humor, wo man dann gerne kleine Videoschnipsel über Versprecher oder Unfähigkeiten verbreitet, wenn etwa Klitschko, der Bürgermeister von Kiew, bei einer Neujahrsfeuer sagt: „Ich begrüße alle zum neuen Jahr 2021.“ Oder es gibt den Prozess wegen Landesverrat gegen Poroschenko, der gerade aus Polen wieder zurückgekommen ist, sich dem Gericht gestellt hat und jetzt einen neuen Maidan gegen den Präsidenten Selenskij organisieren will, weil der angeblich ein Verräter ist und nach Moskau gehen soll. Diese irrationalen ukrainischen Vorfälle sorgen für ein bitteres Lachen.
Daran zeigt sich, dass die Ukraine kein zuverlässiger Partner ist. Oligarchen kämpfen in der Ukraine um ihre Vormacht, Selenskij, verbandelt mit Kolomoisky, ist ein Teil davon. Das wird aber von westlicher Seite nicht angesprochen, man stellt sich unkritisch hinter die Ukraine. Das war auch gestern wieder so, als Baerbock in Kiew war.
Ulrich Heyden: Der Streit zwischen Poroschenko und Selenskij ist so irrational, das kann man einem Deutschen kaum erklären. Selenskij trat in den letzten zwei Jahren selbst als Falke und als harter Forderer gegen Russland auf. Die Justiz wirft Poroschenko vor, dass er ein Landesverräter ist, weil er angeblich Kohle aus den „Volksrepubliken“ eingekauft hat oder das von ihm gebilligt wurde. Die künstliche Trennung von den „Volksrepubliken“ ist abstrus und ökonomisch auch kaum durchzuhalten, weil die sich gegenseitig brauchen. Kohle ist für die Ukraine lebenswichtig. Das Irrationale der ukrainischen innenpolitischen Situation ist einem normalen Deutschen eigentlich nicht zu vermitteln, weil man sich natürlich fragt, wen man da unterstützt hat und was daraus noch werden soll.
Eine Stabilisierung ist nicht sichtbar, im Gegenteil, es ist ein failed state oder geht immer mehr in diese Richtung. Zurzeit gibt es eben zwei Radikale, die gegeneinander kämpfen und beide befinden sich unter der Obhut der USA. Präsident Selenskij tritt im Härtetest gegen Russland auf, Ex-Präsident Poroschenko versucht noch härter aufzutreten. Man hat den Eindruck, dass der soziale Unmut, der aufgrund der Sparmaßnahmen in der Ukraine entstehen könnte, von diesen Populisten aufgesaugt wird. Zuvor hat das Saakaschwili gemacht, davor gab es den Rechtspopulisten Oleh Ljaschkow, jetzt ist es Poroschenko.
Mittlerweile ist praktisch alles Oppositionelle verboten. Auch darüber berichten die deutschen Medien ja nicht. Es wurden schon vier oppositionelle Fernsekanäle abgeschaltet. Es gibt eine sehr gute Nachrichtenseite Strana.ua, deren Chefredakteur seit 2018 in Wien lebt. Er musste fliehen, weil gegen ihn ein Verfahren lief. Strana wurde letztes Jahr in der Ukraine durch ein Dekret von Selenskij verboten. Es sind auch viele anderen Websites blockiert, auch wenn es Wege gibt, wie man über das Internet da noch hinkommt. Opposition in der Ukraine, die für Verständigung mit Russland, ist fast schon Staatsverbrechen.
veröffentlicht in: Krass und Konkret