Kein deutscher Atommüll mehr nach Russland
Von Ulrich Heyden, SZ-Korrespondent in Moskau
Angesichts westlicher Fernseh-Berichte, nach denen Atommüll aus Frankreich und Deutschland in Westsibirien unter freiem Himmel in rostenden Fässern gelagert wird, gibt sich Russlands Atomkonzern Rosatom unbeeindruckt. „Das abgereicherte Uranhexafluorid aus Deutschland ist nach Angaben der Internationalen Atomenergie-Behörde kein Atommüll,“ erklärte der Sprecher von Rosatom, Sergej Nowikow, gegenüber der SZ. Es handele sich um einen „Wertstoff“, da das Material wiederaufbereitet werden könne.
Im Übrigen seien die Fässer „absolut sicher“ und würden „80 bis 100 Jahre“ halten. Außerdem entspreche die Lagerung von abgereichertem Uranhexafluorid unter freiem Himmel internationalen Standards.
Der Rosatom-Sprecher legte der SZ Luftaufnahmen von ähnlichen Frei-Luft-Lagerstätten in Paducah (USA) und Capenhurst (Großbritanien) vor. Allein in dem Lager Paducah würden 28000 Container mit abgereichertem Uran unter freiem Himmel gelagert, so Nowikow.
Wie durch einen Bericht des deutsch-französischen Fernsehkanals arte und andere Fernsehberichte bekannt wurde, lagern auf dem Gelände von Wiederaufbereitungsanlagen in den westsibirischen Städten Angarsk und Sewersk rostige Fässer mit abgereicherten Uranhexafluorid aus Frankreich und Deutschland. Dieses Uranhexafluorid entsteht bei der Herstellung von Brennstäben für Kernkraftwerke.
Durch die Fernsehberichte wurde erst jetzt einer breiten Öffentlichkeit in Deutschland bekannt, wogegen russische Umweltschützer schon seit Jahren kämpfen: Dass Deutschland und Frankreich ihren Atommüll in Russland endlagern. Denn nur schlappe 15 Prozent des in Russland abgereicherten Materials aus Deutschland kommen auch tatsächlich zurück.
Proteste in St. Petersburg
Wladimir Slivjak von der russischen Umweltschutzorganisation Ecodefence berichtet, dass im Frühjahr 500 Menschen an einer Protest-Aktion in St. Petersburg teilgenommen haben. In der Newa-Stadt war es schon häufiger zu Aktionen von Umweltschützern gekommen, weil dort die Container mit abgereichertem Brennstoff aus Deutschland vom Schiff auf die Schiene verladen werden.
Wie jetzt durch Medienbekannt wurde, hat die im westfälischen Gronau ansässige Firma Urenco seit 1996 bereits rund 27300 Tonnen abgereichertes Uranhexafluorid über den Schienenweg zu einer Wiederaufbereitungsanlage im russischen Angarsk transportieren lassen. Die Stadt liegt nicht weit vom Baikal-See entfernt.
Urenco ist die einzige deutsche Urananreicherungsanlage und nimmt damit in Deutschland eine Schlüsselstellung bei der Herstellung von Kernbrennstoff ein. Die Firma gehört dem britischen und niederländischen Staat sowie den Energiekonzernen RWE und Eon.
Der Vertrag zwischen der Urenco und Rosatom über die Wiederaufbereitung deutschen Atommülls ist in diesem Jahr ausgelaufen. Ab nächstem Jahr will Russland keine derartigen Verträge mehr abschließen. Die vier russischen Wiederaufbereitungsanlagen im Ural und in Westsibirien seien mit Aufträgen aus russischen Atomanlagen ausreichend ausgelastet. Das Ende der Wiederaufbereitung von abgereichertem Uranhexafluorid aus Europa sei kein Erfolg der Umweltschützer, sondern hänge ausschließlich mit dem Auslaufen der Verträge zusammen, so Nowikow.
Wenn das abgereicherte Uranhexafluorid so ungefährlich ist, wie Rosatom behauptet, „warum ziehen die Deutschen es dann vor, ihr Uran zur Wiederaufbereitung nach Russland zu schicken?“, fragt die konservative Moskauer Nesawisimaja Gaseta. Weil die russischen Zentrifugen mehr Isotope aus Natur-Uran gewinnen können, antwortet Nowikow.
Denn während die Urenco-Zentrifugen in Deutschland aus Natur-Uran nur 0,38 Prozent des für Kernbrennstoff nötigen Isotops U-235 gewinnen, holen russischen Zentrifugen zwei Prozent mehr U-235 heraus. „Unsere Zentrifugen sind wesentlich besser“, so Nowikow.
Bessere Geldquellen
Umweltaktivist Slivjak meint hingegen, für Russland sei das Geschäft mit jährlich nur 200 Millionen Dollar unrentabel. Wesentlich mehr Geld verdiene man mit dem Verkauf von Kernbrennstoff und Atomkraftwerken. Zur Zeit ist Rosatom an dem Bau von sieben russischen und fünf Atomkraftwerken im Ausland (Iran, Indien, Bulgarien) beteiligt. Allein ein Block eines im Bau befindlichen Atomkraftwerkes in Bulgarien hat ein Auftragsvolumen von zwei Milliarden Dollar.
"Sächsische Zeitung"