16. April 2012

Kreml im Gegenwind

Vereint gegen Wladimir Putin: Mit ungebrochenem Kampfgeist protestiert die russische Opposition gegen den gewählten Präsidenten. Linke, Rechte, Liberale – die verschiedensten politischen Strömungen zeigen gemeinsam Flagge.

„Wir werden kämpfen, wir werden den Kreml nicht den Selbsternannten überlassen“, ruft Sergej Udalzow, einer der Organisatoren, der jubelnden Menge zu. Die Antwort kommt in lauten Sprechchören: „Russland ohne Putin“ und „Putin ist ein Dieb“.

Wenn Wladimir Putin am 7. Mai seine dritte Präsidentschaft antritt, wird er sich dem Volk gegenüber anders verhalten müssen, als er dies in seinen vorherigen Zeiten als Kreml-Machthaber gewohnt war. Die Menschen sind kritischer geworden – dank Internet und Protestbewegung. Putin muss sich mehr auf einen Dialog mit der Bevölkerung einlassen und zeigen, dass er auch zuhören kann.

In Moskau ist die Opposition zwar zurzeit vergleichsweise ruhig, doch die Proteste können jederzeit wieder aufflammen. Ein unbedachter Schritt der Staatsführung – wie im September 2011, als Putin und Medwedew ihren Ämtertausch bekannt gaben – oder eine plötzliche Verschlechterung der Wirtschaftslage, kann in Moskau zu neuen Großdemonstrationen führen.

Mit einer Staatsverschuldung von nur zehn Prozent und einem Wachstum von beachtlichen 4,3 Prozent steht Russland zwar im internationalen Vergleich nicht schlecht da, doch ob Russland weiter wie bisher mit Gas und Öl Geld verdienen kann, ist angesichts der Schuldenkrise in Europa ungewiss. Wenn der Ölpreis von zur Zeit 120 Dollar pro Barrel auf unter 80 Dollar sinkt, wäre das ein Schock für Russland.

Wladimir Putin wurde vor allem gewählt, weil er die größten sozialen Probleme linderte, die Renten und Lehrergehälter erhöhte und die Vertrags-Soldaten und Polizisten besser bezahlte. Doch Russlands Grundproblem, der große und erschreckend stabile Abstand zwischen Reich und Arm, ist geblieben. Die Lösungsvorschläge, die Putin jetzt anbietet, sind die gleichen wie schon vor vier Jahren. Warum sich seitdem so wenig geändert hat, darüber spricht der Ministerpräsident wohlweislich nicht.

Wladimir Putin hat zwar den Plänen für eine Wahlrechtsreform zugestimmt. Gegenüber herausragenden Aktivisten der Protestbewegung für ehrliche Wahlen pflegt der Premier jedoch wie bisher einen unvermindert aggressiven Stil. Entweder er verdächtigt sie der Außensteuerung durch die USA – der klassische Reflex – oder er macht ihnen, wie jetzt den Teilnehmern am Hungerstreik im südrussischen Astrachan, Vorhaltungen, sie hätten sich nicht an die Gerichte gewandt. Der Premier zeigte angesichts des schon drei Wochen dauernden Hungerstreiks keinerlei Mitgefühl.

Mit seinem Eintreten für die Souveränität von Syrien kann Putin bei den Russen durchaus punkten. Militärische Unterstützung des Westens für die Rebellen – wie in Libyen – lehnt die übergroße Mehrheit der Bevölkerung als Verletzung der staatlichen Souveränität ab. Nur weil es eine starke Protestbewegung gibt, dürfe die Souveränität nicht verletzt werden, heißt es aus dem Kreml immer wieder. Der Tschetschenienkrieg und die Angst vor dem Zerfall Russland sind bei den Russen noch in frischer Erinnerung.

Während der Kreml beim Thema Syrien hart bleibt, zeigt er sich beim Thema Afghanistan dem Westen zugewandt. In der Duma verteidigte Putin die Einrichtung eines Transitflughafens für Nato-Flugzeuge, die in Afghanistan eingesetzt werden, nahe der Stadt Uljanowsk. Für Russland wäre es eine kleine Revolution, wenn Nato-Flugzeuge demnächst an der Wolga zwischenlanden.

veröffentlicht in: Südkurier

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