Kreml schränkt Demonstrationsrecht ein
Drakonische Geldstrafen für polizeilich festgestellte Ordnungswidrigkeiten und nicht genehmigte Proteste
ulrich heyden moskau (SN). Russlands Präsident Wladimir Putin hat am Freitag das neue umstrittene Versammlungsgesetz mit drakonischen Geldstrafen für Regierungsgegner unterzeichnet. Das Gesetz soll nach Auskunft offizieller Stellen spätestens am 12. Juni in Kraft treten.
An diesem Tag plant die Opposition eine neue Großdemonstration mit mehreren Zehntausend Teilnehmern gegen „das Regime“. Putin, der das neue Gesetz noch unterschreiben muss, ließ über seinen Sprecher Dmitrij Peskow mitteilen, dass er nur ein Gesetz unterschreibe, welches den „europäischen Normen“ entspreche. Kritiker wenden ein, dass die russische Justiz nicht unabhängig ist und Polizisten oft voreingenommen gegen Demonstranten sind.
Der Unternehmer Sergej Lisowski, Mitglied des russischen Föderationsrats, warnte während der Debatte im Oberhaus, die Polizei falle im Vergleich zu ihren Kollegen im Westen beim „Niveau der Entwicklung und der Kompetenz“ zurück. Die russischen Polizisten könnten somit heute „mehr Schaden anrichten als einige betrunkene Hooligans unter den Demonstranten“. Der Vorsitzende des vom Kreml eingesetzten Menschenrechtsrats beim Präsidenten, Michail Fedotow, erklärte, die Verschärfungen des Versammlungsrechts widersprächen der russischen Verfassung und internationalen Verpflichtungen, die Russland übernommen habe. Durch die neuen Gesetzesänderungen werde das Demonstrationsrecht derart eingeschränkt, dass das „nur zu einer Radikalisierung der Proteststimmung“ führen könne. Das Gesetz kriminalisiere Kremlgegner. Mehrere Mitglieder haben Putins Menschenrechtsrat aus Protest wieder verlassen. Darunter ist der prominente Politologe Fjodor Lukjanow, Chefredakteur der Zeitung „Russland in der globalen Politik“ („Rossija w globalnoi politike“). Die Zahl sank von 38 auf 27 Experten.
Das Gesetz sieht hohe Geldstrafen für die Teilnehmer (bis zu 7300 Euro) und Organisatoren (bis zu 25.000 Euro) nicht genehmigter Demonstrationen vor. Zudem werden die Strafen für Ordnungswidrigkeiten von zurzeit 25 bis 125 Euro drastisch erhöht. In Zukunft müssen Demonstranten bei einfachen Ordnungsverstößen bis zu 500 Euro zahlen oder 50 Stunden gemeinnützige Arbeit verrichten. Die Sperrung einer Straße wird in Zukunft mit 1250 Euro bestraft. Für die Beschädigung von fremdem Eigentum oder der Verletzung von Personen werden bis zu 7500 Euro Strafe in Aussicht gestellt. Angesichts der Tatsache, dass der Durchschnittslohn in Russland bei 650 Euro liegt, sind die Strafen existenzgefährdend.
Geldstrafen können in Zukunft auch gegen Personen verhängt werden, die im Internet oder über Radiosender zu sogenannten „Spaziergängen“ aufrufen. Diese neue Protestform praktiziert die russische Protestbewegung seit dem 7. Mai, dem Tag, an dem Wladimir Putin sein Amt als Präsident antrat. Weil an diesem Tag Demonstrationen in der Moskauer Innenstadt verboten waren, trafen sich Demonstranten zu unangemeldeten „Spaziergängen“ bei denen keine Parolen gerufen wurden.
Die Bürger sollten das Recht haben, frei ihre Meinung zu äußern, sagte Putin vor Richtern in St. Petersburg. Dies dürfe aber nicht zulasten anderer geschehen. Putin verlangte von den Gerichten, das neue Gesetz zu analysieren, und schloss mögliche Änderungen nicht aus. Außerdem unterzeichnete er einen Erlass über die Erhöhung der Richtereinkommen um sechs Prozent.
veröffentlich in: Salzburger Nachrichten