24. May 2023

Kriegsberichterstattung aus "Feindesland"

Zerstörter Panzer in Bachmut/Artjomowsk - Screenshot Ren TV
Foto: Zerstörter Panzer in Bachmut/Artjomowsk - Screenshot Ren TV

Wer heute als Russland-freundlicher Korrespondent aus Moskau berichtet – ich berichte seit 1992 - hat keinen Standortvorteil. Die Russland-„Berichterstattung“ wird zu wesentlichen Teilen abgedeckt von den Hunderten in Deutschland lebenden Redakteuren und „Russland-Experten“. Die meisten von ihnen haben einen akademischen Abschluss, einige haben Russland sogar schon mal bereist;) Doch die wenigsten haben in Russland oder der Ukraine länger gelebt.

Bis 2014 konnte ich aus Moskau – oft mit Schwierigkeiten, aber doch - für deutschsprachige Regional- und Wochenzeitungen berichten. Seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine im April 2014 ist alles anders. Wer aus Moskau oder dem Donbass berichtet, muss seine Distanz zu Putin unter Beweis stellen. Sonst wird der Artikel nicht genommen. Unter diesen Bedingungen verkümmert der klassische Journalismus, der davon lebte, beide Seiten darzustellen.

Erschreckt war ich, als ich vor wenigen Tagen selbst bei einem alternativen Medium, dem Internet-Portal Telepolis, mit einem Artikel-Angebot zu den Kämpfen in Bachmut/Arjomowsk auf Granit biss.

Für Telepolis berichtete ich seit 2011. Auf der Internet-Plattform konnte ich meine Berichte über den Brandanschlag auf das Gewerkschaftshaus in Odessa und zahlreiche Analysen und Reportagen aus dem Bürgerkrieg im Donbass veröffentlichen.

Seit 2021 hat Telepolis mit Harald Neuber einen neuen Chefredakteur. Unter dem neuen Chefredakteur veröffentliche ich auf Telepolis nur noch wenig. Am Sonntag den 21. Mai 2023, machte ich nochmal einen Versuch und bot einen Artikel über die Kämpfe in Bachmut/Artjomosk an. Der Chefredakteur äußerte Interesse. Ich bekam aber die Anweisung, „keine Quotes, keine Interpretation; reine Daten mit Links.“

Ich schrieb den Artikel. Er wurde aber nicht genommen. Stattdessen erschien am 23. Mai ein Artikel zum gleichen Thema vom Chefredakteur selbst. Nachdem ich nachgefragt hatte, was aus meinem Artikel geworden sei, schrieb mir Herr Neuber am 24. Mai, „so kann ich den Text nicht nehmen, tut mir leid.“ Ich hätte mich nicht an seine Anweisung gehalten, Fakten zusammenzutragen. Er monierte auch, dass ich Jefgeni Prigoschin als „Leiter der Sicherheitsfirma Wagner“ und nicht als „Söldnerunternehmer“ gekennzeichnet hatte.

Ich schrieb Herrn Neuber darauf heute folgenden Brief:

 

Hallo Herr Neuber,

ich fühle mich von Ihnen nicht gerecht behandelt. Denn wie kommt es, dass sie von mir fordern, dass ich mich in meinen Telepolis-Artikeln auf die Übermittlung von «Fakten» beschränke und auf Interpretationen und «qoutes» (Zitate) verzichte. Weil ich in «Feindesland» lebe und Telepolis gegenüber der russischen Politik eine klare Abgrenzung zeigen muss?

Warum darf ihr Russland-Experte Roland Bathon in seinen Texten für Telepolis ständig giftige Pfeile und unbewiesene Behauptungen gegen die russische und weißrussische Führung einbauen? Warum weisen sie ihn nicht an, nur über «Fakten» zu berichten?

Mein letzter, von Ihnen abgelehnter Artikel zum Sieg der Russen in Bachmut — ich habe ihn jetzt auf meiner Website veröffentlicht — ist meiner Meinung nach absolut ausgewogen. Ich gebe sowohl die russische als die ukrainische Einschätzung wieder. Klassischer Journalismus würde ich sagen. Aber das reicht Ihnen nicht.

 Ich finde Ihre Anordnung an mich, nur «Fakten» zu übermitteln, in Kriegszeiten auch ziemlich weltfremd. Denn es gibt in Kriegszeiten keine neutralen Fakten. Die Eroberung von Territorium, die Vorgeschichte und die Folgen sind etwas, was jede kriegsführende Seite unterschiedlich darstellt. Also lasse ich beide Seiten zu Wort kommen und der Leser kann selbst seine Schlüsse ziehen. Denn wer kann von uns schon selbst vor Ort sein?

Und wer kann schon von vor Ort von beiden Seiten berichten? All das ist in Kriegszeiten nicht möglich und wird auch von kleinen deutschen Medien nicht finanziert. Zumal alle westlichen Journalisten, die im Donbass waren, auf der ukrainischen Todesliste «Friedensbringer/Myrotworez» gelistet werden und deshalb nicht mehr in die Ukraine reisen können. Ich bin als Journalist also gezwungen, zu zitieren, aus den staatlich finanzierten Medien und Regierungsstellen der Ukraine und Russlands.  

Und was ist mit der Stimmung in einer Armee? Was ist mit dem Gefühl der Niederlage und dem Gefühl des Sieges? Meinen Sie, man könne darüber auch ausschließlich mit farblosen «Fakten» berichten? Oder muss man das weglassen, weil es emotional und nicht neutral ist?

Sie wollen, dass ich in meinen Texten Wörter wie «Sicherheitsfirma Wagner» streiche stattdessen «Wagner-Söldner» schreibe. Verstehen Sie denn nicht, dass Wörter Waffen sind? Warum soll ich Kampfbegriffe des kriegseilen deutschen Mainstreams übernehmen? Ich dachte, sie hätten begriffen, dass Russland ein Sicherheitsverständnis hat und der Westen ein Anderes.

Und überhaupt: Warum muss ich westlichen Kampfbegriffe benutzen für etwas, was sich in Russland abspielt?

Bei Ihrem Amtsantritt, Herr Neuber, kündigten Sie an, Telepolis nach Vorne zu bringen, indem das Medium «zitierfähiger» machen. Mir scheint, dieses Ziel führt unweigerlich zur Anpassung an den Mainstream, von dem Telepolis sich doch immer positiv absetzte. Allseits anerkannte Tatsachen, die von allen Seiten anerkannt werden, und «zitierfähig» sind, gibt es in Kriegszeiten nicht.

Telepolis nutzt die Lücke nicht, die andere Medien lassen, den Lesern einen Blick hinter «den eisernen Vorhang» zu ermöglichen, die Chance authentisch über etwas zu berichten, was Vielen im Westen vielleicht nicht gefällt, was aber für ein Gesamtbild über die Kriegssituation in der wir leben, unabdingbar ist.

Herr Neuber, Sie fordern von mir, ich solle auf Interpretationen verzichten, erlauben sich in Ihrem letzten Artikel über Bachmut aber folgenden merkwürdigen Satz: «Stattdessen werden die enttäuschten Hoffnungen der entsprechenden Journalisten und Redaktionen auf die angekündigte ukrainische Gegenoffensive projiziert, deren Erfolg dem geschundenen Land durchaus zu wünschen wäre.»

Ich bin erstaunt, dass sie sich unverblümt hinter die Kiewer Regierung stellen, welche die Bevölkerung  im Donbass seit 2014 bis heute bombardiert, die Opposition verbietet und verfolgt und rechtsradikale Bataillone ausrüstet und sie auf russisches Territorium schickt.

Ihr letzter Satz in ihrem Bachmut-Artikel lautet, «Nur vom Frieden spricht niemand». Meinen Sie denn im Ernst der Erfolg, den sie der Kiewer Regierung wünschen, führe zum Frieden?

Viele Grüße!

Ulrich Heyden

 

P.S.: Möglicherweise werde ich meine Zeilen an Sie auf meiner Website veröffentlichen.

 

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