3. May 2006

Kriegsveteran heiratete 20jährige

Das Leben von Wladimir Aksjonow ist voller Überraschungen. Mit acht reiste er aus eigener Initiative an die Front, direkt nach Stalingrad. In der Roten Armee wurde er als Trompeter und Kundschafter eingesetzt. Kaum war der Krieg zuende, kam er ins Gulag, weil er die deutschen Straßen gelobt hatte. Im Alter von 63 heiratete der quirlige Alte die 20jährige Natascha. Sie brachte zwei gesunde Söhne auf die Welt.

 

Wladimir Wladimirowitsch Aksjonow aus der sibirischen Stadt Tomsk hat immer viel gewagt. Er ist 72 Jahre alt. Seine Frau Natascha 27. Vor neun Jahren heirateten sie. Natascha bekam zwei gesunde Jungs, der eine ist sieben der andere ein Jahr alt.

Wladimir hatte aus der ersten Ehe schon fünf Kinder. Aber er hatte sich in Natascha verliebt und wollte es noch einmal wissen. Das Leben von Wladimir ist voller Überraschungen, schöner und trauriger. Obwohl er an Asthma leidet und im Krieg schwer verletzt wurde ist er so quirlig wie ein 40jähriger. 

Die Geschichte des Mannes aus Tomsk klingt abenteuerlich. Als er acht Jahre alt war schlug er sich an die Front durch. Mit elf bekam er eine Tapferkeitsmedaille, mit 16 kam er ins Gulag-Arbeitslager.

Auf Militär-Transportzügen schlug Wladimir sich 1942 nach Stalingrad durch, wo er an der Schlacht gegen die deutschen Eroberer teilnahm. Eine Bescheinigung aus dem Militärarchiv Podolsk bei Moskau weist aus, dass der kleine Wladimir damals zum Musikzug der vierten Gardeschützendivision gehörte und mit einer Tapferkeitsmedaille ausgezeichnet wurde. Wladimir spielte Trompete, schleppte Munition und in Zivil wurde er hinter die deutschen Linien geschickt, um zu spionieren. 

Dass Wladimir an die Front wollte, kam so: Im Januar 1942 starb sein Vater, mit seiner Mutter, einer Lehrerin, verstand er sich nicht. In seiner Heimatstadt Tomsk herrscht damals Hunger. „Wir lebten auf Karte.“ Wladimir schnappte sich die Trompete seines Großvaters. Unter einer Persenning mit der ein Panzer für die Front abgedeckt war, fuhr er nach Stalingrad. Wladimir bewunderte seinen Großvater. Der war im Ersten Weltkrieg Trompeter gewesen und hatte ihm das Trompetespielen beigebracht. „Man braucht nur wenig Luft. Es kommt auf die Lippenstellung an.“

Als er im Mai in Stalingrad ankam, hätten ihn die Soldaten gefragt, was er denn könne. Wladimir spielte ein Volkslied und einen Militärmarsch. Er wurde im Musikzug aufgenommen. „Ich war froh, dass ich das gefunden hatte, was ich suchte.“ Musik habe damals eine große Rolle gespielt.

 

Schreiber und Spion

 

Wladimir wurde vielseitig eingesetzt. Der Lehrersohn konnte gut schreiben, was sich unter den Soldaten, von denen viele Analphabeten waren, schnell herumsprach. So schrieb er die Briefe an die Angehörigen, einfache Blätter, die zu Briefumschlägen zusammengefaltet wurden. Er schrieb immer das gleiche: „Wir siegen, macht Euch keine Sorge. Obwohl, ich wusste, dass es ganz anders war.“

Dann schickte ihn sein Kommandeur als Spion hinter die feindlichen Linien. Wenn er deutsche Soldaten sah, machte er das nette Kindergesicht, mit dem er sich schon auf der Bahnfahrt an die Front täglich seine Buchweizengrütze ergattert hatte. „Ich war ein Kind, ich kam überall durch.“ Noch heute spürt man sein schauspielerisches Talent. Später erstattete er seinem Kommandeur Bericht. Heute redet Wladimir mit Achtung von den Deutschen. Als Angela Merkel in Tomsk war, hätte er ihr gerne die Hand geschüttelt.

            Der kleine Soldat zog mit der Roten Armee bis Wien. Ein Photo vom Juni 1945 zeigt den „Jefreiten Wowka“ im Alter von elf Jahren in Breslau mit einem „Beute-Fahrrad“. Neben ihm steht Maria Ratowa, die Tochter des Divisionskommandeurs. Sie diente als Krankenschwester in der Division und hatten den kleinen Wladimir in ihre Obhut genommen.

An der Front wurde der Junge aus Tomsk schwer verwundet, als sein Schützengraben mit Granaten beschossen wurde. „Man hielt mich erst für tot. Aber dann hat man mich doch noch ins Lazarett gebracht. „Beim Baden am Fluss kann er sich nicht zeigen“, meint Natascha lachend. Wladimirs Sitzfleisch ist arg vernarbt. Außerdem verlor er zwei Finger an der rechten Hand. Trotzdem greift er immer noch zur Gitarre und singt russische Weisen und Lieder von Wladimir Wisotzki.

            Nach dem Krieg kam Wladimir in ein Kinderheim. Doch er flüchtete erneut und schlug sich in den Fernen Osten durch. Er hatte gehört, dass seine Mutter auf der Insel Sachalin am Stillen Ozean als Russisch-Lehrerin arbeitete. Die Mutter fand er nicht. Schließlich heuerte er in der Stadt Uglegorsk in einem Kombinat als Schlosser an. Das schlug erneut Schicksal zu. Er wurde verhaftet, „sa jasyk“, „wegen falscher Worte“. In einem Gespräch hatte er die guten Straßen in Deutschland gelobt. Damals war Wladimir sechzehn Jahre alt. Er wurde zu 25 Jahren Arbeitslager verurteilt.

1956, nach dem Tod von Stalin, wurde er rehabilitiert und freigelassen. Nach der Freilassung lebte Wladimir in Tadschikistan. Dort arbeitete er in einem Aluminiumwerk. Er heiratete und wurde Vater von fünf Kindern. Als es 1990 in Tadschikistan zu antirussischen Pogromen kam, floh er mit der Familie in seine Geburtsstadt Tomsk. „Wohin hätte ich sonst flüchten können?“ Doch in Tomsk wartete Niemand auf ihn. Wladimir musste eine Wohnung mieten und sich irgendwie durchschlagen.

 

Alle waren dagegen

 

Als er in Tomsk erneut heiratete, blieb das in der Stadt nicht ohne Echo. In den Leserbriefen hätten sich „ein paar alte Kommunisten“ aufgeregt. „Sie wollten einfach nicht glauben, dass ich schon mit elf Jahren eine Tapferkeitsmedaille bekam. Und überhaupt, wie ich dazu komme eine so junge Frau zu heiraten.“ Heute neidet ihm mancher seine relativ hohe Rente von 13.000 Rubeln (370 Euro).

Natascha´s Familie war, wie man so sagt, zerrüttet. Der Vater trank, die Mutter war gestorben. Alle waren gegen die Ehe, erzählt Wladimir, auch seine eigne Mutter. „Was willst Du mit einer jungen Frau und neuen Kindern“, hat sie ihn gefragt. Die Liebe zu Natascha schien aussichtslos. Aber irgendwie hat er es dann geschafft. „Natascha hatte damals viele Verehrer.“ Sie beriet sich mit einem Freund von Wladimir, der ihn in den höchsten Tönen lobte. Wladimir sei „zuverlässig“, die jungen Verehrer dagegen „unzuverlässig“.

Irgendwann gingen Wladimir und Natascha dann zum Standesamt. Wladimir, der bis dahin immer auf Miete gewohnt hatte, organisierte eine eigene Wohnung für die neue Familie. Immer wieder ging er zu den Behörden. Schließlich bekam er eine schöne Zwei-Zimmer-Wohnung in der Laso-Straße nicht weit vom Stadtzentrum. Natascha: „Ich habe von Anfang an gewusst, dass er es schafft“.

 

Veröffentlicht von: n-ost.de

 

 

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