21. February 2009

Krise: Neue Offenheit soll Kreml helfen

Russland. Der Zweifel wächst. Präsident Dmitrij Medwedew und Premier Wladimir Putin kämpfen mit schwindender Zustimmung.

ULRICH HEYDEN Moskau (SN, n-ost). Abwrackprämie auf Russisch: Das Staatsfernsehen zeigte, wie in einer Stadt im fernen Osten der gesamte Dienstwagen-Fuhrpark verscherbelt wird. Den Nutzen haben der notleidende kommunale Haushalt und die Käufer, die nun gebrauchte, aber gepflegte Wagen fahren dürfen.

Die an Komfort gewöhnten Beamten in Russland müssen indessen auf „vaterländische“ Modelle umsteigen, wie den in Nischni Nowgorod produzierten Wolga „Siber“, eine Chrysler-Lizenzproduktion. Kreml-Chef Dmitrij Medwedew fordert Sparmaßnahmen auf allen Verwaltungsebenen.

Doch nicht nur damit versucht der Präsident zu demonstrieren, dass er in der Wirtschaftskrise handelt. Vor wenigen Tagen setzte er mit einem Handstreich vier Gouverneure ab. Medwedew sprach von „mangelnder Begabung, Schlamperei und Faulheit“. Ihren Sessel räumen müssen Jegor Stroew (Gebiet Orel), Wladimir Kulakow (Gebiet Woronesch), Waleri Potapenko (Autonomes Nenzen-Gebiet) und Michail Kusnezow (Gebiet Pskow). Medwedew erklärte, die „Rotation der Gouverneure“ werde weitergehen. In der Krise sei es nötig, „unter neuen Bedingungen“ zu arbeiten: „Es wird prinzipiell andere Anforderungen geben.“

„Die ökonomischen Krisenerscheinungen lassen nicht nach, sondern wachsen“, erklärte der Präsident, der nun regelmäßig im Fernsehen über den Zustand der Wirtschaft sprechen will. Dagegen hatte Ministerpräsident Wladimir Putin bisher in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken versucht, dass die Führung des Landes die Krise voll im Griff hat. Unablässig berichtete das Fernsehen über einen ominösen „Antikrisenplan“, den aber eigentlich niemand genau kennt.

Offenbar aber hat Medwedew, der sich schon häufiger zu demokratischen Prinzipien bekannte, erkannt, dass Offenheit das beste Mittel zur Vertrauensbildung ist. Denn die Menschen im Land bekommen die Krise indes täglich mehr zu spüren.

Auf den Straßen von Moskau sieht man trotz des kalten Winterwetters wieder Frauen, die Haushaltsware, Kleidung oder Fleisch verkaufen – oft direkt aus dem Kofferraum eines Lada. Ähnliche Bilder gab es zuletzt in den 1990er Jahren, als sich die Menschen mit Handel und Eigenanbau von Gemüse über Wasser hielten.

Jetzt zwingt die Finanzkrise viele Russen dazu, den Rubel zwei Mal umzudrehen. Nach einer Umfrage des Lewada-Meinungsforschungszentrums sparen bereits 70 Prozent bei Ernährung und den Waren des unmittelbaren Bedarfs. Die offizielle Zahl der Arbeitslosen von derzeit 1,7 Millionen Menschen (5,7 Prozent) werde sich nahezu verdoppeln, prognostiziert Jewgeni Gontmacher, Leiter des „Zentrums für Soziale Politik“ bei der Russischen Akademie der Wissenschaften. Real würden demnächst jedoch von 142 Millionen Russen zehn Millionen arbeitslos sein, schätzt er. Schon jetzt hätten 1000 Unternehmen für ihre Mitarbeiter Kurzarbeit und unbezahlten Urlaub angemeldet, gab Vizepremier Aleksander Schukow bekannt.

Der neue Stil der Offenheit von Medwedew kommt vielleicht gerade noch rechtzeitig. Denn wie Meinungsforscher ermittelten, ist die Zustimmung für Medwedew und Putin deutlich im Sinken. Während sich im September 2008 noch 79 bzw. 81 Prozent mit der Arbeit von Präsident Medwedew und Premier Putin zufrieden zeigten, waren es Anfang Februar nur noch 69 bzw. 74 Prozent.

Der Moskauer Bürgermeister Juri Luschkow erteilte indessen schon die Anordnung, in allen Teilen der Hauptstadt wieder die Märkte unter freiem Himmel zu genehmigen. „Besser die Menschen handeln, als sie stehen nach staatlichen Zuwendungen Schlange“, betonte Luschkow, der selbst im Lauf seiner Amtszeit schwerreich geworden ist. Allzu hoch sind die von Luschkow angeführten staatlichen Zuwendungen allerdings nicht.

Das Arbeitslosengeld liegt zwischen 19 und 111 Euro monatlich.

"Salzburger Nachrichten"

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